Gespenstische Diskussion vor leeren Rängen

Nach 25 Jahren: Deutsche Einheit? Deutsche Vielfalt!

Gespenstische Diskussion vor leeren Rängen
© D. Schreiber

(Im Bild v.l.) Birgitta Wolff, der Präsidentin der Goethe-Universität, Vielfalt-Dezernentin Nargess Eskandari-Grünberg, Moderator Michel Friedman, Frank E.P. Dievernich, Präsident der University of Applied Sciences, Marianna Salzmann



Das war der Titel der Podiumsdiskussion am 1. Oktober, kurz vor der zentralen Einheitsfeier in Frankfurt. Im wohl mehrere hundert Gäste fassendem Chagallsaal des Schauspiels am Willy-Brandt-Platz verloren sich gerade mal 33 Personen. Michel Friedman, der Moderator des Abends, kommentierte das wenig originell damit, von der erschienenen geringen Quantität könne man nicht auf die Qualität des Abends schließen.

Dann kommt Friedman gleich zur Sache: Ob sich die Frankfurter Integrationsdezernentin Dr. Eskandsari-Grünberg als Deutsche fühle? Nicht nur, sagt sie. Sie fühle sich als Europäerin, wiewohl sie in Persien geboren sei. Sie liebe die demokratischen Werte. „Die deutsche Sprache bedeutet mir sehr viel.“ Sodann wendet sich Friedman an Frank E.P. Dievernich, Präsident der University of Applied Sciences (früher Fachhochschule): Dieser beeilt sich, seine französische Mutter mit jüdischem Hintergrund zu erwähnen.

Friedman, mit der gleichen Frage an Marianna Salzmann. Sie war in Berlin am Gorki-Theater, arbeitet nun in Istanbul. Sie sei in Stalingrad geboren, in Moskau aufgewachsen, aber keine Russin. Sie sei Jüdin. Den in der Sowjetunion herrschenden Antisemitismus habe sie schon in der Schule gespürt. Sie kenne und liebe die jüdische Musik, die Witze, das Essen, die Bräuche. 1996 sei sie nach Deutschland gekommen.

Mit Birgitta Wolff, der Präsidentin der Goethe-Universität, wendet sich Friedman an den letzten Gast auf dem Podium: Sie sei Europäerin mit deutschem Pass, denn sie habe viel Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht. Friedman insistiert: Warum sie (groß, schlank, lange, blonde Haare) in den USA als Schwedin angesehen, dies nicht korrigiert habe? Wegen der Schuld in der Vergangenheit. Darauf Friedman: Auch die USA, Großbritannien und Frankreich hätten Dinge hinter sich wie Sklaverei und Kolonialismus. Darauf Frau Wolff: Die Japaner sähen sich als Besiegte im 2. Weltkrieg, nicht als Täter.

Friedman provoziert zum Thema deutsches Nationalbewusstsein

2006, beim deutschen Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft sei „Leichtigkeit ins Spiel gekommen.“ Statt No-Go-Zonen hätten die Ausländer festgestellt: Ihr seid ja ganz nett. Ihr könnt ja sogar lachen! Friedmann weiter: „Entwickelte sich da eine Kollektivität? Ein Wir?“ Friedmann zu Herrn Dievernich: „Können Sie mit Deutschsein etwas anfangen?“ Dies sei ein emotionaler Zustand, der überaltert sei. Es sei ein Gefühl, in der deutschen Sprache zu denken. Die Genscher-Rede 1989 zu den DDR-Flüchtlingen in der Prager Botschaft habe ihn damals berührt.

Mit „Nationalität“ bringt Friedman einen neuen Begriff in die Debatte, wendet sich an Frau Wolff: Sie befürchtet, dass das mal kippen könnte. Natürlich ins Negative. Und Frau Wolff wechselt das Thema: Was ist die Basis? Wegen der Geschlechtertrennung habe man vor drei Wochen für Muslime in der Universität zwei Gebetsräume einrichten müssen. „Wir sind eine säkulare Hochschule. Das Grundgesetz steht über Bibel und Koran.“ Das Thema: Vielfalt, Bereicherung oder Bedrohung? Das wäre ein Thema für einen weiteren Abend.

Mit „Nation“ bringt Friedman wieder einen neuen Begriff auf den Tisch: Dievernich: „Diese Kategorie ist für mich leer.“ Friedman weiter: „Und Vaterland?“ Eskandari-Grünberg: „Das ist für mich schwer.“ Friedmann: „Und Patriotismus?“ Den kennt Frau Wolff von ihrem USA-Aufenthalt: Dieser Begriff sei positiv besetzt. Nationalismus dagegen negativ. Frau Wolff: Bei der Fußball-WM mit den Deutschland-Fahnen und den Nationalfarben im Gesicht, das sei „konstruktiv für etwas zu sein“ gewesen. Ein Zugehörigkeitsgefühl. Eskandari-Grünberg dazu: Nationalismus ist gewalttätig.

„Können Sie was mit der deutschen Einheit anfangen?“, fragt Friedmann Frau Eskandari-Grünberg. Deren Antwort: „Ich war nie in der DDR. Danach mal in Leipzig und Gera.“ Friedmann fragt weiter: „Was feiern Sie am 3. Oktober?“ Dievernich: „Ich erinnere mich an die Fernsehbilder von damals, freue mich über das Ende der Mauer und lasse mich am 3. durch die Events treiben.“ Eskandari-Grünberg: „Befreiung von Diktatur und Unfreiheit.“ Frau Wolff: „Ich bin 2000 von den USA nach Magdeburg gekommen und feiere diese 15 Jahre auf mehreren Feiern.“ Frau Salzmann: Die Einheit brachte auch Ausgrenzung. „Es brannten Asylbewerberheime.“

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