Sie haben in Frankfurt nichts begriffen

Parteienblock ist vom Wahlergebnis unbeeindruckt

Sie haben in Frankfurt nichts begriffen
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Fast 50 Tage sind seit der Kommunalwahl vom 6. März 2016 in Frankfurt vergangen nach. Doch noch immer ist der politische Betrieb der fünftgrößten deutschen Stadt weitgehend lahmgelegt, weil sich die örtlichen Niederlassungen von CDU und SPD bislang nicht darauf einigen können, ob sie für die nächsten fünf Jahre die Grünen oder die FDP zum mehrheitsbringenden Teilhaber machen wollen. Zwar sind nun die neuen Stadtverordneten der bis 2021 währenden Wahlperiode bestimmt und hat sich das Stadtparlament auch konstituiert. Mehr aber ist nicht geschehen, und mehr kann auch nicht geschehen, so lange keine Klarheit besteht, welche Koalition sich im Römer bilden wird.

Zwar funktioniert Frankfurt auch ohne diese Klärung weiter, denn die U-Bahnen fahren, die Tiere im Zoo werden versorgt und im Palmengarten, in den Parks blüht es prächtig. Den allermeisten Frankfurtern dürfte es auch ziemlich egal sein, was im Rathaus geschieht oder, besser gesagt, nicht geschieht. Doch für die politische Glaubwürdigkeit ist das Verhalten der maßgeblichen Parteien kurz nach einer Wahl mit so niedriger Beteiligung der stimmberechtigten Bürger äußerst schädlich. Und die gewählten Stadtverordneten, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die ihre Wahl als politischen Auftrag verstehen, also ernst nehmen, sind völlig blockiert und müssen ohnmächtig darauf warten, dass einige Machthaber in den vier am Politkungeln beteiligten Parteien irgendeine Lösung aushandeln.     

Kritisch zu bewerten ist dabei nicht, dass dieses Aushandeln im vertraulichen Bereich geschieht, sondern dass es so schleppend und, vor allem, ohne erkennbare inhaltliche Schwerpunkte verläuft. Allerdings wird gerade deshalb mehr denn je klar, warum es keine Polemik oder Diffamierung ist, von einem Parteienblock aus CDU, SPD, Grünen und FDP zu reden. Denn innerhalb dieses Parteienblocks kann und will jeder mit jedem koalieren, Inhalte spielen da nur eine nebengeordnete Rolle. In Frankfurt sind inzwischen die beiden ehemaligen „Volksparteien“ CDU und SPD zu sehr geschrumpft, um gegenüber dem großen Wahlverlierer, den Grünen, oder selbst dem kleinen Wahlgewinner, der FDP, noch eine dominierende Rolle spielen zu können.

Alle vier Parteien haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie wollen erstens Teil einer Koalition sein, die viele einträgliche Posten im Magistrat sowie Einfluss in den städtischen Gesellschaften und Betrieben mit städtischer Mehrheit zu verteilen hat. Und zweitens will keine dieser Parteien die Rolle übernehmen, die in einer lebendigen Demokratie von größter Bedeutung sein sollte, nämlich in der Opposition die Kontrolle des Magistrats zu gewährleisten. Deshalb wäre es eigentlich nur folgerichtig und ehrlich, wenn sich die vier Parteien wie weiland 2001 bis 2006 wieder zu einem Vierer-Bündnis zusammenfänden.

Verhindert wird das nur, weil ein solches Bündnis den Charakter des Parteienblocks als politisches Kartell allzu offensichtlich machen würde und nebenbei auch noch den Nachteil mit sich brächte, die Beute unter vier statt nur unter drei Nutznießer teilen zu müssen. Außerdem würden sich dann, als wäre nichts geschehen, nicht wenige Menschen in Frankfurt fragen, warum noch Wahlen stattfinden, wenn sich danach zwei deutliche Wahlverlierer und zwei kleine Wahlgewinner einträchtig zusammentun.

Ob nun die Grünen oder die FDP von CDU und SPD dazu verurteilt werden, die ungeliebte Oppositionsrolle zu übernehmen, ist noch nicht ausgemacht, für Frankfurt aber auch nicht von besonderer Bedeutung. Wenn dieses Los die FDP trifft, wird sie dieser Aufgabe schon deshalb nicht gut gerecht werden können, weil im Vergleich zur FDP sowohl die AfD wie die Linkspartei numerisch etwas stärker und inhaltlich wesentlich profilierter sind.

Sollten die Grünen der neuen Koalition nicht mehr angehören dürfen, müsste eine Partei eher schlecht als recht Opposition spielen müssen, die sich in den vergangenen 26 Jahren zutiefst daran gewöhnt hat, ein immer mächtiger profitierender, besonders arroganter und selbstsüchtiger Teil des herrschenden Kartells in Frankfurt geworden zu sein. Deshalb wehren sich die Grünen, offen unterstützt vom langjährigen Partner CDU, trotz ihrer schweren Stimmverluste hartnäckig dagegen, das zu tun, was eigentlich ihre Pflicht wäre, nämlich den Gang in die Opposition anzutreten. Auch das ist der Grund für die eigentlich absurde Situation, dass die SPD lieber die FDP als dritten Partner sähe als die ideologisch näher stehenden Grünen, die jedoch mit Vorliebe in den letzten Jahren die SPD gedemütigt und bei jeder Gelegenheit der Unfähigkeit geziehen hat.

Allerdings war die SPD in den vergangenen zehn Jahren als stärkste Oppositionsfraktion im Römer weitgehend eine Fehlbesetzung in dieser Rolle. Außer der penetranten Forderung nach mehr Ausgaben und der Erhöhung der Gewerbesteuer konnten die Sozialdemokraten in Frankfurt keine markanten Akzente setzen. Doch wie auch hätte sich diese inhaltlich so schwachbrüstige SPD tatsächlich als wirksame Opposition im Sinne ihres ehemaligen Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher erweisen können?

Schumacher sagte 1949: „Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen.“ Solch harte politische Arbeit will aber keine der etablierten Parteien in Frankfurt mehr leisten, weder CDU, SPD und schon gar nicht die Grünen. Die haben mit ihrer oppositionellen Phase in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts längst abgeschlossen und fühlen sich pudelwohl an den Fleischtöpfen der Macht.

Doch die Anmaßung geht noch weit über die inhaltliche  Oppositions-verweigerung hinaus: Zum Frankfurter Parteienblock soll auch niemand sonst als ernsthafte Opposition wahrgenommen werden dürfen. Deshalb ist man sich unter den vier sich gern als „demokratisch“ bezeichnenden Parteien grundsätzlich einig, dass alternative politische Positionen entweder als links- oder rechtspopulistisch zu verdächtigen sind und damit als systemfremd diskriminiert werden können. Die Ausgrenzung der AfD aus dem Präsidium der Stadtverordneten war insofern folgerichtig, es wird aber keineswegs die letzte Maßnahme gegen tatsächliche oppositionelle Kräfte gewesen sein.

Weder aus der Wahlbeteiligung noch aus dem Wahlergebnis haben CDU, SPD, Grüne und FDP, die vier Mitglieder des Parteienblocks, selbstkritische Schlüsse, geschweige denn Konsequenzen, gezogen. Hinter verschlossenen Türen wird vielmehr unbeeindruckt darum gerungen, wie die Beute innerhalb des Parteienblocks zu verteilen ist und wer für die nächsten fünf Jahre wenigstens formal die Oppositionsrolle spielen muss. Die wahren Verlierer bei diesem Gerangel sind diejenigen Bürger, die am 6, März noch immer daran geglaubt haben, vier unterschiedliche Parteien gewählt statt einem Parteienblock ihre Stimme überantwortet zu haben. Es muss offenbar noch viel Wasser den Main herunterfließen, bis sich diese Einsicht durchsetzt.
 

Wolfgang Hübner

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