Die früheren Volksparteien auf Schuldenkurs
Rede von Wolfgang Hübner im Römer am 12. Mai 2016

Erst heute, mehr als zwei Monate nach der Kommunalwahl mit der niedrigsten Beteiligung nach 1945, kommt es in der Stadtverordnetenversammlung zu einer Diskussion über den kurz nach der Wahl vorgelegten Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 2016. Dass diese Magistratsvorlage M 61 überhaupt auf die heutige Tagesordnung gekommen ist, verdanken wir allerdings weder dem Kämmerer noch der bisherigen größten Oppositionsfraktion.
In diesem neuen Magistrat will sich nun eine Frankfurter CDU, die gerade noch 8,7 Prozent der Wahlberechtigten am 6. März für sich buchen konnte, und eine Frankfurter SPD, die es trotz geringer Zugewinne auch nur auf 8,6 Prozent der Wahlberechtigten brachte, mit den erfreulich geschrumpften Grünen zu einer ganz großen Koalition zusammenschließen.
Da kommt was auf uns zu - aber wohl kaum etwas Gutes!
Meine Damen und Herren, dieser Nachtragshaushalt 2016 ist tatsächlich so überraschend wie Regen im April.
Schon bei der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2015/16 im Dezember 2014 war nämlich erkennbar, dass selbst hohe Steuereinnahmen diesen Nachtrag notwendig machen würden. Das hat der Kämmerer gewusst, das hat der Magistrat gewusst und das konnte jeder wissen, der sich mit der finanziellen Situation unserer Stadt ein wenig auskennt.
Aber es ist ja wohl der eigentliche Sinn der von BFF schon immer abgelehnten Doppelhaushalte, die wichtigste Aufgabe kommunaler Politik, nämlich die Erstellung und Verabschiedung eines den Vorgaben der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) entsprechenden Haushalts, füglich aus dem Wahlkampf herauszuhalten, damit nach der Wahl festgestellt werden kann, dass man - leider, leider - doch mehr ausgeben muss als gedacht, erhofft und geplant.
Und wie es kommen musste, ist es auch diesmal wieder gekommen.
Es ist sogar noch schlimmer gekommen, als selbst von der Opposition vermutet: Denn statt des geplanten Jahresdefizits 2016 von rund 38 Millionen Euro beträgt dieses nun rund 164 Millionen Euro. Des Weiteren mussten wir der M 61 entnehmen, dass der Schuldenstand Frankfurts, immerhin der Gewerbesteuer-König unter den deutschen Großstädten, auf knapp 3 Milliarden Euro steigen wird. Und wir lesen in der Vorlage: „Durch deutlich steigende Defizite im Ergebnishaushalt fehlen für unerlässliche Investitionen die eigenen Finanzmittel. Stattdessen müssen die Investitionen vollständig fremdfinanziert werden.“
Betrachten wir den Nachtragshaushalt 2016 als eine Art Vermächtnis der schwarz-grünen Koalition, so müssen wir ohne jede Polemik feststellen: Diese Koalition und der von ihr dominierte Magistrat hinterlassen ihren schwarz-rot-grünen Nachfolgern eine schwere Hypothek.
Immerhin ist das den politisch Verantwortlichen für dieses finanzpolitische Versagen bewusst, denn es heißt in der Vorlage M 61: „Es ist aber bereits absehbar, dass spätestens mit dem Entwurf zum Haushalt 2017 ein Haushaltssicherungsgesetz erforderlich wird.“
Ein Haushaltssicherungsgesetz, meine Damen und Herren, ist laut HGO dann aufzustellen, wenn „der Haushalt trotz Ausnutzung aller Einsparungsmöglichkeiten bei den Aufwendungen und Auszahlungen und Ausschöpfung aller Ertrags- und Einzahlungsmöglichkeiten nicht ausgeglichen werden kann.“
Diese doch recht verständliche Formulierung hindert CDU und SPD und bestimmt auch die Grünen übrigens keineswegs daran, die Zahl der hauptamtlichen Magistratsmitglieder für das geplante Dreierbündnis von bislang neun auf zehn zu erhöhen – mit allen damit verbundenen Mehrkosten.
Die neue Frankfurter Faustregel lautet folglich: Je geringer die Wahlbeteiligung, desto kostspieliger der Politikbetrieb.
Gewiss, das ist nach der bestehenden Hauptsatzung möglich. Aber wie soll das all denjenigen plausibel gemacht werden, die künftig negativ von dem Haushaltssicherungsgesetz betroffen sein werden?
Hier wird von den ehemaligen Volksparteien nach dem Motto vorgegangen: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.
Und weil das die Devise ist, treibt es der Magistrat noch toller: Im Nachtragshaushalt sind in der Produktgruppe 18.01 „Soziales“ allein 10 Millionen Euro für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen vorgesehen. Dazu steht in der Vorlage M 61: „Wegen der Eilbedürftigkeit der Einzelmaßnahmen zur Unterbringung von Flüchtlingen erfolgt die Beschlussfassung der Bau- und Finanzierungsvorlagen statt durch die Stadtverordnetenversammlung durch den Magistrat“.
Meine Damen und Herren, das ist ein klarer Verstoß gegen § 100 (1) der Hessischen Gemeindeordnung, der bei Aufwendungen, die „nach Umfang oder Bedeutung erheblich“ sind, die „vorherige Zustimmung der Gemeindevertretung“ zur Bedingung macht. Und es ist natürlich besonders skandalös, wenn das ein Magistrat zu Papier bringt, der gerade deutlich die parlamentarische Mehrheit verloren hat.
Wer eine solche Zumutung für jeden Stadtverordneten, der seine Aufgabe ernst nimmt und im Sinne der HGO erfüllen will, in eine Beschlussvorlage schreibt, dokumentiert neben Anmaßung auch Verachtung der kommunalen Demokratie. Und nebenbei wird zynisch darauf vertraut, dass die Stadtverordneten beim Thema Flüchtlinge einfach alles widerstandslos abnicken.
Meine Damen und Herren vom Magistrat: Es gibt aber noch ein paar Menschen in diesem Haus und dieser Stadt, die das nicht tun.
Egal, wann und in welcher Zusammensetzung sich der neue Magistrat irgendwann in den nächsten Monaten endlich bilden wird: Diesem Anfang wird kein Zauber innewohnen. Denn wer gleich zu Anfang den fälligen Haushalt 2017 mit einem Haushaltssicherungsgesetz versehen muss, der hat den Spielraum eines zwangsreisenden Zirkuslöwen - die Gitter vor sich, die Wagenwand hinter sich.
Vermutlich ahnen diese freudlose Perspektive auch schon die Akteure, die nun seit Wochen mit wichtigtuerischer Machtsimulation um die Verteilung der Beute des 6. März ringen.
Herr Cunitz und Herr Semmelroth, die beiden Verlierer im aktuellen Römer-Monopoly, haben mittlerweile in Interviews und Stellungnahmen ungewohnt freimütig enthüllt, dass es bei diesem Ringen aber auch nicht die Bohne um Inhalte, sondern ausschließlich um die Verteilung der Posten an verdientes und weniger verdientes Parteipersonal geht.
Ich müsste allerdings lügen, hätte ich nach 15 Jahren in diesem Haus etwas anderes erwartet.
Gleichwohl aber sind und bleiben Sie von CDU und SPD in der Pflicht gegenüber den verbliebenen 39 Prozent Wählern der jüngsten Kommunalwahl. Diesen Wählern und unserer wirtschaftlich so erfolgreichen und gedeihenden Stadt sind Sie es schuldig, ausgeglichene, genehmigungsfähige Haushalte zu erarbeiten.
Diesen Noch-Wählern sowie den 61 Prozent Nichtwählern und natürlich der guten Zukunft unserer Stadt Frankfurt am Main sind Sie es schuldig, die Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen statt die Last der Schulden Jahr um Jahr zu erhöhen. Die Vorlage M 61 zeugt davon: Sie können das nicht. Ich füge hinzu: Sie lernen das auch nicht.
Und eher, meine Damen und Herren, wird der Kämmerer Oberbürgermeister von Frankfurt, was allerdings eine ungewöhnliche lange Lebens-und Leidensdauer von Herrn Becker voraussetzt, als dass sich bei den selbsternannten „demokratischen Parteien“ irgendwas zum Besseren ändern wird.
Zum Abschluss der guten Ordnung halber: Die BFF-Fraktion lehnt die Vorlage M 61 ab.