Eine Wende in der Erinnerungspolitik ist notwendig

Rede von Wolfgang Hübner am 15. 9. 2016 im Römer

Eine Wende in der Erinnerungspolitik ist notwendig
© Rolf van Melis - pixelio.de


Es wird garantiert nicht oft geschehen, dass die Bürger Für Frankfurt einen Antrag der mit Abstand dubiosesten linken Fraktion in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zum Anlass eines Diskussionsbeitrags nehmen. Wenn wir das tun, dann deshalb, weil in dem sachlich unsinnigen Antrag NR 58 mit dem Titel „Herero-Denkmal in Frankfurt“ ein Phänomen zum Ausdruck kommt, das in Deutschland wie in Frankfurt oft anzutreffen ist, nämlich das, was man als Schuldlust oder auch krankhafte Schuldmanie bezeichnen kann.

Diese Lust an der Schuld, im konkreten Fall an einem kolonialen Massaker vor über 110 Jahren im heutigen afrikanischen Staat Namibia - ein Geschehen, das mit Frankfurt so gut wie gar nichts zu tun hat -, ist keine Lust an eigener, persönlicher Schuld. Es ist vielmehr die Lust an der Schuldzuweisung gegen das eigene Kollektiv, also gegen das eigene Volk. Diesem Volk entstammen allerdings auch die Antragsteller, so bedauerlich das sein mag und so sehr sich die Freunde der Schuldlust selbst ob dieses harten Schicksals bedauern mögen.

Schuld sind für diejenigen, die Lust oder ein geradezu pathologisches Interesse an der Schuld hegen, natürlich immer nur die anderen. Nämlich diejenigen, deren Schoß man nun aber mal selbst entsprungen ist. Fälle von chronischer, manisch besessener Schuldlust wären eigentlich hier nicht näherer Betrachtung wert, wären sie nicht so weit verbreitet in unserem Land. Und das ist das Problem: Weder in einer stabilen, noch gar einer zunehmend heterogenen, multiethnischen Gesellschaft kann Zusammenhalt durch wie auch immer motivierte und leider oft kalkulierte Schuldlust und Schuldmanie erzielt werden. Es bedarf vielmehr einer längst überfälligen Wende in der deutschen wie auch der Frankfurter Geschichts- und Erinnerungspolitik.

Schlagwortartig möchte ich diese Wende wie folgt charakterisieren: Wir brauchen endlich mehr Denkmäler zur Erinnerung an positive Ereignisse und Gestalten unserer Geschichte, statt immer mehr Mahnmäler und Gedenktafeln an reale und mutmaßliche Missetaten unserer Vorfahren. Deutschland und Frankfurt haben im Hinblick auf das größte Verbrechen unserer Geschichte, die Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Millionen Juden, eine ehrliche und schonungslose Erinnerungspolitik betrieben, sie tun das noch immer. Das war und ist zweifellos notwendig.

Allerdings wird mit dem absehbaren Hinscheiden der letzten Zeitzeugen auch dieses Ereignis Historie. Nachgeborene Generationen, in denen zumal viele keinen familiären Bezug mehr zu der Zeit der Nazi-Diktatur haben, weil sie nichtdeutsche Wurzeln besitzen, werden zu diesem Kapitel deutscher Geschichte ein anderes Verhältnis entwickeln, als jemand wie ich, der 1946 geboren wurde und noch seine Eltern befragen konnte, wie es damals war und wie es dazu kommen konnte. Das ist der Lauf der Zeit, den niemand ändern kann – auch und schon gar nicht diejenigen, die der Schuldlust frönen oder auf ganz verschiedene Weise von vergangener nationaler Schuld politischen oder persönlichen Profit, manchmal auch im Doppelpack, erzielen wollen.

Es gibt objektive, nachweisbare, dokumentierte Ereignisse in der Geschichte. Der Holocaust, der in deutscher Verantwortung realisiert wurde, ist eine Tatsache. Der Holocaust kann zwar böswillig geleugnet werden, aber das ändert an der Tatsache des Geschehens überhaupt nichts. Wie allerdings erinnerungs- und geschichtspolitisch mit diesem staatlich organisierten Großverbrechen umgegangen wird, darüber kann gestritten werden. Und es muss sogar gestritten werden, wenn zum Beispiel die Opfer von Auschwitz instrumentalisiert werden, um missliebige orientalische Diktatoren mit Waffengewalt zu stürzen oder um einen negativen Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland zu konstruieren.

Diese Bundesrepublik Deutschland ist aber nicht mehr das Land der ersten Nachkriegsjahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts. Infolge einer wie auch immer zu beurteilenden Ein- und Zuwanderung in unser schönes, ökonomisch so erfolgreiches Land hat sich die Bevölkerung drastisch verändert und verändert sich Deutschland seit der von Kanzlerin Merkel forcierten Masseneinwanderung rasant weiter. Nirgendwo ist das unmittelbarer erfahrbar als in Frankfurts öffentlichen Verkehrsmitteln und den nichtprivaten Schulen. Wenn dieser Staat Deutschland, diese Stadt Frankfurt nicht in ethnisch geprägte Subkulturen und Milieus zerfallen soll, dann ist die Schaffung einer positiven deutschen Identität nicht nur eine Möglichkeit, sondern vielmehr die unbedingte, nicht aufzuschiebende Pflicht verantwortungsbewusster Politik. Alles andere wird sich als Illusion erweisen.

Wer dieser Pflicht nicht nachkommt oder sich dieser Pflicht aus ideologischen Motiven nicht nur verweigert, sondern sogar entgegenstellt, ist ein Blockierer, ja Feind der Integration – das sage ich hier mit aller Deutlichkeit. Denn ohne positive Identität unseres Gemeinwesens kann niemand in dieses nachhaltig integriert werden. Und ohne positive Identität kommen Gesellschaften in Krisen ins Straucheln, manchmal auch ganz schnell an den Abgrund.

Es ist eine große Illusion zu glauben, dass unsere derzeit ökonomisch erfolgreiche deutsche Gesellschaft - von der Frankfurt besonders profitiert - mit all ihrer integrierenden und inkludierenden Wirkung gefeit wäre vor Identitätskrisen. Tatsächlich stecken wir doch trotz dieses ökonomischen Erfolgs mittendrin in einer Krise, die geprägt ist von massiven Ängsten vor Identitätsverlusten. Und wie könnte es auch anders sein in Anbetracht der Bevölkerungsumwälzung, die vor sich geht und ein Experiment mit völlig ungewissem Ausgang ist.

Wie aber schaffen wir positive Identität? Indem wir auf die Suche gehen nach den eben schon erwähnten positiven Ereignissen und Gestalten unserer älteren und jüngeren Geschichte. Wo ist also das Denkmal der Deutschen Einheit, deren unblutige Herbeiführung 1989/90 die ganze Welt faszinierte? Wo in Frankfurt gedenken wir dankend der Amerikaner, die als Sieger und Besatzer kamen, Jahrzehnte das Stadtbild mit prägten und die schließlich als Freunde und Verbündete gingen? Der 17. Juni ist schon lange kein Nationalfeiertag mehr, aber immer noch ein nationaler Gedenktag. Sollten wir also nicht einen Ort in unserer Stadt finden, der an einen zwar niedergeschlagenen, aber gerechten Aufstand des unterdrückten Teils unseres Volkes gegen die SED-Diktatur erinnert?

Der aktuelle AfD-Antrag, mit dem ein Denkmal für die Trümmerfrauen gefordert wird, ist eine gute, längst überfällige Initiative. Ebenso gilt es der unzähligen Vertriebenen würdig zu gedenken, die ja nicht freiwillig in unsere schwer vom Bombenkrieg gezeichnete Stadt kamen. Sie haben einen nicht zu überschätzenden Beitrag für den Wiederaufbau und die Prosperität Frankfurts geleistet. Und sie haben sich trotz vielfacher Traumatisierungen und schmerzlichem Heimatverlust längst vollständig integriert, eine historische Leistung, deren Wert noch immer nicht genügend geschätzt wird.

Und wäre es nicht schön, hätten wir einen Platz in unserer Stadt mit einer originellen Erinnerung an die legendäre „Familie Hesselbach“, der unverwüstlichen Kultserie des in Frankfurt ansässigen Hessischen Rundfunks? Und ist es nicht möglich, mit der teils in Frankfurt weilenden, weltbekannten Romanfigur „Heidi“ als Skulptur an prominenter Stelle in der City Klein und Groß zu erfreuen? Es könnten an dieser Stelle noch sehr viel mehr Vorschläge gemacht werden. Und erst recht werden die Frankfurter Bürger eine Flut von Ideen für positive Erinnerungsstätten in unserer Stadt haben, da ist mir nicht bange.

Aber dazu bedarf es eines Blicks in die Vergangenheit, der positiv in die Zukunft weist. Wenn wir nicht den Mut und die Kraft dazu entwickeln, sondern weiterhin zu einseitig einer negativen Identität anhängen, dann werden wir die ungeheuren Herausforderungen, vor denen wir aufgrund der Bevölkerungsumwälzung gerade in Frankfurt stehen, nicht bewältigen können. Es ist reaktionär und beklemmend, immer wieder den Blick auf das Negative zu konzentrieren. Es ist hingegen progressiv und befreiend, sich auch an das Gute, Schöne und Große zu erinnern. Wer hindert uns eigentlich daran?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

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