Hexenjagd und Erinnerungslücken

Hexenjagd und Erinnerungslücken

Hexenjagd und Erinnerungslücken
© S. Hofschlaeger - pixelio.de

FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer

Kommentare/Meinungen 3/2011

Frankfurt/Main, 10 Juni 2011

 
Auch Hilmar Hoffmann, dieser schon zu Lebzeiten legendäre Frankfurter Kulturtitan, war also ein Nazi? Und Iring Fetscher, der kaum weniger bekannte Frankfurter Politologe und Marxismus-Experte, auch er einer?

Wer von den noch lebenden großen alten Männern in Deutschland, so möchte man fragen, war denn eigentlich kein Nazi? Doch wer so fragt, ist schon der Versuchung erlegen, sich an einer Hexenjagd zu beteiligen, die von Jahr zu Jahr grotesker und widerlicher wird.

Denn die „linken Ikonen“ Hoffmann und Fetscher waren Jünglinge, als sie mitten im Zweiten Weltkrieg – ob nun mit oder ohne eigenes Wissen -  Mitglieder der NSDAP wurden. Sie waren Kinder ihrer Zeit, und diese Zeit war ein dunkler, schrecklicher Abschnitt der deutschen Geschichte. Bald nach dem Parteieintritt von Hoffmann und Fetscher endete die Nazi-Herrschaft und die beiden Männer machten verdienstvolle Karrieren unter demokratischen Verhältnissen. Am späten Abend ihres Lebens können Hoffmann wie Fetscher mit Stolz auf ihr jeweiliges Werk zurückschauen. Eine Unterschrift in ganz jungen Jahren unter ganz anderen Umständen in ganz anderen Zeiten ändert daran überhaupt nichts.

Allerdings sollten sich Hoffmann, Fetscher und all die anderen, die nun von den nachgeborenen „Helden“ des antifaschistischen Kampfes der Nazi-Mitgliedschaft überführt wurden, schon einmal selbst befragen, warum sie sich fast 70 Jahre lang nie damit beschäftigt haben oder wollten, ob sie Mitglied der Partei waren, die Deutschland in die größte Katastrophe seiner Geschichte geführt hat.

Zumindest bei Hilmar Hoffmann hätte dazu Anlass bestanden. Denn der ehemalige Jungvolkführer hat seine damalige Verführbarkeit nie bestritten. Da lag es doch eigentlich nahe, irgendwann in all den Jahren mal nachzuprüfen oder nachprüfen zu lassen, ob diese Verführbarkeit auch zu der nun dokumentierten Unterschrift im Jahr 1943 geführt haben mochte.

Hoffmann und Fetscher haben sich diese Frage nicht gestellt, weil sie sich vermutlich diese Frage auch um keinen Preis stellen mochten. Denn sie mussten ja Angst haben, bei einer unerwünschten Antwort darauf ihr Ansehen als „linke Ikonen“ und hochgeehrte Demokraten zu gefährden. Sie mussten nämlich nicht ohne Grund befürchten, selbst Opfer jenes neuen Geistes des unbedingten Antifaschismus zu werden, zu dem sie – in bester Absicht und auf hohem Niveau – entscheidende Beiträge geleistet haben und der ohne Männer ihres Ansehens nicht zur Herrschaft über das geistige und politische Leben in Deutschland gelangt wäre.

Nun müssen Hoffmann und Fetscher -  der eine 85, der andere bald neunzig -  miterleben, wie die Hexen- und Honorarjäger im Solde eines längst zur lähmend-autoritären Herrschaftsdoktrin erstarrten „Antifaschismus“ sie doch noch ins historisch-biographische Zwielicht zerren.

Wie gesagt: Es ist ein widerwärtiges Schauspiel, das sich da im Sommer 2011 abermals vollzieht. Aber es wäre Hoffmann, Fetscher und uns allen erspart geblieben, hätten die großen alten Männer in früheren Jahren sich daran erinnert oder erinnern wollen, dass die Vergangenheit am wenigsten für den vergeht, der die radikalsten Konsequenzen aus dieser Vergangenheit gezogen hat.

Die Vergangenheit von Hoffmann und Fetscher war schicksalhaft die der Nazi-Jahre. Niemand konnte, niemand kann ihnen das zum Vorwurf machen. Und zwei Unterschriften in heute unvorstellbaren Zeiten unter heute unvor-stellbaren Situationen ändern überhaupt nichts an den Verdiensten des Kulturpolitikers und des Wissenschaftlers für die deutsche Demokratie und das Geistesleben unseres Landes.

Gerade letzteres wäre gegenwärtig allerdings freier und weniger verkrampft, wenn Männer wie Hoffmann und Fetscher sich früher dafür interessiert und viel früher dazu bekannt hätten, eine Unterschrift geleistet zu haben, die nun mit großer Verspätung in infamer Weise skandalisiert wird. Zwei „linke Ikonen“ mögen ihren Heiligenschein verloren haben. Aber in der Politik taugen Heiligenscheine  ohnehin wenig – das Leben geht in Frankfurt heilsam ernüchtert weiter.

 

Wolfgang Hübner

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