Verkehrsinfarkt im S-Bahn-Tunnel abwenden
Rede der BFF-Stadtverordneten Ingeborg Leineweber

In seinem Bericht B266/16 vom 07. Oktober 2016 prognostiziert der Magistrat - auf Anfrage der BFF-Fraktion im Römer - einen Anstieg der Fahrgastzahlen im Frankfurter S-Bahn-Tunnel um 8 % für den Zeitraum von 2010 bis 2020, wobei in den Jahren 2004 bis 2010 bereits eine Steigerung von 21 % vorausging. Daraufhin wollte die Stadtverordnete der BFF, Ingeborg Leineweber wissen, inwieweit der Magistrat - trotz starkem Beschäftigungswachstum und Einwohnerzuzug - diese Prognose der Fahrgastzahlen für den S-Bahn-Tunnel auch weiterhin für realistisch hält wird. Die Antwort auf ihre entsprechende Frage 474 in der Stadtverordnetenversammlung vom 23. Februar 2017 beantwortete Verkehrsdezernent Klaus Oesterling wie folgt:
„Prognosen sind bekanntlich unsicher, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Wenn sich die Bevölkerungszahlen anders entwickeln als prognostiziert, können sich auch die Fahrgastzahlen anders entwickeln.“
Diese flapsige Antwort des Frankfurter Verkehrsdezernenten zeigt, dass er sich offensichtlich nicht der Tragweite dieser Problematik bewusst ist. Die BFF-Fraktion forderte den Magistrat bereits in der Plenarsitzung am 26. Januar 2017 dazu auf, die Prognose der Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr zu aktualisieren und eine Strategie zu entwickeln, wie die sich abzeichnende Überlastung des S-Bahn-Tunnels abgewendet werden kann.
Nachfolgend veröffentlichen wir die Rede unserer Stadtverordneten Ingeborg Leineweber in der Stadtverordnetenversammlung vom 26. Januar 2017.
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Frau Vorsteherin,
sehr geehrte Damen und Herren!
Mit dem Bericht B 266 auf die Anfrage unserer BFF-Fraktion aus 2016, A 62, der jetzt im Verkehrsausschuss behandelt wurde, antwortet der Magistrat auf Fragen zur Problematik der Verkehrssituation in Frankfurt. Ausgangspunkt der Anfrage vom Juli 2016 war ein Interview des ehemaligen Bürgermeisters und Planungsdezernenten von den GRÜNEN, Herrn Olaf Cunitz, in dem dieser unter anderem vor einem Verkehrsinfarkt warnt, den S-Bahn-Tunnel an seinem Limit sieht und eine Diskussion über Investitionen in Milliardenhöhe fordert. Cunitz wörtlich: „Vor dem Infarkt des Wohnungsmarktes wird der Verkehrsinfarkt kommen“.
Zu Beginn des Berichts verwendet der Magistrat fast eine Seite damit, sich mehr oder weniger an den Begriff Verkehrsinfarkt heranzutasten. Dieser Begriff scheint ihm Schwierigkeiten zu machen. Dies ist umso interessanter, als dass selbst seriöse Zeitungen wie die FAZ diesen Begriff wie selbstverständlich benutzen. So war im Rhein-Main-Teil der FAZ vom 11. November 2016 auf Seite 29 unter der Überschrift „Engpass Frankfurt“ unter anderem zu lesen: “Rhein-Main droht der Verkehrsinfarkt, wenn die Schienenwege nicht ausgebaut werden“. Weiter unten im Text hieß es: „Der wirtschaftlichen Herzkammer“- der Autor meinte damit Frankfurt – „droht ein Verkehrsinfarkt“. Selbst Planungsdezernent Josef sprach in der Stadtverordnetenversammlung am 17. November 2016 davon, ich zitiere aus dem Wortprotokoll: „Wenn wir dann sagen, wir wollen mit der Region zusammenarbeiten, müssen wir eben auch die Verkehrsfrage entsprechend beantworten, nicht dass es am Ende zum Verkehrsinfarkt kommt“. Es kann also wohl so falsch nicht sein, dass die BFF‑Fraktion diesen Begriff des Verkehrsinfarkts in die verkehrspolitische Diskussion hier im Römer eingebracht hat.
Vor allem die Situation des S-Bahn-Tunnels sei an dieser Stelle thematisiert. In seiner Antwort auf Frage Nummer 2 räumt der Magistrat ein: „Im S-Bahn-Tunnel ist über die aktuelle Bedienung mit 24 Fahrten je Stunde und Richtung in den Hauptverkehrszeiten derzeit keine weitere Taktverdichtung möglich“. Nur noch Kapazitätserweiterungen bei einigen Zügen seien möglich. In der Antwort auf Frage Nummer 15 zu den Fahrgastzahlen im Frankfurter S-Bahn-Tunnel erwähnt der Magistrat dann, dass in den Jahren 2004 bis 2010 eine Steigerung der Fahrgastzahlen um 21 Prozent stattgefunden hat. In der Antwort auf Frage Nummer 16 nach den weiteren Prognosen führt der Magistrat aus, dass die Prognosen für 2010 bis 2020 von einer weiteren Steigerung um acht Prozent ausgehen.
Halten wir also fest: Fahrgastzahlsteigerung von 2004 bis 2010 um 21 Prozent, die Prognose für die Fahrgastzahlsteigerung von 2010 bis 2020 liegt bei acht Prozent. Es erscheint der BFF-Fraktion aus verschiedenen Gründen mehr als zweifelhaft, wie nach einer Steigerung der Fahrgastzahlen im S-Bahn-Tunnel um 21 Prozent in nur sechs Jahren dann für einen Zeitraum von zehn Jahren, von 2010 bis 2020, von einer Steigerung von lediglich acht Prozent ausgegangen werden kann. Erstens ist die Anzahl der Personen mit Hauptwohnsitz in Frankfurt allein im Zeitraum von August 2011 bis 2015 um mehr als 68.000 Personen gestiegen. Das ist eine Steigerung von 10,4 Prozent in nur fünf Jahren, nachzulesen in der Antwort von Dezernent Josef auf die Frage F 152 in der Fragestunde der Stadtverordnetenversammlung am 15. September 2016. Zweitens stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Stadt Frankfurt von 2011 bis Ende 2015 um neun Prozent auf 542.000 an. Damit verbunden wachsen auch die Pendlerströme nach Frankfurt stetig weiter an. So ist nach Auskunft des Magistrats die Zahl der werktäglichen Berufseinpendler von 2004 bis 2014 von 302.000 auf 342.000 gestiegen. Folglich stieg auch der die Stadtgrenze überschreitende Kfz-Verkehr in der Summe beider Richtungen im Zeitraum von 2004 bis 2014 von rund 436.000 auf rund 462.000 Kraftfahrzeuge an. Drittens sind die Fahrgastzahlen der städtischen Verkehrsmittel U-Bahn, Straßenbahn und Bus nach Angaben des Magistrats - siehe Antwort auf Frage Nummer 19 - von 183,6 Millionen im Jahr 2006 auf 214,3 Millionen im Jahr 2014 gestiegen. Dies macht eine Steigerung von 30,7 Millionen Fahrgästen oder von fast 17 Prozent aus. Aufgrund dieser deutlichen Zuwächse, die bereits die erste Hälfte des Prognosezeitraums betreffen, erscheint die vom Magistrat angenommene Fahrgastzahlsteigerung im Frankfurter S‑Bahn-Tunnel für die Jahre 2010 bis 2020 als deutlich zu niedrig.
So unwahrscheinlich ist also das Szenario nicht, dass der S-Bahn-Tunnel demnächst an seiner Kapazitätsgrenze ankommen könnte. Dies wäre dann allerdings zum Nachteil von Hunderttausenden von Einwohnern, Berufspendlern und Besuchern unserer Stadt, und zwar ohne dass eine wirkliche Entlastung oder Alternative zeitnah zur Verfügung stünde. Denn, wie es insbesondere den Verantwortlichen im Magistrat klar sein sollte, die Realisierung eines zweiten S‑Bahn‑Tunnels würde mindestens zehn, aber eher bis zu zwanzig Jahren Vorlaufzeit benötigen, bis dieser schließlich geplant, genehmigt und gebaut ist.
Auch die bereits in Planung befindliche Regionaltangente West oder eine angedachte Ringstraßenbahn benötigen noch viele Zeit. Die Regionaltangente West soll laut Planung immerhin ab Dezember 2022 in Betrieb genommen werden, bringt aber kurzfristig keine Entlastung. Hinzu kommt, dass durch die auch zukünftig angestrebte Verlagerung von Anteilen des motorisierten Individualverkehrs auf den öffentlichen Nahverkehr ebenfalls erhebliche Steigerungen der Fahrgastzahlen des ÖPNV resultieren werden. Immerhin benutzen derzeit noch etwa 35 Prozent der Frankfurter Bevölkerung das Auto für ihre täglichen Wege.
Nicht zuletzt die bereits angeführte Tatsache, dass Frankfurts Bevölkerung allen Prognosen zufolge auch in den nächsten Jahren weiter stark wachsen wird und schon in wenigen Jahren die Marke von 800.000 Einwohnern überschritten sein soll, sollte dem Magistrat Anlass zu unverzüglichem Handeln sein. Man kann nicht das starke Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum Frankfurts auf der einen Seite noch zusätzlich befördern und die Werbetrommel für den Finanz- und Wirtschaftsstandort rühren, wie zuletzt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, andererseits aber sehenden Auges dem Verkehrsinfarkt entgegensteuern.
(Beifall)
Dass trotz dieser Fakten, wie Ex-Dezernent Cunitz in dem eingangs erwähnten Interview sagt, in Frankfurt noch nicht einmal über einen Ausbau des bestehenden S-Bahn-Tunnels diskutiert wird, ist ein schweres Versäumnis des Magistrats. Die BFF-Fraktion fordert den Magistrat daher auf, die Augen nicht weiter vor der Realität zu verschließen und endlich alle kurz-, mittel- und langfristig erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, damit Frankfurt auch in Zukunft über eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur verfügt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall)