Auch den Toten ein Recht auf Heimat zugestehen!

Rede der BFF-Stadtverordneten Ingeborg Leineweber

Auch den Toten ein Recht auf Heimat zugestehen!
© Foto: R2D2


Eine sehr grundsätzliche Rede zur vom schwarz/rot/grünen Magistrat beschlossenen Erhöhung der Friedhofsgebühren in Frankfurt hat die BFF-Stadtverordnete Ingeborg Leineweber in der Plenarsitzung vom 24. Mai 2018 gehalten. Wir geben diese nachfolgend im Wortlaut wieder:
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Stadtverordnete Ingeborg Leineweber, BFF:

 
Herr Vorsteher,

meine Damen und Herren!

Das humane Niveau einer Gesellschaft bemisst sich auch daran, wie diese Gesellschaft mit dem Sterben, dem Tod und der Bestattung ihrer Mitglieder umgeht. Dies gilt selbstverständlich auch für unsere Stadt, und das betrifft jeden Einzelnen von uns ganz persönlich, die wir als derzeit Lebende im Rahmen unserer kommunalen Verantwortung darüber zu entscheiden haben, unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten die letzte Ruhe der Verstorbenen innerhalb Frankfurts ermöglicht wird. Wir haben uns also grundsätzlicheren Fragen zu stellen, als nur der Frage, ob wir die Magistratsvorlage M 71 annehmen oder ablehnen, ob wir sie schlüssig finden oder ob wir sie kritisieren. Das können wir aber auf jeden Fall feststellen.

Diese Vorlage hat einen gravierenden Mangel, den niemand leugnen kann. Sie reagiert auf negative Entwicklungen damit, dass sie diese negativen Entwicklungen noch verschärfen wird. Was sonst soll die Folge sein, wenn steigende Gebühren die Konsequenz der Tatsache sind, dass die Zahl der Bestattungen auf den Frankfurter Friedhöfen abnimmt? Was sonst wird das wiederum anderes zur Folge haben als künftig weiter sinkende Bestattungszahlen in Frankfurt? Immer mehr Menschen, die ihr ganzes oder zumindest den größten Teil ihres Lebens in Frankfurt verbracht haben, werden nach ihrem Tod nicht in unserer Stadt ihre letzte Ruhe finden, sondern irgendwo. Das, meine Damen und Herren, kann nur denjenigen gleichgültig sein, die in gestorbenen Mitbürgern eher einen Entsorgungsfall als eine Bestattungsaufgabe sehen.

Die innere Logik einer Gebührenordnung, und die Friedhofs- und Bestattungsgebührenordnung ist eine spezielle Variante davon, kann keine Lösung für das Problem bieten, denn eine solche Ordnung muss einen vollständigen Ausgleich zwischen den Kosten für die Kommune und den Gebühren für die Bürger bedingen. Deshalb hat es auch keinen Sinn, dieses oder jenes Detail in der Vorlage M 71 des Magistrats zu bemäkeln. Vielmehr lohnt es sich zu untersuchen, warum so viele Hinterbliebene einen billigeren Weg der Bestattung suchen und warum das gerade in Frankfurt mit den bekannten Folgen so besonders ausgeprägt ist. Es gibt einen sehr wichtigen Grund für diese Entwicklung, der aber nirgendwo genannt oder diskutiert wird: Der Wegfall des Sterbegeldes seit dem 1. Januar 2004 aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen.

Es war die damalige Bundesregierung von SPD und GRÜNEN, die mit ihrem sogenannten „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ diesen finanziell wie auch sittlich folgenreichen Sozialabbau politisch verfügte. Wenn die Sozialdemokratie darüber klagt, wie schlecht sie heute dasteht, dann sollte sie sich an dieses unsoziale Attentat auf die sogenannten kleinen Leute erinnern. Übrigens wurde bei der Beamtenversorgung kein Sterbegeld gestrichen - auch das zur Erinnerung. Zur Wahrheit bei dem Thema, das heute hier zur Debatte steht, gehört gewiss die gesellschaftliche Tendenz in Deutschland, den Toten, also den meist unter Schmerzen und Qualen gestorbenen Menschen, vielfach als Belastung zu behandeln, der aus Sicht von immer mehr Hinterbliebenen möglichst preisgünstig entsorgt werden soll. Dafür gibt es verschiedene Gründe, wie die weitgehende Entchristlichung, die Geiz‑ist‑Geil‑Mentalität oder den Verfall von familiären Strukturen. Jedenfalls sagt die Art und Weise, wie ein Volk, wie eine Kultur mit dem Tod und den Toten umgeht, viel über die sittlich moralische Verfassung dieses Volkes und seiner Kultur aus.

               (Beifall)

Unter diesem Gesichtspunkt haben wir in unserem Land und in unserer Stadt durchaus Anlass zur Nachdenklichkeit. Es ist unabhängig von solch grundsätzlichen Aspekten eine Tatsache, dass - besonders seit 2004 - immer weniger Tote auf Frankfurter Friedhöfen eine Erdbestattung bekommen, jedoch immer mehr Verstorbene hingegen nach der Verbrennung eine Urnenbestattung erhalten. Dass es hierbei einen Zusammenhang mit den sehr unterschiedlich hohen Kosten gibt, wird wohl niemand bestreiten können. Die politische Konsequenz wäre selbstverständlich die gewesen, sich auf diese Entwicklung einzustellen. Geschehen ist aber etwas ganz anderes in Frankfurt. Unter den für diesen Bereich zuständigen grünen Umweltdezernentinnen Frau Ebeling und Frau Dr. Rottmann ließ man das technisch gar nicht so alte, in Frankfurt besonders traditionsreiche Krematorium so lange verrotten, bis es nicht mehr funktionsfähig war und unter der jetzigen grünen Umweltdezernentin Frau Heilig vor einigen Jahren geschlossen, aber bis zum heutigen Tage nicht entsorgt wurde. Ein Skandal im Skandal. Die Kaminröhren neben der Trauerhalle künden unverändert von dem politischen Versagen dieser Politikerinnen und des gesamten Magistrats.

Meine Damen und Herren, dieses Versagen mögen Sie noch so sehr bestreiten, die längst funktionslos gewordenen Kaminröhren, die aus dem total verrotteten unterirdischen Krematorium hervorragen, kann jeder sehen. Sie sind der sichtbare Beweis dieses Versagens.

               (Beifall)

Sie werden meinen bisherigen Ausführungen sicher schon entnommen haben, dass die BFF‑Fraktion der völlig perspektivlosen und kontraproduktiven Vorlage M 71 nicht zustimmen wird. Das tun wir auch deshalb nicht, weil gerade unsere Fraktion sich im Rahmen eines mit hohem Zeitaufwand durchgeführten Akteneinsichtsausschusses besonders intensiv mit der Krematoriumpleite beschäftigt hat. Unser ehemaliger Fraktionsvorsitzender Wolfgang Hübner hat dazu eine Broschüre verfasst, die kürzlich sogar unter dem Titel „Das lange Sterben des Frankfurter Krematoriums - Die Geschichte eines politischen Versagens mit Todesfolge“ zum Pflichtbestand der Deutschen Nationalbibliothek bestimmt wurde. Die Schande ist also für den Nachwuchs bestens dokumentiert.

Was ist nun der Vorschlag der Bürger für Frankfurt im Hinblick auf die Regelung der kommunalen Kosten und Preise für das Friedhofs- und Bestattungswesen? Erstens, die Vorlage M 71 löst nicht die Probleme, sondern vergrößert sie noch. Einer solchen Vorlage können wir nicht zustimmen. Zweitens, in Anbetracht voller Kassen beim Bund muss die zivilisatorisch notwendige Sozialleistung des Sterbegeldes in ausreichender Höhe umgehend wieder gesetzlich eingeführt werden. Die Finanzierung wäre überhaupt kein Problem, wenn man in Berlin zu einer realistischen Politik für das eigene Volk fände.

               (Beifall)

Drittens, solange das noch nicht der Fall ist, müssen die Kosten und Preise für Friedhöfe und Bestattungen aus der Zwangsjacke einer Gebührenordnung herausgelöst werden. Mit anderen Worten, die Stadt Frankfurt subventioniert bis zur bundesweiten Wiedereinführung eines gesetzlichen Sterbegeldes den würdigen letzten Abschied von ihren Bürgern ebenso wie Theater, den Palmengarten und viele andere Einrichtungen. Diese Mehrkosten sollen diejenigen Parteien am wenigsten beklagen, deren Bundesspitzen 2003 das Sterbegeld auf dem Gewissen hatten. Viertens, Frankfurt baut, ob in kommunaler oder privater Verantwortung und Betreibung, ein Krematorium nach dem neustem Stand der Technik, damit der unsägliche Leichentourismus wieder beschränkt und die Anzahl der Urnenbestattungen auf den städtischen Friedhöfen gesteigert werden können. Denn wer fern von Frankfurt verbrannt wird, der wird auch oft fern von Frankfurt bestattet, doch ein Recht auf Heimat sollte auch unseren Toten zugestanden werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

               (Beifall)

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