Keine Sorge wegen Norge

Auch eine Kampagne gegen "Rechtspopulismus" führt nicht mehr an den sozialen Realitäten vorbei

Keine Sorge wegen Norge
© Kristin Charlotte Schmeding - pixelio.de

Es ist noch zu früh, um die wirklichen Folgen der vor kurzem geschehenen Mordtaten des norwegischen  Attentäters Anders Breivik zu sinnieren. Man wird beobachten müssen, ob und wohin sich die politische Kultur deshalb vielleicht verändert. Attentate wie dieses sind schrecklich und sie stimmen einen traurig. Sie sind schrecklich vor allem für die Familien, aus denen junges Leben gerissen wurde.

Angesichts des emotional ergreifenden Eindrucks der Folgen dieser Bluttat erscheint es somit perfide, wenn dieser Moment von einigen linksgerichteten Journalisten und Politikern benutzt wird, um eine Kampagne zu schüren. Eine Kampagne, die Kritiker von weiterer Einwanderung, von Islamisierung und Konzepten einer „multikulturellen Gesellschaft“ als  Stichwortgeber für Massenmörder zu stigmatisieren versucht. Ausländische Politiker, etwa die der österreichischen FPÖ oder der Niederländer Geert Wilders werden nun pauschal der Urheberschaft verdächtigt. Selbst Thilo Sarrazin, Henryk Broder oder zahlreiche andere Autoren wurden nun bereits schon wirr in suggestive Verbindung zu dem norwegischen Attentäter gebracht.

Sicherlich wird Realität durch Konstruktion in den Köpfen miterzeugt. Es kann somit zu einer Verschärfung bzw. erneuten Aufwallung all des alten „politisch-korrekten“ Ballasts kommen, der seit langem starke mediale Präsenz innehat. Natürlich frohlocken erst einmal die Falschen, weil ihnen wieder mal eine schon nicht mehr erwartete Präsenz in so genannten „Qualitätsmedien“ zuteil wird. Mittlerweile von Spinneweben verhangene Gespenster aus der „Antifa“-Gruseltruhe werden noch einmal ins Herrenzimmer von Schloß Tagesschau eingelassen. Doch ihre Thesen sind so alt wie ihre Gebeine. Man kennt sie etwa von der „Lichterketten“-Bewegung 1992/1993 bis zum „Aufstand der Anständigen“ 2000, der gar ohne bis heute nachweisbaren konkreten Anlass initiiert wurde. Nichts ist also neu an alledem Aktionismus. Sie werden von politisch interessierten Medienvertretern nur aus dem Grund ans Tageslicht gezerrt, weil der Zeitpunkt für eine Instrumentalisierung günstig erscheint.

Das Ziel ist altbekannt und durchsichtig. Es liegt allein in der Verschärfung der Informationskontrolle zwecks Absicherung eigener politischer Positionen. Und der Zeitpunkt einer Verunsicherungsphase scheint für ein solches Vorhaben stets günstig, weil man weniger Gegenwehr bei der schrittweisen Umsetzung seiner Ziele erwartet. Diejenigen, die sonst mit der Nase rümpfen würden und Plänen für mehr Zensur und Einschüchterung gar Widerspruch entgegensetzen, könnten momentan womöglich bereiter für Zugeständnisse sein oder gar in einer Phase des Verstummens angetroffen werden.

Selbst bei "Spiegel-Online" war man sich nicht zu schade, diesmal die sonst als „rassistisch“ verpönte Erwähnung von Körpermerkmalen eines Täters genussvoll zu thematisieren. Blond, blauäugig, skrupellos wird Attentäter Breivik bei "Spiegel-Online" klassifiziert oder bei dpa und "heute" kurz und neckisch als Blondschopf umschrieben. Man könnte sich die Reaktionen ausmalen, wenn es dort auch zu ähnlich geistreichen Charakterisierungen wie „Schwarzhaarig, hakennäsig, hintertrieben“ oder „Kraushaarig, dicklippig, brutal“ gekommen wäre. Man merke sich also: „Rassismus“ ist durchaus erlaubt, aber er muß offenbar „richtig“ kanalisiert geäußert werden.

Und natürlich wird sich dabei der alten rhetorischen Tricks bedient. Man könnte ebenso, wenn man denn wollte, viele dieser heutigen Kommentatoren eigenem Argumentationsstil suggestiv als Urheber für schwere Straftaten darzustellen versuchen, etwa als Begünstiger islamistischer Anschläge bzw. derartiger Versuche. Im gleichen Stil könnte man also, wenn mal wieder ein „autonomer“ Pflasterstein einen „rechten“ Demonstranten oder Polizisten lebensgefährlich verletzt, suggerieren, dass hier der Täter stand, dort aber die Worte fabriziert werden, die ihn erst zur Tat aufstachelten: „Wer Hass schürt, muss davon ausgehen, dass dieser Hass irgendwann explodiert. Aus Worten können Waffen werden.“ Solcherlei Suggestionen sind aber so richtig wie falsch.

Die Verantwortlichen für die jetzige Medienkampagne können solche hilflosen Versuche zur Verhinderung drängender Diskussionen noch einmal unternehmen, indes Lösungen für die sozialen Probleme bieten die Kampagnenbastler keine mehr. Auch ein Metternich kam im 19. Jahrhundert irgendwann nicht mehr an den sozialen Realitäten vorbei. Vieles an den Äußerungen des norwegischen Attentäters mag psychopathologische Ursachen haben, andere Teile seiner offenbar zusammengeklauten Analysen erscheinen auf den ersten Blick durchaus nicht durchgängig falsch.

Die Sorge vor künftigen Risiken durch vermehrte Einwanderung etwa wird durch die abscheuliche Mordtat nicht illegitimer. Hätte Breivik beispielsweise die Chefs wichtiger Energiekonzerne mit dem Hinweis auf die Gefahren der Kernkraft ermordet, so wäre dies eine ebenfalls verabscheuungswürdige Tat gewesen. Doch bei aller Distanzierung vom Attentäter und seiner falschen Schlussfolgerung im Tun, bei allem Warnen vor Nachahmungstätern, wären Kernkraftwerke deshalb allein nicht sicherer geworden, wären Solaranlagen oder Windräder deshalb nicht gleich widerlegt. Deshalb zumindest nicht. Im gleichen Maße wäre es also absurd, wenn nach einem islamistischen oder linksgerichteten Anschlag erklärt würde, von nun an dürfe man nicht mehr das Wort „Allah“ in den Mund nehmen oder von „sozialer Gerechtigkeit“ sprechen.

Natürlich existiert die Macht der Medien, falsche Emotionen zu erzeugen, gesellschaftliche Hassgefühle zu kanalisieren. Die Medien können dadurch die Wahrnehmung der real existierenden Probleme bei den Bürgern verzögern, zu teils verrückt-hysterischen Fehlreaktionen führen. Indes, nichts ändert sich am realen Befund (der demographischen Entwicklung, der wirtschaftlichen Krise, des Bildungsverfalls usw.), der auch den meisten der medienbeeinflussten Normalbürger in ihrem Alltagsleben nicht mehr verborgen bleibt.

Somit dürfte eine so durchsichtige Kampagne heute nicht mehr wirklich beim Bürger verfangen, wenngleich auf der administrativen Ebene die Zügel angezogen werden sollen. Viele besonnene, vernünftige Pressekommentare weisen in solche Richtung. Und die Bürger draußen im Land dürften zu müde sein, eine weitere „Lichterketten“-Bewegung zu über längere Zeit mitzutragen. Die realen Probleme sind doch mittlerweile selbst für naive Einheimische offenkundig und können gar nicht mehr durch alte „Anti-Rechts“-Kampagnen der Vergangenheit völlig wegretuschiert werden. Selbst noch so viele Artikel gegen „christliche Fundamentalisten“, „Islamkritiker“ und „Rechtspopulisten“ nehmen den Menschen nicht die reale Angst zunehmend gewaltbereiten Gruppen junger Männer, wenn sie abends in die U-Bahn steigen. Gerade angesichts der Verschärfung der ökonomischen Krise und daraus eventuell resultierenden sozialen Unruhe ist ein ehrlicher Diskurs über die Integrationsprobleme ganzer Bevölkerungsteile dringender nötig, als der Aufbau neuer Sprechtabus.

Über die extremistische und eventuell geisteskranke Charakterstruktur des norwegischen Attentäters wird es sicherlich noch nähere Erkenntnisse geben. Einerseits kann eine Zunahme von Amokläufen oder derartigen „begründeten“ Taten in der westlichen Welt etwas mit gesellschaftlicher Vereinzelung, abnehmender familiärer Kontrolle und falschem Medienkonsum zu tun haben. Andererseits ist das Problem natürlich auch durch die mediale Isolierung ganzer politischer Milieus von den etablierten Kräften hausgemacht. Durch repressives Verhalten der Mächtigen bedingt ins „Abseits“ gedrängte Positionen ziehen eben auch „abseitige“ Charaktere an. Auch solche, die sich nur aus Versatzstücken der politischen Diskussionen eine „Begründung“ für ihr Tun zusammenzimmern mögen. „Extremismus“ wird also zum Teil durch Ausgrenzung ganzer politischer Milieus vom öffentlichen Diskurs miterzeugt. Er entsteht durch die zunehmende innere Spannung, die aus dem Spagat zwischen erlebter Realität und offiziell propagierter Ideologie resultiert.

Aus seiner Sicht handelte der Attentäter vermutlich „rational“, indem er den potentiellen Nachwuchs derjenigen politischen Gruppierung, die er für die gesellschaftliche Misere hauptverantwortlich macht, teils beseitigte. Es ist dies ein Denken, das auch bei vielen Völkermördern der Vergangenheit immer wieder auftrat: Mit der physischen Ausrottung einer bestimmten Gruppe würde das Übel von der Erde verschwinden. Doch ganz abgesehen von der moralischen Abscheulichkeit der vorliegenden Tat: Einzeltaten jeder Couleur bringen politisch nicht mehr als das Setzen eines Ausrufezeichens. Es war schließlich auch nicht Pfarrer Brüsewitz, der letztlich die DDR zum Wanken gebracht hat. Das haben die realen Verhältnisse bewirkt und das Zusammenspiel vieler Akteure zur rechten Zeit.

Abgesehen davon, dass Breiviks Denken also offenbar von Selbstüberschätzung und daraus folgender Selbstinszenierung geprägt ist, da jeder politischen Hydra stets neue Köpfe nachwachsen, hat er nicht den eigenen kulturellen Kontext verstanden, in dem er - der angebliche „Christ“ - aufgewachsen ist. Ein Attentat, das in anderen Kulturkreisen vielleicht mit einem Schulterzucken beantwortet würde, gar mit einer Würdigung als „Märtyrer“, führt in unserem christlich und humanistisch geprägten Kulturkreis zum Gegenteil: Zur Solidarität mit den Opfern. Oder wäre möglichenfalls gerade diese Breiviks wahre Absicht gewesen? Die Kritiker der bisherigen Integrationspolitik in ein schlechtes Licht zu rücken, zu schwächen, somit die Verhältnisse weiter eskalieren lassen? Das Chaos zu erzwingen, aus dem dann das christliche Europa erst wiedergeboren werden könnte? Dies wäre eine perfide Variante des Ziels jenes offenbar durchaus intelligenten Attentäters.

Man sollte sich nicht die zukünftige gesellschaftliche Diskussion von einem Breivik diktieren lassen. Auch nicht von jenen, die aus der Tat politisches Kapital zu ziehen versuchen, indem sie wahllos Verdächtigungen streuen und oder angeblich verantwortliche „Schreibtischtäter“ anprangern. Die Bluttat wird indes für die politische Situation unerheblich bleiben. Sie wird nichts verändern, denn die gesellschaftlichen Strukturen und Probleme bleiben vor und nach ihr die gleichen. Es sei denn, man nimmt die zum Anlass, nun endlich den öffentlichen Diskurs zu befreien.

Somit könnte sogar eine „Kampagne gegen Rechtspopulismus“, vor der nun manche zittern mögen, positive Wirkung zeigen. Pauschale Abwehr mit Hinweis auf Breiviks Freimaurer-Funktion und Bio-Landwirtschaft ist dabei gar nicht nötig, zumal sich die Tat ja nicht gegen Anti-Freimaurer oder Massentierhalter richtete. Kritische Selbstreflexion führt immer zur Weiterentwicklung. Sie ist also gut für konservative Kreise, die dadurch letztlich viel mehr profitieren werden, als jene Linken, die nun vielleicht autistisch versuchen mögen, ihre alten Kampagnen abzuspulen.

Es wird also oft mit zweierlei Maß gemessen. Je nach politischer Absicht werden bestimmte Ereignisse als nachhaltige Bedrohung oder harmlose Einzeltat dargestellt. Gerade deshalb wäre es gut, einmal inne zu halten und bei aller unterschiedlicher Auffassung auch Selbstkritik zu üben. Das betrifft die linken Medien ebenso wie das Spektrum der Islamkritiker. Bei den einen reicht oft bereits ein von einem losen Dachziegel verletzter Passant, damit sich in den Kommentarspalten von „pi-news“ wüste Spekulationen über muslimische Machenschaften entwickeln. Die andere Seite muss sich fragen, ob sie auch so anteilnahmsvoll darüber berichtet hätte, wenn ein Juso-Mitglied ein Attentat auf eine Gruppe junger „Rechtspopulisten“ unternommen hätte. Würde es in diesem Fall Gleichbehandlung geben oder nur wieder eine Opferhierarchie? Die bisherige Praxis der Medien im Umgang mit früheren Vorfällen linker Gewalt spricht für letzteres.

Vielleicht gelangt man durch die Selbstreflexion ja auch zu der Einsicht, sich intensiver und kritischer mit den eigentlichen Verantwortlichen der gegenwärtigen politischen und demographischen Probleme auseinander zu setzen. Es ist ja schließlich auch bequem, sich in Kommentarspalten einschlägiger Internetseiten über Kopftücher oder anonyme Muslims zu erregen, sich am Anblick irgendwelcher, letztlich völlig unschuldiger Dönerbrater abzureagieren. Der Verantwortliche indes ist (noch immer) weiß und deutsch, trägt einen Namen und sitzt in TV-Anstalten, großen Printredaktionen, Kultureinrichtungen und - gar demokratisch legitimiert - in den politischen Gremien. Vorzugsweise geht sein Nachwuchs auf eine Privatschule, um den Auswirkungen des eigenen Tuns entzogen zu sein. Diese Eliten friedlich und kritisch zu hinterfragen ist ein emanzipatorischer Akt des demokratischen Bürgers.

Ein Breivik mag sich als „Held“ fühlen, seiner „Überzeugung“ durch eine solche Tat Ausdruck verliehen zu haben. Indes, eskalieren und sinnlose Taten begehen kann jeder Verrückte, jederzeit. Wahre Helden indes sind jene, die angesichts großer politischer Probleme den nüchternen Blick behalten, Ausharren, den Alltag in dieser Gegenwart ertragen. Wahre Helden sind jene, die sich auch angesichts einer möglichen durchsichtigen und schamlosen Kampagne gegen „Rechtspopulisten“ unbeeindruckt zeigen, die weiter ihre Position sachlich und selbstkritisch vertreten.


Marlis Lichtjahr, 05. August 2011

Leserkommentare (2)

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"...Kritische Selbstreflexion führt immer zur Weiterentwicklung. Sie ist also gut für konservative Kreise, die dadurch letztlich viel mehr profitieren werden, als jene Linken, die nun vielleicht autistisch versuchen mögen, ihre alten Kampagnen abzuspulen..."
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Dank dafür!
Der Beitrag macht Mut.

Dieser Beitrag ist die Summe der besten Gedanken, die in einzelnen Artikeln bislang zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Dickes Kompliment!

Besonders gefällt die historische Weite: Irgendwann kam auch Metternich nicht mehr weiter: In der Tat! Und nicht Brüsewitz (ich sehe mitlesende Journalisten bei Wikipedia nachschlagen, wer das eigentlich ist) hat die DDR zu Fall gebracht, sondern die Realität selbst war es; da hat auch die Stasi nichts mehr genutzt. Diese geistige Weite hat Breivik ganz offensichtlich gefehlt.

Einen Vergleich möchte ich hinzufügen: Den linksextremen Mörder des Vorgängers von Geert Wilders, Pim Fortuyn, der meinte, er könne die Niederlande nur noch auf diesem Wege vor dem Schlimmsten bewahren: Für mich das direkteste politische Spiegelbild zu Breivik.