„Die Parteien haben dem Volk die Macht entrissen“

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Dr. Seyed Shahram Iranbomy

„Die Parteien haben dem Volk die Macht entrissen“


Herr Dr. Dr. Iranbomy, Sie sind seit über 30 Jahren ehrenamtlich in den Bereichen Bildung, Integration sowie Recht und Sicherheit in Frankfurt tätig. Wann sind Sie nach Deutschland gekommen und welche Erinnerungen haben Sie daran?

Meine Großmutter war pensionierte Schulleiterin und lebte in Frankfurt. Nachdem ich sie als Kind in den Schulferien ein paar Mal besucht hatte, sind wir als Familie im Jahr 1981 aus Persien nach Deutschland ausgewandert. Damals habe ich darüber gelacht, daß das Taxi am Flughafen ein teurer Mercedes Benz war, die Polizei aber weiß-grüne VW-Käfer fuhr. Auf dem Weg mit dem Taxi vom Flughafen zu meiner Großmutter fing es plötzlich an, stark zu regnen und ich konnte beobachten, wie die Verkehrspolizisten auf der Kreuzung im Nu ihre Regenmäntel überzogen und begannen, den Verkehr in dem Wetterchaos zu regeln. Zu meinem großen Erstaunen hielten sich alle Autofahrer an die Anweisungen der Polizisten! Es herrschte solch eine Ordnung, die ich von meiner Heimat im Straßenverkehr so nicht kannte. Als wir dann bei meiner Großmutter ankamen, erlebte ich innerhalb von wenigen Minuten meinen dritten Kulturschock. Vor ihrem Haus standen zwei ältere deutsche Nachbarinnen, beide hatten ein Kopftuch auf, eine trug eine Kittelschürze. Das kannte ich von zuhause überhaupt nicht, denn bei uns in der Schah-Zeit waren die Frauen immer sehr schick angezogen und zurechtgemacht, wenn sie in die Öffentlichkeit gingen.

Sie haben Ihre Abiturprüfung vor der Prüfungskommission in Frankfurt am Main auf dem Dritten Schulweg abgelegt und ein sogenanntes „Begabtenabitur“ erworben. Danach haben Sie studiert und in zwei Fakultäten promoviert. Gab es da nie eine Phase, in der Sie sich überfordert gefühlt haben?

Die persische Kultur, aus der ich stamme, ist eine Bildungs- und Hochkultur. Nicht nur, daß vieles, was wir heute als Errungenschaften in der Mathematik, der Medizin und den Naturwissenschaften haben, dort seinen Ursprung hat. Die persische Literatur gehört zu der ältesten überhaupt und zeichnet sich aus durch die Schönheit ihrer Sprache, die auf der ganzen Welt bewundert wird. Mein Vater, der leitender Regierungsdirektor für Schutz und Sicherheit für die Hauptstadt Teheran und Umgebung war, hat mir von klein auf mit auf den Weg gegeben: „Alles im Leben kannst Du verlieren, aber nicht das, was Du im Kopf hast.“. Nach dem Erwerb des Begabtenabiturs habe ich an der Johann Wolfgang Goethe-Universität studiert und die akademischen Grade „Doktor der Philosophie“ und „Doktor der Rechtswissenschaften“ erworben. Mein erstes Staatsexamen in Jura legte ich bereits nach sieben Fachsemestern ab - das war für einen Studenten mit Migrationshintergrund damals eine Rekordzeit in Deutschland!

Seit mittlerweile gut 20 Jahren sind Sie niedergelassener Anwalt mit einer eigenen Kanzlei mit Hauptsitz im Frankfurter Westend. Eine Ihrer vielfältigen ehrenamtlichen Aufgaben, die Sie in den letzten Jahren ausgeübt haben, war die des Antidiskriminierungsbeauftragten beim Stadtelternbeirat in Frankfurt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit den Bürgern Für Frankfurt BFF. Erzählen Sie doch einmal darüber.

Im Ausschuss für Bildung und Integration der Stadt Frankfurt war der damalige Fraktionsvorsitzende der BFF, Wolfgang Hübner, mein Sitznachbar. Bei unserer ersten Begegnung gab es um ein Haar einen Streit, wer von uns beiden denn nun wo den richtigen Sitzplatz hat. Nicht nur im Gerichtssaal ist es wichtig, wo wer sitzt. Auch in den Fachausschüssen gibt es natürlich eine Sitzordnung. Anfangs grüßte er mich gar nicht oder nur knapp und das Verhältnis war eher distanziert. Nach einer heftigen politischen Auseinandersetzung zwischen uns beiden in einer der darauf folgenden Ausschusssitzungen kam er anschließend auf mich zu und lud mich zu einem Fachgespräch „mit kühlem Kopf“ in sein Fraktionsbüro ein.

Dieses und unsere weiteren Gespräche über Vielfältigkeit, Integration von Minderheiten sowie Bildungschancen von Migrantenkindern aus sozial schwachen Familien waren konfrontativ, aber immer sachlich und von gegenseitiger Achtung geprägt.

Konnten Sie in diesen Gesprächen einen gemeinsamen Nenner finden?

Wenn ich es salopp zusammenfasse, haben wir beide festgestellt, daß im Laufe der Zeit Vertrauen zwischen uns gewachsen ist. Es ist wie in der Gesellschaft - Vertrauen verbindet uns. Vertrauen schafft man aber nicht durch leere Worthülsen, sondern durch tatkräftige Handlungen. Letztlich sind Herr Hübner und ich darin übereingekommen, daß Frankfurt unsere Heimat ist und sich niemand fremd und ungerecht behandelt fühlen darf.

Gab es später konkrete Initiativen, bei denen die Bürger Für Frankfurt BFF Ihre Expertise in den Bereichen Bildung und Integration in Anspruch genommen haben?


Es gab tatsächlich mehrere Fälle, in denen die BFF-Fraktion im Römer mich dann im Vorfeld zu parlamentarischen Anfragen und Anträgen konsultiert und um meine fachliche Einschätzung gebeten hat. Aber ganz besonders herausragend aus meiner Sicht war die Forderung der Bürger Für Frankfurt, die Ombudsstelle für Antidiskriminierung bei der Stadt Frankfurt deutlich aufzuwerten und ihr den Status einer eigenen Behörde zu geben. Dass eine solche eigenständig fungierende städtische Antidiskriminierungsstelle die gleichberechtigte Behandlung aller in Frankfurt lebenden Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sicherstellen sollte, deckte sich exakt mit meinen Vorstellungen. Übrigens auch noch heute.

Werden auch Deutsche diskriminiert?

Natürlich, Diskriminierung ist Alltag. Nicht nur Migranten oder Juden werden beschimpft, sondern in bestimmten Milieus in Frankfurt werden mittlerweile auch Wendungen wie „Du Deutscher“ oder „Du Kartoffelfresser“ als Beleidigungen benutzt, wenn sich Jugendliche gegenseitig beschimpfen.

Sollten die Betroffenen durch die neu zu schaffende Antidiskriminierungsstelle auch an den Schulen eine Anlaufstelle bekommen?

Ja, Eltern, Schüler und Lehrer könnten ihre Probleme dann endlich bei einer zentral dafür eingerichteten städtischen Behörde vortragen. Es ist doch ein Armutszeugnis für unsere Stadt, daß der Magistrat in seinem jüngsten Bericht B73 zu Antisemitismus und religiösem Mobbing an Frankfurter Schulen auf keine Fallzahlen des Staatlichen Schulamtes zurückgreifen kann, sondern diese bei der Bildungsstätte Anne Frank abfragen muß, die über eine eigene Meldestelle verfügt.

Die Bürger Für Frankfurt BFF haben bereits 2010 in ihrer Grundsatzerklärung „Integration stärkt Frankfurt“ das möglichst weitgehende Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift als eine der Grundanforderungen für erfolgreiche Integration angeführt. Dafür wurde die BFF damals vom politischen Gegner in die „rechte Ecke“ geschoben. Stimmen Sie der These zu, daß der Erwerb der Sprache einer der Schlüssel zur Integration ist?

Die Sprache beeinflusst selbstverständlich in hohem Maße unsere Identität und unser Selbstbewusstsein. Wer die Sprache des Landes, in dem er lebt, nicht beherrscht, kann sich nicht entsprechend integrieren und wird sich in Folge häufig unverstanden und damit auch benachteiligt fühlen. Das wiederum führt zu einer Marginalisierung und Gettoisierung, die dem Ideal einer zukunftsorientierten und damit positiv ausgerichteten Stadtgesellschaft entgegenstehen.

Herr Dr. Dr. Iranbomy, was ist Ihr ganz persönliches Rezept für gelingende Integration?

Es ist nicht einfach, das hier in Kürze wiederzugeben. Eine starke und gerechte Gesellschaft kann man am ehesten dadurch erreichen, wenn die Menschen sich nicht fremd oder ungerecht behandelt fühlen und ihnen eine soziale und ökonomische Zukunftsperspektive durch inklusives Wachstum und Bildungschancengleichheit eröffnet wird. Weitere Grundvoraussetzungen für gelingende Integration sind auch die persönliche Fähigkeit und der Wille des Einzelnen dazu. Dabei ist auch der Prozess der Akkulturation zu beachten. Und als Jurist lege ich natürlich Wert darauf, daß unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung von allen, die hier leben, nicht nur akzeptiert, sondern auch gelebt wird.

Bedeutet das, daß wir einen starken Staat brauchen?

Eine parlamentarische, also repräsentative Demokratie kann am besten im Rahmen von einem starken, gerechten und vom Volk kontrollierbaren Staat gewährleistet und gesichert werden. Die Demokratie wiederum lebt von Demokraten. Deshalb ist es auf allen Ebenen, aber auch und gerade im kommunalen Bereich wichtig, daß wir Menschen finden, die sich im ehrenamtlichen Bereich engagieren. Denn nur eine streitbare, wehrhafte Demokratie ist zugleich auch ein Schutz vor Extremismus aus allen Richtungen und Machtmissbrauch der Herrschenden.

Herr Dr. Dr. Iranbomy, in Ihrer Dissertation im Fachbereich Rechtswissenschaft mit dem Titel „Demoskopie und Demokratie“ haben Sie sich unter anderem auch kritisch mit der Problematik der Parteiendemokratie auseinandergesetzt. Nun sind die Bürger Für Frankfurt BFF ja ganz bewußt keine Partei, sondern als unabhängige Wählervereinigung organisiert. Was genau ist Ihre Kritik an unserem „Parteienstaat“, so wie Sie es nennen?


Im Rahmen meiner wissenschaftlichen Demokratieforschungen in Oxford, Genf, Salzburg und Frankfurt, die ich unter der Leitung des ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Dr. Winfried Hassemer und Herrn Prof. Dr. Otto Kimminich durchführte, habe ich aufgezeigt, wie die politische Demoskopie als modernes staatsrechtliches Instrument eingesetzt werden kann, um die Defizite der heutigen Parteiendemokratie in Deutschland zu erkennen und entsprechend zu beseitigen.

Nach dem Grundgesetz dürfen die politischen Parteien nicht weisungsgebunden oder eigennützig, sondern nur im Interesse des Volkes und dessen Gemeinwohl handeln. Dass die Realität eine andere ist, wird wohl kaum jemand bestreiten. Leider erleben wir stattdessen sogenannte „Volksvertreter“, die zumeist ihre eigenen Interessen vertreten und sich, weil sie wiedergewählt und an der Macht bleiben wollen, ihren eigenen Parteien gegenüber gefällig verhalten. Denn eine „Karriere“ in der Politik setzt zwangläufig zunächst eine Parteikarriere voraus. Dazu muß man dem inneren Zirkel der jeweils eigenen Partei gefallen. Dieses Phänomen nennt man ja bekanntlich „Parteisoldat“. Im Grundgesetz Artikel 20, Absatz 2, Satz 1 ist festgelegt, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Doch durch die Vormachtstellung der politischen Parteien ist dies nur noch Makulatur und die Parteien haben de facto dem Volk die Macht entrissen. Gerade auf der kommunalen Ebene ist es daher wichtig, daß es solche unabhängigen Wählergruppen wie die BFF gibt, in denen sich Menschen ehrenamtlich und aus Überzeugung für eine gerechte und lebendige Demokratie einsetzen. Wir brauchen keine Wutbürger, sondern Mutbürger!

Vielen Dank für das Gespräch!



ZUR PERSON

Dr. phil. Dr. jur. Seyed Shahram Iranbomy ist seit 2000 als Strafverteidiger mit dem Schwerpunkt Antidiskriminierung tätig. Daneben hat er als Hochschuldozent in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialrecht und Allgemeines Gleichbehandlungsrecht unterrichtet.

Er war der erste Schulsprecher in Frankfurt am Main mit Migrationshintergrund und später Antidiskriminierungsbeauftragter des Stadtschülerrats. Im Jahr 1990 wurde er als ständiger Beobachter bei den Verhandlungen des Europäischen Parlaments im Bereich Rassismus und Xenophobie zugelassen. Der damalige Frankfurter Stadtrat Daniel Cohn-Bendit (GRÜNE) verwendete sich in diesem Zusammenhang beim Französischen Generalkonsul erfolgreich für die Aufhebung des seinerzeit noch geltenden Visumzwangs für Herrn Iranbomy.

Zusammen mit Daniel Cohn-Bendit, Liselotte Funcke, Heiner Geißler und Dorothee Sölle veröffentlichte er als Herausgeber das Buch „Einwanderbares Deutschland oder Vertreibung aus dem Wohlstands-Paradies?“, das 1991 im Horizonte Verlag Frankfurt erschien. Von 2009 bis 2016 hatte er die Funktion des Völkerverständigungsbeauftragten beim Frankfurter Stadtelternbeirat inne. Insgesamt engagiert sich Dr. Dr. Iranbomy bereits seit über 30 Jahren ehrenamtlich in der Bildungs- und Integrationsarbeit.


Claus Folger

Leserkommentare (4)

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Was ist das denn für ein Photo? Warum legen die alle dieser Frau im Vordergrund die Hand auf die Schulter?
Kann mir schon vorstellen, was für eine das wieder ist. Eine, die sich sehr gut durchsetzt und gut im Manipulieren ist, sage ich mal. Beim Erfolg von Frauen geht es leider meist ums Aussehen, auch oder sogar gerade dann, wenn sie sich als frauenrechtlerisch geben.
Mich würde der Zusammenhang zum Artikel interessieren.

Ich weiß nicht, aber irgendwie stört mich auch an diesem Interview schon wieder diese Überheblichkeit und Angeberei des Interviewten.
Ich kenne wenige Deutschstämmige, die in solchem Stil sprechen würden.
Jedenfalls nicht mein persönlicher Geschmack.

interessantes Gespräch!

Es ist langsam die Zeit ,sie als Stellvertreter für Gerechtigkeit im Parlament sehen.