Mehr Christdemokratie wagen? Mehr Mut!

Das Bewerbungsschreiben des Uwe Becker

Mehr Christdemokratie wagen? Mehr Mut!
© Daniel Stricker - pixelio.de

FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer
Kommentare/Meinungen 19/2011

"Mehr Demokratie wagen" wollte einst SPD-Legende Willy Brandt. Der Spruch war in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts außerordentlich erfolgreich und ist noch immer in der Erinnerung von Millionen. Uwe Becker war zwar noch ein Kleinkind, als dieser Spruch des früheren Bundeskanzlers kursierte. Doch der Frankfurter CDU-Politiker und Kämmerer Becker und seine Berater wissen um die magische Wirkung der drei Worte, die nun in variierter Fassung zum Titel eines Positionspapiers von Becker bestimmt wurden: "Mehr Christdemokratie wagen".

Auf knapp 13 Seiten mit großzügigen Zeilenabständen legt Becker damit sein Bewerbungsschreiben für die von ihm seit einiger Zeit offen angesteuerte Kandidatur als CDU-Bewerber für die Oberbürgermeister-Wahl im Jahr 2013 vor. Der Kämmerer gilt als Favorit der derzeitigen Amtsinhaberin Petra Roth, was in machen Kreisen der CDU keineswegs als besondere Empfehlung gilt. Wenn Becker sich gegen den Frankfurter CDU-Vorsitzenden und hessischen Innenminister Boris Rhein, der auch Ambitionen auf die Chefposition im Römer hat, am Ende innerparteilich durchsetzen will, muss er Eigenständigkeit demonstrieren.

Schauen wir uns also an, ob und wie er das tut: Bereits mit der Überschrift lässt ausgerechnet der als sehr vorsichtig und bedächtig bekannte Becker anklingen, dass die CDU in Frankfurt - und nicht nur dort - unter ihren Möglichkeiten bleibt und deshalb mehr Mut zu eigenen Standpunkten haben sollte. Becker, so schreibt der Politiker, will jedenfalls Denkanstöße dazu geben.

Das erste Kapitel des Positionspapiers ist mit "Antworten auf komplexere Fragen finden" überschrieben. Zunächst erfahren wir nur, was wir alle längst wissen, dass nämlich die moderne Welt reichlich kompliziert ist und es deshalb die Politik nicht leicht hat mit Entscheidungen, die auch noch richtig sein sollen. "Umso wichtiger ist es, einen klaren Kompass zu besitzen, der den Menschen vermittelt, wohin die Reise gehen soll." Das ist trotz des verunglückten Bildes vom "klaren Kompass" in Zeiten des konturlos-opportunistischen Zickzack-Kurses der CDU-geführten Bundesregierung eine löbliche Einsicht.

Welchen Kompass benutzt der Politiker Becker? "Dass Fundament unserer Politik ist der Wertekanon unseres christlich-jüdisch geprägten abendländischen Gesellschaftssystems. Daraus lässt sich nach wie vor unsere Politik ableiten und der Unterschied zu anderen Parteien herausarbeiten." Der erste Satz steckt voller Begriffe, die näherer kritischer Betrachtung lohnten. Doch davon soll hier abgesehen werden, damit wir uns auf Beckers Argumentation konzentrieren können. Und die lautet: Christliche Nächstenliebe gleich solidarische Sozialpolitik, Bewahrung der Schöpfung gleich nachhaltige Umwelt- und verantwortbare Energiepolitik sowie Generationengerechtigkeit. So könnten viele Politiker der Grünen und der SPD allerdings problemlos auch argumentieren.

Moralisieren statt Krisenanalyse

Spannender wird es schon, wenn Becker auf den "gewichtigen Teil des Markenkerns der CDU - das Eintreten für eine soziale Marktwirtschaft" zu sprechen  kommt. Doch hier wartet die erste große Enttäuschung des Textes auf den Leser. Denn die "soziale Marktwirtschaft", die einst das langjährige Nichtmitglied Ludwig Erhard zum Erfolgsrezept und "Markenkern" der CDU  machte, wird von Becker zwar beansprucht und beschworen, doch worin im Ge- oder besser Missbrauch derselben durch die CDU noch der Unterschied zur SPD und den Grünen liegen soll - darüber weiß Becker nur wenig und nichts Substantielles zu sagen.

Dabei wäre nichts interessanter als zu wissen, welchen Weg der Kämmerer der reich an Steuereinnahmen, aber auch reich an sozial schwachen Bewohnern befindlichen Stadt Frankfurt weist, um ausgeglichene Haushalte und Finanzen zu erreichen. Das immerhin müsste ja geradezu Pflichtaufgabe für eine der "sozialen Marktwirtschaft" verbundenen, nicht aber der globalistischen Kreditökonomie verfallenen CDU sein.

Was Becker in dem späteren Kapitel "Die CDU hat eine Tradition als soziale Partei" dazu formuliert, ist jedoch entweder schwammige Rhetorik wie: "Wir wollen den Weg der sozialen Marktwirtschaft gehen, in dem der Staat den Rahmen setzt und zugleich Eigeninitiative und Engagement fördert" oder ein hilflos moralisierender Erklärungsversuch wie:  "Die Wirtschafts-und Finanzkrise hat uns vor Augen geführt, dass Zügellosigkeit und ungebremste Giere Einzelner ganze Volkswirtschaften ins Wanken bringen kann. Dort, wo das freie Spiel der Kräfte herrscht, gilt nur der kurzfristige Erfolg des Stärkeren - der Erfolg der Rendite im Hier und Jetzt. Die Antwort darauf ist zu Recht eine Regulierung mit Augenmaß."

Die Großbanken, die im Finanzzentrum Frankfurt mit ihren Profiten nicht wenig zur viel beneideten Kassenlage der Stadt beitragen, werden beim Lesen solcher Sätze nur müde lächeln. Und wie eine "Regulierung mit Augenmaß" aussehen könnte, verrät uns Uwe Becker schon deshalb nicht, weil weder er noch die CDU-Bundeskanzlerin weiß, wie diese in Zeiten der Finanzmarkt-Tsunamis aussehen könnte. Deshalb soll ihm das nur milde zum Vorwurf gemacht werden. Dass der Politiker in hervorgehobener Stellung ausgerechnet am Standort der EZB nichts zur Euro-Krise und den rapide wachsenden Ängsten der Bürger um den Wert des Geldes zu sagen hat oder sich nicht zu sagen getraut, ist weniger entschuldbar. Was bedeutet "Mehr Christdemokratie wagen" in dieser dramatischen und vielleicht bald auch tragischen Situation? Von dem CDU-Politiker erfahren wir es nicht.

Defensive reicht nicht

Die nächste große Enttäuschung im Positionspapier stellen die Ausführungen zu dem für Frankfurt so wichtigen Thema Einwanderung und Integration dar. Zwar vermeidet Becker Jubelgesänge über die im Vorjahr auch mit allen CDU-Stimmen durchgesetzte "Vielfalt"-Ideologie, die ja nichts anderes als der gerade in England so spektakulär gescheiterte Multikulturalismus in neuer Verpackung ist. Aber auch bei ihm reicht es, wenn Einwanderer "die Gesetze und Regeln unseres Landes und selbst auch die Freiheit des jeweils anderen achten". Hat Becker überhaupt keinen Sinn dafür, dass das Anforderungen sind, die auch für jeden "Altdeutschen" gelten, also selbstverständlich sind?

Wenn er dann schreibt, Integration "einfordern"  sei notwendig, vergisst oder verdrängt er, dass auch mit der Stimme des Politikers Becker im Herbst  2010 ein Konzept verabschiedet wurde, in dem von "einfordern" nicht mehr die Rede ist. Wenn er das ändern will, müsste er konsequenter Weise das "Vielfalt"-Konzept grundsätzlich in Frage stellen. Nichts jedoch spricht für eine solche Absicht des OB-Aspiranten.

Wie sehr die CDU inzwischen in die Defensive gedrängt ist, beweisen die Ausführungen zur Bildungspolitik. Denn wenn Becker schreibt, "dass ohne die CDU an verantwortlicher Stelle sehr schnell ein komplettes Umsteuern hin zur Einheitsschule auch in Frankfurt die Folge wäre", dann sieht auch er die Rolle seiner Partei nur noch darin, "für eine austarierte Politik vor Ort zu sorgen." Selbstbewusstsein und eigenständiger Wille zur Gestaltung klingen anders. Das trifft auch auf die nicht weiter erwähnenswerten Ausführungen zur Verkehrs-politik zu.

Heimat gleich Eppelwei und Handkäse

"Identität braucht Identifikation" - dieser Satz am Anfang eines Absatzes in Beckers Papier macht noch einmal neugierig. In einer Großstadt mit einem immer größeren Bevölkerungsanteil von Menschen nichtdeutscher Herkunft sind Identität und Identifikation Schlüsselbegriffe für die Perspektive als Gemeinschaft. Der CDU-Politiker gebraucht in dem Absatz fast schon demonstrativ oft das unverwechselbare deutsche Wort "Heimat" und schreibt trotzig: "Während andere Parteien den Begriff der Heimat vor Jahren in die politische Mottenkiste gepackt haben, ist Heimat für uns Ausdruck dafür, Frankfurt im Herzen zu tragen und  als Teil der eigenen Identität zu empfinden."

Na ja, möchte man da sagen, wer in Frankfurt lebt, wird das selbstverständlich als "Teil der eigenen Identität" betrachten. Wer in Dortelweil oder Heusen-stamm lebt, der wird allerdings diese Orte ebenso als "Teil der eigenen Identität" empfinden, wie denn auch sonst. Ob es zuträglich fürs Zentralorgan des Körpers ist, "Frankfurt im Herzen zu tragen", wollen wir mal beiseite lassen, ein bisschen Kitsch darf halt auch in politischen Positionspapieren walten.

Doch was macht eigentlich Frankfurt zur Heimat? Laut Becker dies: "Ob Hochhauskulisse oder Mainufer, ob Dom, Paulskirche oder Römer, ob Goethehaus oder Gutenbergdenkmal, ob Ebbelwei, Grüne Soße oder Handkäs mit Musik, all diese Besonderheiten bilden eine Heimat".

Gewiss tragen diese "Besonderheiten" zum speziellen Heimatempfinden bei, wenngleich längst nicht bei allen Bewohnern Frankfurts. Aber Heimat, das ist eben auch und vorrangig deutsche Sprache, Kultur, Sitte, Tradition, Geschichte,  Gemeinsamkeit. Davon redet Becker lieber nicht in der "Vielfalt"-Stadt. Denn dann käme er sehr schnell in argen Widerspruch zum fast gleichstark gewordenen Koalitionspartner und auch seiner spät, doch umso eifriger ergrünten Oberbürgermeisterin, die gemeinsam Frankfurt als "Global City" mit folkloristischem Beiwerk begreifen.

Die Grünen haben sogar auf ihren Plakaten den nicht nur für aufrechte Christdemokraten höchst aufschlussreichen Begriff "Heimat Babylon" gebraucht, um ihr ganz besonderes Frankfurt-Verständnis zu demonstrieren. Uwe Becker dürfte das nicht entgangen sein. Aber er wagt den Konflikt nicht, der schon deshalb notwendig wäre, um dem eigenen Heimat-Begriff die Tiefenschärfe zu geben, die im Text fehlt.

Becker, der als Kämmerer auch für die beiden Amtskirchen zuständig ist, bezieht sich an einer Stelle seines Textes auf die Auseinandersetzungen über die Feiertagsruhe und ihre provokative Störung durch grün-linke Gruppen am Karfreitag dieses Jahres. Wiederum formuliert der CDU-Politiker sehr defensiv: "Während andere hier die Auffassung vertreten, dies sei alles nicht mehr zeitgemäß, müssen gerade wir als CDU darauf achten, dass wir nicht die Ankerpunkte unserer Gesellschaft lösen und anschließend den Wertverfall der Gesellschaft beklagen müssen."

Dies lesend, möchte man Becker zurufen: "Wenn du mehr Christdemokratie wagen willst, dann musst du sehr viel mehr Mut aufbringen, als dieser Text verrät!"

Nur ein Kandidat für ruhige Zeiten

Der CDU-Politiker Uwe Becker ist zweifellos kompetenter und seriöser sowie als Repräsentant geeigneter als Peter Feldmann und Michael Paris, die beiden SPD-Bewerber um die OB-Nominierung. Der solide Ehemann und Familienvater wird das auch im Vergleich zu jedem möglichen Kandidaten der Grünen sein. Und ob er seinen machtbewussten Parteirivalen Boris Rhein ausmanövrieren kann, soll eine rein interne Angelegenheit der CDU und ihrer Strömungen sein.

Für Frankfurt wird der Christdemokratie-Beschwörer nur dann auch der geeignete Oberbürgermeister sein, wenn in der Stadt die Verhältnisse ruhig und die Einnahmen erträglich bleiben. Sollte es jedoch - wofür einiges spricht -anders kommen, muss Beckers Eignung bezweifelt werden. Denn der Kämmerer hat nun schon frühzeitig dokumentiert, allzu zaghaft die Probleme zu benennen, vor denen nicht nur, aber in besonderer Weise die CDU steht. Und wem es schon bei der Benennung an Klarheit und Mut mangelt, wieso sollten dem die richtigen, entschlossenen Lösungen der Probleme in den kommenden Krisen zugetraut werden?



Wolfgang Hübner, 21. August 2011 

Leserkommentare (1)

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Das Problem der CDU ist schon lange, dass der Begriff des Christentums inzwischen vollkommen und restlos von Grün-Links gekapert worden ist. Christentum wird hierzulande geradezu befreiungstheologisch interpretiert. Christentum als eine sozialistische Orgie der Solidarität, pardon: Nächstenliebe. - Gebote und Pflichten, Tugend und Familie hingegen werden kaum als christlich wahrgenommen, sondern als ewiggestrig. Das Dumme ist, dass das Christentum hier - wie jede Religion - in der Tat ein wenig holzschnittartig ist. Die Verwerfungen haben Gründe.

Was kann man da tun? Es gibt grundsätzlich zwei Optionen:

Die eine ist, den Begriff des Christentums zurück zu erobern. Das würde aber sehr lange dauern und man würde hier gegen die ebenfalls linksgewickelten Kirchenfunktionäre vorgehen müssen - das ist praktisch aussichtslos. Strategisch ganz falsch.

Die zweite Option ist konsequente Säkularität, d.h. die notwendige Vernunft gezielt nicht mehr christlich begründen wollen, sondern rational. Man kann auch die Ratio mythisch beschwören, so dass es in den Herzen und Hirnen der Menschen zündet. Und das am ganzen propagadistischen Apparat von Linken und Kirchen mit ihrer Deutungshoheit vorbei. Es würde sofort wirken, und langfristig könnte man über diesen Umweg auch das Christentum wieder einfangen.

Ich befürchte nur, dass es unseren Politikern an Niveau fehlt, um die Ratio mythisch beschwören zu können. Die sind ja noch nicht einmal in der Lage, sich dafür einzusetzen, dass am Nationalfeiertag die Flagge der Republik zu sehen ist.

Uwe Becker hat sich US-Fähnchen in sein Arbeitszimmer gehängt, wie man in der FAZ sehen konnte. Uwe Becker sollte das, was innen ist, nach außen kehren, vielleicht klappt's dann ja?