Wirkliche Demokratie geht nur analog

Pleite bei digitaler Abstimmung

Wirkliche Demokratie geht nur analog

Hübners Frankfurter Woche – Folge 8

Alle politisch interessierten Frankfurter amüsieren oder ärgern sich derzeit über die denkwürdige FDP-Pleite bei der technisch gescheiterten digitalen Abstimmung über die Teilnahme an der Linkskoalition im Römer. Nun muß diese wichtige Entscheidung der Partei doch analog, also mit körperlicher Beteiligung der Mitglieder stattfinden. Dass dieses Ereignis von der kleinen Partei im riesigen Waldstadion, also der sportlichen Heimat der Eintracht stattfinden soll, macht die Angelegenheit noch ein wenig absurder als sie ohnehin schon ist. Unabhängig davon sollte aus der unfreiwilligen Erfahrung der FDP eine wichtige Erkenntnis gezogen werden: Wirkliche Demokratie braucht menschliche Nähe ohne Abstandsgebote, Gesichtsmasken und Videogeflimmer.

Es ist deshalb nur gut, daß der Versuch des FDP-Vorstands, digital ein Abstimmungsergebnis zu erlangen, das zuvor analog, also auf einer Präsenzversammlung der Parteimitglieder knapp gescheitert war, so spektakulär mißlungen ist. Besonders wichtig ist das vor allem deshalb, weil während des Virusgeschehens Tendenzen mächtiger wurden, die Politik immer digitaler zu inszenieren. Die Demokratie lebt jedoch von Kontroversen, von Rede und Gegenrede in einer Atmosphäre unmittelbarer Nähe der Akteure und auch des Publikums. Das ist allerdings meist nicht im Interesse derer, die – ob in einer Partei oder einer Regierung – jeweils die Macht haben. Denn gerade bei digitalen Veranstaltungen können die Mächtigen die Regeln der Abläufe bestimmen und die Entscheidungsbildungen viel wirksamer beeinflussen.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auch noch auf ein anderes Problem hinzuweisen: Die vom Virusgeschehen enorm verstärkte Tendenz zur Briefwahl statt zur Stimmabgabe im Wahllokal, sollte im Sinne einer lebendigen Demokratie gestoppt werden. Die Möglichkeit der Briefwahl muß zwar in bestimmten Fällen erhalten bleiben, doch diese müssen eng umgrenzt sein. Der Wahlakt ist sozusagen die heilige Handlung der Demokratie, deren größter Vorzug ja darin besteht, die politische Macht unblutig und nach festen Regeln wechseln zu können. Deshalb sind Wahltage auch Festtage der Bürgerinnen und Bürger. Diese sollten sich an solchen Tagen im Wahllokal begegnen, nicht aber vereinzelt in den jeweiligen Wohnungen ihre Wahlentscheidung ankreuzen. Dafür spricht auch die wesentlich höhere Manipulationsgefahr von Briefwahlen oder digitalen Stimmabgaben.

Gegen eine Originalübertragung der FDP-Entscheidung im Hessischen Fernsehen sei allerdings bei allen Vorbehalten gegen die Digitalisierung der Politik von meiner Seite nichts eingewendet. Die Eintracht hat schließlich noch ziemlich lang Pause, da kann ungewöhnliche Spannung im Waldstadion nur willkommen sein, oder?


Wolfgang Hübner

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