Der einsame Frankfurter Tiger ist tot
Keine Tiger mehr im Frankfurter Zoo

Hübners Frankfurter Woche – Folge 12
Vanni war so allein in seinem Gehege im Zoo. Wenn ich ihn in den letzten Monaten dort gesehen habe, kam er mir wie der einsamste Migrant in der Migrantenstadt Frankfurt vor. Ob er seine Heimat im fernen Sumatra je kennengelernt hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist er ja schon in irgendeinem deutschen oder europäischen Zoo geboren worden. Aber Tiger bleiben auch dann Fremde in einem Land, in dem sie wild nie leben könnten und sicherlich auch nicht leben wollten. Nicht nur für die vielen kleinen Zoobesucher war die Begegnung mit Vanni immer etwas Besonders. Denn Tiger sind die wohl prächtigsten, die schönsten Raubkatzen. Nun ist Vannis Gehege leer, der erst 2017 nach Frankfurt gekommene Kater ist im Alter von elf Jahren eingeschläfert worden.
Vanni hat in den letzten Monaten manchmal nichts mehr gefressen. Bei einer Untersuchung wurden nun in seinem Magen-Darm-Trakt Hinweise auf einen Tumor festgestellt. Die Entscheidung, ihn deshalb einzuschläfern, ist den Verantwortlichen bestimmt nicht leicht gefallen. Denn Tiger sind immer eine Hauptattraktion im Zoo. Das gilt auch für seine körperlich kleinste Unterart, die des vom Aussterben bedrohten Sumatra-Tigers in Frankfurt. Schon im Vorjahr war die 17-jährige Tigerdame Malea, mit der sich Vanni gar nicht gut vertrug, eingeschläfert worden. Seitdem strich er allein durchs durchaus großzügige Gehege. Wenn er vor einer der Glasscheiben hockte, angestarrt von Besuchern und diese mit unergründlichem Tigerblick zurück fixierend, wirkte er so herzbewegend vereinsamt.
Längere Zeit wird es nun keine Tiger im Frankfurter Zoo mehr geben, denn das Gehege soll umgebaut und vorübergehend von den asiatischen Löwen genutzt werden, deren Anlage demnächst erweitert wird. Anschließend, so die Pläne, sollen wieder Sumatra-Tiger in Frankfurt ihre Heimat finden. Hoffentlich ein Pärchen, das auch für wertvollen Nachwuchs sorgen kann. Es dürfte also länger dauern mit dem begehrten Besucherblick auf die attraktivste Raubkatze. Deren Bild wirbt übrigens am Haupteingang zum Zoo weiterhin für den Eintritt. Aber das Bild kann die persönliche Begegnung mit einem lebenden, sich so geschmeidig bewegenden Tiger nicht ersetzen. Ich gehöre zu den nicht wenigen Frankfurtern, die traurig sind, daß Vanni nicht mehr unter uns ist.
Wolfgang Hübner