Hat Frankfurt ein Tanzproblem?

Einige Mitbürger haben keine Freude

Hat Frankfurt ein Tanzproblem?

Hübners Frankfurter Woche – Folge 16

Was könnte mehr ermutigen in diesen tristen Corona-Zeiten als öffentlich tanzende Paare im sinnlichen Latino-Rhythmus - ganz ohne Sicherheitsabstand! Und das auch noch vor dem arrogant das Frankfurter Ostend überragenden gläsernen Solitär der Europäischen Zentralbank (EZB), deren Entscheidungen das Schicksal der EU und ihrer Menschen weit mehr beeinflussen als die Politiker zugeben wollen. Dort gibt es eine glatt planierte Fläche, auf der sich bei gutem Wetter und mit guter Laune trefflich das Tanzbein schwingen lässt. Woran nicht zuletzt die immer zahlreichen Passanten auf dem Weg vom und zum nahen Main ihre Freude haben.

Weniger Freude haben offenbar einige Mitbürger, die sich daran stoßen, daß die Fläche die Fortsetzung der Gedenkstätte ist, die an den Abtransport von rund 10.000 Frankfurter Juden in die Todeslager der Nazi-Herrschaft 1941 erinnert. Doch die eigentliche Gedenkstätte befindet sich auf dem hermetisch gesicherten Areal der EZB, das für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Auch vor Corona war monatlich nur einmal eine vom Jüdischen Museum organisierte Führung für 20 Besucher erlaubt. Seit den Beschränkungen infolge der Viruskrise ist auch das nicht mehr möglich. Da drängt sich schon die Frage auf, welchen Sinn eine Gedenkstätte haben soll, die faktisch unerreichbar ist.

Gut zu erreichen und täglich von Tausenden Füßen überlaufen sind jedoch die Gehflächen, die an den EZB-Umzäunungen entlang zum vielbesuchten Hafenpark und zum Mainufer führen. Inschriften auf den glatten hellen Böden erinnern an die schrecklichen Ereignisse von 1941. Aber längst nicht jeder, der diese Texte lesen könnte, liest sie auch auf dem Weg darüber. Es sind öffentliche Flächen, die jeder so wahrnimmt und nutzt, wie er oder sie das will. Für tanzfreudige Menschen sind diese Böden jedenfalls bestens geeignet, zudem ist es wegen des Umfelds ein attraktiver Platz zum Treffen, insbesondere für „Streetdancer“.

Der Vorwurf, diese bewegten sich vergnügt und beschwingt über historisch schwer belastetes Gelände, ist nach meiner Meinung nicht überzeugend. Wenn das ein Ausschlussgrund wäre, warum hat dann die weltwirtschaftlich so bedeutsame EZB ihren gigantischen Bau dort hingesetzt, wo die jüdischen Opfer einst zusammengepfercht wurden für den Abtransport in ihr Verhängnis? Und ist es nicht so, dass wir uns alle jeden Tag über Böden bewegen, unter denen vergangener Tod und vergangenes Leid begraben liegen? Sehr gelassen ist die Reaktion des Jüdischen Museums zu den Tanzenden: Eine Sprecherin beklagt nur die fehlenden Toilettenmöglichkeiten am Ort. Das ist übrigens fast allerorten ein Problem in Frankfurt.

Es spricht also viel dafür, daß weiter vor der EZB getanzt und in der Euro-Zentrale über die Geldpolitik gebrütet wird. Und es wäre wahrscheinlich auch nicht schlecht, wenn die hochbezahlten Damen und Herren im Glaspalast des Mammons sich ab und an zu den Latino-Rhythmen mitbewegen würden. Vielleicht kommen dann ganz neue Gedanken auf, wie die jüngste inflationäre Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen ist. Tanzen ist bekanntlich kreislauffördernd, tut deshalb auch der Hirntätigkeit gut. Und die Opfer von 1941 werden nicht deshalb in Vergessenheit geraten, wenn die Nachgeborenen gerade an einem Ort der Schande Lebenslust zeigen. Denn das ist auch ein Beweis dafür, daß nicht das Böse gesiegt hat.

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