Die Paulskirche des Boris Rhein

Wie Argumente der linken Architekturtheorie in der CDU angekommen sind

Die Paulskirche des Boris Rhein
Von Simsalabimbam - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70138449


Die Paulskirche steht in den nächsten Jahren vor der Sanierung. Und es wird darum gestritten, wie diese eigentlich auszusehen habe.

Die Bürger Für Frankfurt (BFF) haben sich frühzeitig dazu positioniert und 2019 einen umfangreichen Antrag im Stadtparlament vorgelegt, der die weitgehende Rekonstruktion des Innenraumes in den Zustand vor 1945 zum Ziel hatte. Wie so oft wurde der Antrag von fast allen anderen Fraktionen abgelehnt.

Man muß dazu wissen, daß die klassizistische Paulskirche zwar bereits 1948 von Rudolf Schwarz wiederaufgebaut wurde, aber eben nicht getreu des Originalzustands von 1833. Statt des ursprünglichen hohen Kegeldachs erhielt sie eine flache Kuppel. Außerdem wurde das Bodenniveau des Versammlungsraums angehoben. Im Erdgeschoss befindet sich nun eine im Kreis verlaufende Wandelhalle mit Treppenzugang zum Obergeschoss. Die einst vorhandenen Emporen entfielen und machten einem heute sehr schlichten Innenraum Platz. 1986 erhielt die Kirche im Rahmen einer Renovierung immerhin Sprossenfenster zurück.

Am 21. September 2021 veröffentlichte die FAZ nun eine Stellungnahme zu der anstehenden Sanierung, die sämtliche Thesen der linken Architekturtheorie gegen Rekonstruktionen aufwärmte. Deren Argumentation lautet schlicht, daß "die Deutschen" oder "Deutschland" alleinig Schuld an den Zerstörungen ihrer Städte während des zweiten Weltkriegs gewesen seien. Da die Zerstörungen eine Art moralische Strafe für die verfehlte Geschichte der Deutschen gewesen wären, verböte es sich zudem, zerstörte Gebäude in der historischen Form wieder zu errichten. Man würde dann also eine Art "Gottesgericht" rückgängig machen. Vielmehr dürfe nunmehr nur noch modernistisch gebaut werden. Und die Erzeugnisse des modernen Wiederaufbaus nach 1945 müssten aus dieser moralischen Position heraus vor Veränderungen geschützt werden. Natürlich nur vor Veränderungen in eine historisch anmutende Richtung.

So weit, so schlecht. Derjenige, der diese alte Sauce nun in der FAZ neu aufrührte, war allerdings nicht einer der sattsam bekannten linken Museumsdirektoren oder Architekturtheoretiker, sondern hieß Boris Rhein. Der CDU-Politiker und mehrmalige Minister ist derzeit Präsident des Hessischen Landtages.

Rhein äußerte in dem Artikel sein Unverständnis gegenüber Rekonstruktionsbemühungen am Beispiel der Paulskirche. Schließlich stehe in der dem Grundstein des Wiederaufbaus beigelegten Urkunde, daß die Kirche zerstört worden sei, "weil wir die sittlichen Gesetze missachteten". Aus diesem Grund sei der jetzige Zustand der Paulskirche als "Denk- und Mahnmal" aufzufassen. Es sei gar der "Stein gewordene Auftrag an Deutschland, das nicht will, dass sich der dunkelste Teil seiner Geschichte wiederholt".

Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Einerseits wird die zitierte Grundstein-Urkunde zu einer Art heiligen Schrift verklärt, statt sie in den historischen Kontext einzuordnen. Wir erinnern uns: Die Paulskirche wurde bereits 1948 wiedereröffnet, also noch vor der Gründung der Bundesrepublik. Nüchterne Analysen der Wechselwirkungen des Kriegsgeschehens waren in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht opportun. Durch eine Übernahme einseitiger alliierter Schuldzuweisungen und einer pauschalen Schuldentlastung der noch omnipräsenten Siegermächte in den jeweiligen Besatzungszonen, war es den deutschen Akteuren der Nachkriegszeit erst möglich, eigene Freiräume zu erlangen. Man war also einfach gezwungen, auf die damaligen Machthaber Rücksicht zu nehmen, wenn man eine persönliche Stellung im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands anstrebte. In dieser Zeit lag es nahe, die Zerstörung der Paulskirche als eine Art religiöse Strafe für die Verbrechen der NS-Führung zu interpretieren.

Die Gegenfrage, was aber am alliierten Vorgehen sittlich war, also mit Bombengeschwadern eine Kirche zu zerstören, durfte in der Nachkriegszeit nicht ohne das Risiko gestellt werden, womöglich ins persönliche Aus zu geraten. Industrieanlagen, Bahnlinien, Frontabschnitte, Zufahrtswege zu Konzentrationslagern hätten schließlich jederzeit als kriegsnotwendig und sittlich begründet werden können. Bewusst Fachwerk-Wohnhäuser, Theater oder Kirchen zu bombardieren, lässt sich aber nur schwerlich mit einem christlichen oder humanistischen Sittengesetz begründen.

Insofern stellt die Konservierung der damaligen Zerstörung der Paulskirche eher die Zementierung einer unsittlichen Tat dar. Das kann durchaus Boris Rheins Argumentation entgegengehalten werden.

Rhein ging in seinem Artikel aber noch weiter, indem er die Wiederaufbauleistung der Paulskirche der 40er Jahre zu einer Stellungnahme für zukünftige politische Entscheidungen überhöhte. Der "dunkelste Teil seiner Geschichte" solle sich für Deutschland nicht wiederholen, schrieb er. Man reibt sich die Augen. Wiederholt er sich denn? Wo? Werden Frankfurt und Hessen aktuell von Nationalsozialisten regiert? Werden jüdische Geschäftsinhaber dieser Tage von Schergen mit Hakenkreuzbinden terrorisiert? Sind das die Probleme der Gegenwart? Oder was will Rhein uns mit seinen Einlassungen mitteilen, wonach eine "Mahnstätte" Paulskirche in ihrer Gestalt von 1948 so dringend nötig sei?

Dass Rhein vom "Pomp der Nazi-Architektur" schrieb, gegen die die schlicht gestaltete Paulskirche der Nachkriegszeit stände, zeigt, daß er wenig von Architekturgeschichte versteht. "Pomp" bedeutet "übertriebener Prunk", "Luxus", "Gepränge", "Üppigkeit". All diese Zuschreibungen passen auf die neoklassizistische Architektur der NS-Zeit in der Regel keinesfalls. Es existierte seinerzeit zwar noch ein Gefühl für Monumentalität und Repräsentanz. Beides könnte man aber auch heute fast jedem neuen Hochhausprojekt in Frankfurt zuschreiben. Ebenso manchen neueren öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel dem Berliner Kanzleramt, welches monumental und repräsentativ ist, deshalb noch kein schöner Bau wird.

Die Architektur der NS-Zeit war vielmehr eine Verbindung aus Tradition und Moderne. Sie war gerade durch die Minimierung von Pomp und Prunk geprägt, welche noch Kennzeichen der Kaiserzeit, also des Neobarock oder des Jugendstils, waren. Gerade die Nationalsozialisten ließen Gebäude der Kaiserzeit vereinfachen, Stuck abschlagen, Jugendstildekor entfernen. Viele NS-Bauten sind bewusst schmucklos, auf Grundformen reduziert. Schlichtheit und stark reduzierte Ornamentik galten den Nationalsozialisten als besonders deutsch. Und es wird übersehen, daß es zwar tendenzielle Veränderungen gab, aber zugleich fließende Stil-Übergänge und durchgängige Biographien bei vielen Architekten, die ebenso vor wie nach 1945 arbeiteten. Die heutige Fassung der Paulskirche jedenfalls könnte in ihrer schmucklosen Monumentalität durchaus auch einer Umbaumaßnahme der NS-Zeit entsprungen sein. Kaum ein Architekturtheoretiker wäre verwundert, wenn sie ein Werk von 1940 wäre.

Boris Rhein konnte es zudem gegen Ende seiner Einlassungen nicht einmal unterlassen, die Paulskirche noch mit den NS-Vernichtungslagern und dem Holocaust suggestiv zu verknüpfen, also die ultimative Totschlagkeule herauszukramen. Ein gegenüber den Anhängern einer Rekonstruktion schäbiger Anwurf, da er nämlich suggeriert, diese wollten sich nicht ausreichend von den Verbrechen der NS-Zeit distanzieren.

Außerdem musste Rhein das Gebäude auch noch als Monument für eine Politik der "Weltoffenheit und Vielfalt" darstellen, also argumentativ mißbrauchen, wo doch jeder informierte Bürger weiß, daß sich hinter diesen Floskeln nur die übliche Rechtfertigung einer weitgehend unkontrollierten Einwanderungspolitik versteckt.

So liefert Boris Rheins Stellungnahme nicht nur Anschauungsmaterial in den geistigen Zustand der bundesdeutschen Architekturtheorie, sondern auch in die Gedankenwelt hoher bundesdeutscher Politiker. Und in den Zustand einer längst nach links abgekippten CDU, die einige uneinsichtige Bürger immer noch für eine konservative Partei halten.


Claus-M. Wolfschlag


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