Paulsens Unmut und Unwille
Integrations-Ideologe hadert mit eigener Parteispitze
FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer
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Kein anderes Kapitel im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen war so kurz, lieblos und nichtssagend formuliert worden wie das über Integration. Die ist in Frankfurt bekanntlich zugunsten von „Vielfalt“ in die politische Abstellkammer entsorgt worden. Vergleicht man das Kapitelchen im Vertrag mit dem ungeheuren propagandistischen Aufwand, der für die Durchsetzung des grün-ideologischen „Vielfalt“-Konzepts einige Monate zuvor betrieben wurde, kann das Missverhältnis nur als grotesk bezeichnet werden und kommt einer offenen Demontage der grünen „Vielfalt“-Dezernentin Dr. Eskandari-Grünberg gleich.
Entgegen vielen Erwartungen wurde die ehrenamtliche auch nicht zur hauptamtlichen Dezernentin befördert. Das hat Frau Eskandari-Grünberg so wenig gefallen wie ihrem eifrigsten Förderer und Unterstützer Uwe Paulsen, dem integrationspolitischen Sprecher der Grünen. Nun hat Paulsen in einem Zeitungsinterview reichlich verspätet seinem Unmut über die achtlose Behandlung des Integrationsthemas im Koalitionsvertrag Ausdruck gegeben: „Mir erscheint das Resultat als ein Ausdruck von Desinteresse an dem Thema. Die Öffentlichkeit kann den Eindruck bekommen, dass manchen Grünen die Anzahl der Fahrradständer und Gehwegnasen im Nordend wichtiger ist als handfeste Aussagen zu integrationspolitischen Zielvorstellungen.“
Drastischer hätten diese durchaus berechtigte Kritik auch politische Konkurrenten der Grünen das nicht formulieren können. Paulsen gebührt Anerkennung dafür, sich öffentlich so kritisch über Vorgänge in seiner Partei geäußert zu haben. Allerdings machen seine Äußerungen auch deutlich, welchen Stellenwert – aller wohlfeilen Rhetorik zum Trotz – das Frankfurter Schicksalsthema Integration bei den Grünen tatsächlich hat: Letztlich keine.
Ob „Multikulti“ oder die modernisierte Version „Vielfalt“: Die Grünen schmücken sich gerne mit schillernden Begriffen, mit denen sie – bislang sehr erfolgreich – harte Realitäten romantisieren bzw. vernebeln. Insofern sind sie auch sehr brauchbar für die CDU, die aus anderen, mehr ökonomisch motivierten Gründen ebenfalls Interesse daran hat, möglichst von den Problemen und Konsequenzen der katastrophalen Einwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte abzulenken.
Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass just an dem Tag, an dem Paulsen seinen Ärger über die eigene Partei kundgibt, der renommierte Bremer Bevölkerungswissenschaftler und Autor Stefan Luft in der Frankfurter Rundschau (man lese und staune!) mit einem Beitrag vertreten ist, der sich sehr kritisch mit der neuen grünen „Vielfalt“-Ideologie auseinandersetzt. Luft schreibt Paulsen, Eskandari-Grünberg und allen Parteien und Stadtverordneten, die im Herbst 2010 das nur von den FREIEN WÄHLERN vehement abgelehnte „Vielfalt“-Konzept beschlossen haben, ins Stammbuch: „Das Zelebrieren der Vielfalt wird die Spaltungen vertiefen. Die gehobene Mittelschicht nutzt die Städte schon heute als Gabentisch. Sie kann kulinarischen Multikulturalismus pflegen und zugleich Wohnen und Schulbesuch mit Kindern zugewanderter und einheimischer sozial Schwacher meiden.“
Nirgendwo wird diese widerwärtige Doppelmoral so schamlos praktiziert wie in den städtischen Vierteln, in denen die Grünen ihre höchsten Stimmenanteile erzielen. Doch selbst für den kritischen Paulsen, zweifellos einer der klügsten Köpfe unter den Grünen, ist das kein Problem. Für Paulsen sind auch Sozial- und Kriminalitätsstatistiken, die erbarmungslos die Kosten der Masseneinwanderung samt missglückter oder verweigerter Integration dokumentieren, kein nennenswertes Problem. Er macht sich lieber Gedanken darüber, wie viele Stellen zusätzlich im Amt von Eskandari-Grünberg geschaffen werden müssten - „zwölf bis fünfzehn“ sollten es aber schon sein. Was damit erreicht werden soll, erschließt sich aus den Darlegungen Paulsens nicht wirklich. Wichtig ist dem Politiker jedoch die „Antiradikalisierungsarbeit mit Jugendlichen“.
Das ist einmal mehr eine der vielen verschleiernden Begriffsschöpfungen, die von den Grünen virtuos beherrscht werden. Tatsächlich geht – übrigens nicht nur bei den Grünen – die Angst um vor der wachsenden Zuwendung muslimischer und auch anderer Jugendlicher zu extremistisch-islamistischen Kreisen und Organisationen. Der spektakuläre Aufmarsch der Anhänger von Pierre Vogel am 20. April des Jahres hat den „Vielfalt“-Anhängern einen gehörigen, wenngleich leider noch nicht heilsamen Schrecken eingejagt. Statt an dem illusionären „Vielfalt“-Konzept zu zweifeln, in dem weder ein Pierre Vogel noch der in Frankfurt geborene muslimische Flughafenattentäter aus Sossenheim vorgesehen sind, soll nun mit beträchtlichem Aufwand an Personal und Geld „Antiradikalisierungsarbeit mit Jugendlichen“ betrieben werden. Mit anderen Worten: Planstellenbeschaffung für die grüne Sozialindustrie-Klientel.
Denn wer glaubt denn im Ernst, dass „Antiradikalisierungsarbeit“ meist strikt antireligiöser grün-linker Projektmitarbeiter etwas auszurichten vermag bei Jugendlichen aus dem muslimischen Kulturmilieu, die auf der Suche nach Sinn und Identität in einer zunehmend entkulturalisierten, entnationalisierten und atomisierten deutschen Gesellschaft sind? Was können Paulsen, Eskandari-Grünberg und die Grünen diesen jungen Menschen anderes bieten als Demokratie-Phrasen und Toleranz-Beschwörungen?
Wie kraftlos und unkonkret der kluge Gymnasiallehrer für Englisch, Politik, Ethik und Geschichte schon dann sich zeigt, wenn er auf eine sehr präzise Frage antworten soll, sei noch unbedingt dokumentiert. Die Interviewerin zu Paulsen: „Auf die Frage ‚Was ist konkret zu tun?‘ folgt immer etwas sehr Diffuses. Gibt es die Handlungsanleitung nicht?“ Darauf Paulsen: „Die schon im Konzept formulierten Handlungsanleitungen werden weiter konkretisiert werden.“ Der Studiendirektor Paulsen müsste eine solche nichtssagende „Antwort“ bei seinen Schülern selbstverständlich mit einer sehr schlechten Note bewerten. Um als „Pragmatiker“ gepriesen zu werden, reicht solch ein heilloses Politiker-Blabla in Frankfurt aber garantiert - wenigstens bis auf weiteres.
Wolfgang Hübner, 13. September 2011