Menschlichkeit wird wegrationalisiert

Wir werden nur noch Teil der Maschinerie

Menschlichkeit wird wegrationalisiert

Hübners Frankfurter Woche – Folge 25

Vor einigen Tagen ging ich zu der Filiale der Bank, deren Kunde ich schon seit vielen Jahren bin. Ich hatte einige Veränderungen bei meinem Mieterkonto zu tätigen, für die ich die Hilfe der in dieser Filiale immer sehr freundlichen Angestellten in Anspruch nehmen wollte. Doch zu meinem Erstaunen war die Tür zu der Filiale geschlossen. Ein Schild belehrte mich, daß es wohl auch nie wieder eine Öffnung geben wird. Ich solle, so stand da, entweder den benachbarten Raum mit den Geldautomaten benutzen oder zu einer Filiale in der Nähe der Hauptwache gehen. Das tat ich dann auch, wunderte mich allerdings überhaupt nicht, dort eine Schlange von wartenden Menschen zu sehen, die bis um die nächste Ecke reichte. Dazu regnete es.

Resigniert gab ich mein Anliegen erst einmal auf. Hätte ich mich der Schlange angeschlossen und wäre irgendwann durchnässt an einen der Schalter gelangt, wäre mir dort von einem genervten Mitarbeiter sicher empfohlen worden, doch endlich auch auf Online-Banking umzuschalten, weil das viel bequemer und schneller so gehe. Das war mir zuletzt vor einigen Jahren auch in meiner langjährigen, aber inzwischen geschlossenen Bankfiliale in der Schillerstraße nahe gelegt worden. Ich hatte darauf geantwortet, daß ich bei manchen Erledigungen den persönlichen Kontakt mit einem fachlich qualifizierten Menschen auch deshalb schätze, weil dessen Arbeitsplatz dadurch vielleicht sicherer würde. Diese Antwort brachte mir wohl Sympathie ein, zudem jedoch wohl eine diskret verborgenes Lächeln.  

Nach der Schließung dieser Filiale lächelt niemand mehr von denen, die dort gearbeitet haben und nun in den Vorruhestand gedrängt oder an eine andere Stelle versetzt worden sind, wo sie – wie ich aus erster Hand weiß - unter drastisch erhöhtem Arbeitsdruck leiden. In den wenigen Filialen, die meine Hausbank in Frankfurt noch mit Personal und nicht nur mit Automaten unterhält, gibt es in aller Regel keine Zeit mehr für ein paar persönliche Worte, stehen die nächsten Kunden doch schon ungeduldig in der Wartereihe. Das wäre zwar unerfreulich, aber erträglich, wenn es nur auf den Bank- oder Sparkassenbereich beschränkt wäre. Doch die allseitig geforderte und gepriesene Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche führt scheinbar unabänderlich zur Wegrationalisierung des konkreten menschlichen Faktors im Alltag.

Betriebswirtschaftler werden schnell mit Erklärungen bei der Hand sein, warum das aus Gründen der Rentabilität nicht anders gehe. Ich habe keine ökonomisch überzeugenden Gegenargumente parat. Doch ich möchte mir auch das Recht auf etwas Wehmut und Trauer um den Verlust an Menschlichkeit nicht nehmen lassen. Und vielleicht teilt der eine oder andere Leser dieses Textes meine Gefühle. Das wäre eine menschliche Gemeinsamkeit, die die geschilderten Verluste zwar nicht mindert, aber mildert. Um mehr soll es nicht gehen, weil es gegen das Gefühl des Ausgeliefertseins ein wenig helfen mag.


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