Feldmann gegen Hantel, Hantel gegen MOMEM

Ein musikalischer und gesellschaftspolitischer Streit um die Hauptwache

Feldmann gegen Hantel, Hantel gegen MOMEM


Wenn Dickschädel aufeinandertreffen, rumst es bisweilen kräftig. Das zeigt sich nun wieder bei einem Streit in Frankfurt, bei dem es vordergründig um Musik geht. Hauptbeteiligte sind Oberbürgermeister Peter Feldmann und der Diskjockey Stefan Hantel ("DJ Shantel"). Nebenrollen wurden mit dem neuen Museum MOMEM an der Hauptwache und den Frankfurter „Grünen“ besetzt.

Fangen wir mit der Hauptfigur Nr. 1 an: Peter Feldmann. Der Oberbürgermeister ist durch die AWO-Affäre, in deren Zug zuletzt sein Büro polizeilich durchsucht wurde, massiv in die öffentliche Kritik geraten. Auch die „Grünen" haben sich längst von ihm abgewendet. Deren Fraktionsvorsitzenden, Tina Zapf-Rodríguez und Dimitrios Bakakis, wünschten deshalb, Feldmann solle sich, wie eigentlich von ihm angekündigt, bei öffentlichen Auftritten stärker zurückhalten. Was Feldmann allerdings ignorierte und wie gewohnt die Dippemess´ eröffnete oder am Empfang des Eishockeyteams Löwen Frankfurt teilnahm. Und was die "Grünen" wiederum "irritierte".

Nun sollte der "Deutsch-Israelische Freundschaftstag" am 19. Mai mit einem musikalischen Auftritt gewürzt werden. Doch der nach dessen eigenen Angaben angeblich schon lange dafür vorgesehene Musiker wurde nun nicht von der Stadt für das Rahmenprogramm der Feierlichkeiten engagiert. Der Musiker wittert deshalb eine Weisung von oben, sprich: von Oberbürgermeister Feldmann. Denn besagter Musiker hatte Feldmanns Glaubwürdigkeit in der AWO-Affäre angezweifelt und das von Feldmann begrüßte neue MOMEM-Museum scharf kritisiert.

Sollte das Nicht-Engagement des Künstlers also wirklich auf Weisung Feldmanns erfolgt sein, wäre das ein Vorgang direkter politischer Einflussnahme auf eine – wenn auch städtische - Kulturveranstaltung. Eine Einflussnahme zu Ungunsten eines Feldmann-Kritikers. Die "Grünen", die besagtem Musiker wiederum zur Seite stehen, fordern deshalb nun Aufklärung von Feldmann.

Das leitet zur Hauptfigur 2 über: Besagter Musiker heißt Stefan Hantel alias "DJ Shantel". Und auch dieser ist dafür bekannt, in seiner Äußerung von Kritik nicht zimperlich zu sein, wenn es um kulturpolitische Themen geht. Der 1968 in Mannheim geborene DJ, Musiker und Produzent initiierte Ende der 1980er Jahre die Partyreihe "Lissania Essay" in einem Gründerzeitgebäude in der Kaiserstraße. Nach dem Millennium entwickelte er Interesse für Musik der Balkanregion, veröffentlichte Balkanpop-CDs und betrieb die Partyreihe "Bucovina Club", die unter anderem in den Städtischen Bühnen gastierte. Unlängst hat er sich scharf gegen das neue Museum MOMEM an der Hauptwache ausgesprochen.

Auf den ersten Blick handelt dieser Streit von einem Randthema. Was kann für den kommunalpolitisch interessierten Leser an einem Konflikt zwischen Frankfurter Musikproduzenten relevant sein?

Nun, womöglich macht dieser Konflikt an ganz ungewöhnlicher Stelle sichtbar, wie sich heutige gesellschaftspolitische Gegensätze bis in die feinsten Kapillaren des Kulturbetriebs fortsetzen. Es geht dabei um eine Auseinandersetzung, die sich auch andernorts in ganz vielen Bereichen zeigt. Es ist ein Streit um unsere Beziehung zu einem Ort: "Das Eigene oder das Fremde, auf was beziehe ich mich?" Und das wiederum macht solche Nebenschauplätze auch für Menschen, die am Wohlgedeihen ihres Ortes interessiert sind, ein Stück weit interessant.

Die Gegensätze kann man verkürzt so umschreiben: Auf der einen Seite steht die Beziehung zu einem Ort, manche würden von "Heimat" sprechen. Auf der anderen Seite steht der Geist der global ausgerichteten Ortlosigkeit, inklusive einer damit oft verbundenen Fernstenliebe. In der politischen Diskussion ist dabei manchmal von den "somewheres" und den "anywheres" die Rede. Andere sprechen von der Auseinandersetzung zwischen regional verwurzelten Menschen und den Profiteuren der Globalisierung.

Wir finden den Konflikt dieser beiden Ansätze also heutzutage nicht nur in der Politik, sondern zum Beispiel auch im Streit um die am besten passende Architektur, um die Gestaltung unserer wirtschaftlichen Strukturen, um das korrekteste Konsumverhalten oder um den Umgang mit hierzulande neuen und wachsenden Religionen. Und sogar im Streit um den "richtigen" Umgang mit Musikkultur.

Damit sind wir beim aktuellen Thema. Die wenig ansehnliche Hauptwache soll endlich umgestaltet werden. Der zentrale Platz der Frankfurter Innenstadt präsentiert sich seit langer Zeit als verkommenes, schlecht gepflastertes, und unbefriedigend strukturiertes Areal, dessen verwahrlostes 70er-Jahre-Ambiente kaum noch mit dem Begriff "Charme" umschrieben werden kann. Pläne zu einer Schließung des Zugangslochs in die B-Ebene wurden vom Magistrat nun vor allem aufgrund von Geldmangel verworfen. So bleibt es also vorerst bei der bestehenden Gestaltung, doch zumindest soll diese gründlich renoviert und mit neuen Ideen aufgewertet werden.

Einen vielversprechenden Ansatz hat unlängst die Gruppe "Altes Neuland Frankfurt" als Idee vorgelegt, unter Beteiligung des Vereins "Pro Altstadt". Großflächige Hochbeete, ein rekonstruierter Musikpavillon als Veranstaltungsraum und Brunnen sollen den jetzigen Unort zu einem lebensfreundlichen Raum für die Frankfurter Bevölkerung machen.

Als Ort der kulturellen Bildung im "Loch" zur B-Ebene plante wiederum der Musikproduzent Alex Azary seit geraumer Zeit die Installation des Privat-Museums MOMEM (Museum of Modern Electronic Music) für elektronische Musik. Der Gedanke, so etwas ausgerechnet in Frankfurt zu initiieren, liegt in der besonderen Rolle der Stadt bei der Entstehung der elektronischen Musikkultur (umgangssprachlich "Techno") begründet. Es ist also eine wichtige Bezugnahme auf einen Ort, der einst Strahlkraft auf die internationale Entwicklung der Techno-Bewegung hatte.

Seit dem Ende der 1980er Jahre wurde Frankfurt nämlich zu einem der wichtigen Ursprungsorte der Techno-Kultur. Der Frankfurter Andreas Tomalla (alias "Talla 2XLC") gründete 1984 die berühmte Partyreihe "Technoclub", die in verschiedenen Diskotheken gastierte, darunter im "Dorian Gray" am Flughafen. Der junge DJ Sven Väth gründete damals in der Junghofstraße die Diskothek "Omen", die zu einem Laboratorium der Techno-Musik wurde. Später realisierte Väth den ästhetisch innovativen "Cocoon-Club" in der Carl-Benz-Straße. Auch andere DJs und Produzenten wurden von Frankfurt aus weltbekannt, so der Mörfelder "DJ Dag" oder der 2006 verstorbene Markus Löffel (alias "Mark Spoon").

Alex Azary hatte sich also viel vorgenommen, um die Idee eines Museums, das diese Kultur vermitteln soll, auf die Beine zu stellen. Anstatt ihm zur unmittelbar bevorstehenden Eröffnung Anfang April 2022 alles Gute für das ehrgeizige Vorhaben zu wünschen, meldete sich Stefan Hantel alias "Shantel" zwei Monate vorher in einem launigen FAZ-Interview zu Wort. Unter der Überschrift "Shantel kritisiert MOMEM: ‚Techno ist nicht mehr relevant‘" schoss er gegen die Idee dieses Museum. Damit kommen wir zum oben erwähnten Konflikt zwischen Ort und Ortlosigkeit.

Bevor ich auf den Inhalt der Aussagen Hantels komme, ein paar Worte in eigener Sache: Ich besitze kein musikalisches Talent, obwohl es in meinem Familienstammbaum mehrere Musiker gibt. Ich habe mich auch nie in einem solchen Ausmaß für Musik interessiert, daß ich mich mit Bandgeschichten, Liedtexten oder Stil-Untergruppierungen intensiver beschäftigt hätte. Meine Anerkennung gilt jenen, die Talent und Interesse für Musik besitzen, denn im Klang scheint schließlich der Ursprung des Lebens zu liegen.

Allerdings habe ich in meiner Jugend sehr ausgiebig am Nachtleben teilgenommen. Das heißt, ich habe seinerzeit fast alle Frankfurter Diskotheken von innen gesehen, nahezu jede Subkultur beobachten und damit zahlreiche Erfahrungen sammeln können. Somit habe ich seinerzeit regelmäßig auch die intimen und mit Kleinkunsteinlagen garnierten "Lissania Essay"-Parties besucht. Hantels unruhig durch den Raum eilender Lockenkopf ist mir also schon um das Jahr 1990 aufgefallen. Den später von ihm initiierten "Bucovina Club" hingegen suchte ich nur noch ein- oder zweimal auf. Das Format war mir zu groß, zu kommerziell und erschien mir nicht authentisch. Vor allem aber kam für mich in dem überdimensionierten Wolkenfoyer der Städtischen Bühnen keine Stimmung auf, die über die Atmosphäre von Mehrzweckhallen-Veranstaltungen hinausging.

Hantels Ansatz, "exotische" (Musik-)Kultur aus fernen Ländern für den hiesigen Normalhörer zugänglich zu machen, ist mir vertraut und sympathisch. Ich finde ihn in mir wieder. Schon in den frühen 80er Jahren besuchte ich interessiert einen Flamenco-Abend. Mein erster Rumänien-Aufenthalt war Anfang der 2000er. Schon zuvor war ich in Berührung mit osteuropäischer Musik gekommen, hatte dann Feiern mit Manele-Musik erlebt. Ich habe Clubs gesehen, in denen zu Salsa und Merengue getanzt wurde. Ich sah mir finnischen Tango an. In Riga besuchte ich das Konzert einer lettischen Reggae-Band. Und mehrfach schauten Freunde skeptisch, wenn sie zu mir ins Auto stiegen und da gerade französische Chansons, Russen-Pop, der rumänische Zwerg Ionut Cercel oder eine CD von Ali Farka Touré aus Mali lief. Aktuell entdeckte ich den 1999 verstorbenen türkischen Psychedelic-Rocker Barış Manço, auf den mich ein Kumpan hingewiesen hat. Vielleicht kann ich es so beschreiben, daß für mich Weltmusik keine Wissenschaft darstellte, sondern so etwas wie das Briefmarkensammeln meines Vaters. Es sind kleine Reisen in fremde Länder. Nicht mehr, nicht weniger. Und nichts ist natürlich gegen Musiker zu sagen, die sich von fremder Musik anregen lassen und diese im eigenen Sinn verarbeiten.

Problematisch wird es allerdings, wenn daraus Besserwisserei, ein globalistisches Selbstpräsentationsverständnis und die Missachtung des Ortes resultieren. Hantels FAZ-Interview begann mit der Kritik am MOMEM-Projekt. Diese erfolgte durch den Hinweis, daß das Projekt womöglich kein (finanzieller) Erfolg werden dürfte, weil die dafür notwendigen Besucherzahlen möglicherweise verfehlt werden könnten.

Nun ist diese Skepsis durchaus begründet, denn, dass ein solches Museum finanziell Verluste schreiben dürfte, liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Allerdings sollte Hantel dann auch hinzufügen, daß fast jedes Frankfurter Museum teils große Verluste schreibt, somit nur durch großzügige städtische Unterstützung überhaupt lebensfähig ist. Das Historische Museum hat beispielsweise 2021 über neun Millionen Euro Verlust erwirtschaftet, für den die Stadt geradesteht. Das Jüdische Museum machte knapp sechs Millionen Euro Verlust, das Museum für Angewandte Kunst gut fünf Millionen, das Museum für Moderne Kunst gut 4,4 Millionen, das Museum der Weltkulturen und das Deutsche Architekturmuseum um die drei Millionen. Während aber die städtischen Museen ihre Gelder aus dem Römer erhalten, wären mögliche Verluste des MOMEM als privates Museum dann allerdings zunächst ein Problem von Alex Azary und seinen Mitstreitern.

Zudem hat Hantel sicher Recht, daß es schwierig ist, eine musikalische Subkultur in einem Museum abzubilden. "Party, Rausch und Hedonismus kann man nicht in einem Museum darstellen", sagte er. Gleichwohl kann man auch dies letztlich zu fast jedem Museum sagen. Kann ein Militärmuseum wirklich das Leben in der Armee und im Krieg nachvollziehbar vermitteln? Kann ein Antike-Museum wirklich das Leben im alten Rom sinnlich erfahrbar machen? Es kann im Konzept "Museum" letztlich immer nur Annäherungen an die gezeigten Phänomene gehen. Meist läuft das über den Verstand, also die Aneignung von vermitteltem Wissen. In neuerer Zeit geschieht dies auch durch sinnliche Eindrücke mittels elektronischer Medien. Mehr kann ein Museum nie leisten.

Hantels Kritik an der inhaltlichen Konzentration des MOMEM auf "Electronic Dance Music" garniert er mit Seitenschlägen gegen die "üblichen Verdächtigen in Frankfurt" und das Betreiberteam, das aus "ergrauten älteren Herren und ehemaligen DJs" bestehe. Hantel vermeidet noch die Floskel von den "alten, weißen Männern", obwohl genau dies wohl gemeint sein dürfte.

Allerdings klingt das Alternativ-Konzept, das Hantel favorisiert, noch utopischer und finanziell wagemutiger: "Würde das Museum mit einer Ausstellung über Electro-Cumbio oder über psychedelische Musik aus der Türkei starten, dann wäre das ein Statement und wichtiges Signal über die Grenzen Frankfurts hinaus."

Argumentiert Hantel also erst mit den möglichen künftigen kommerziellen Problemen des MOMEM, so liefert er ein Alternativ-Konzept, das höchstwahrscheinlich noch viel weniger zahlende Interessenten anlocken dürfte. Denn, welche Frankfurter würden von einer Ausstellung über ihnen völlig unbekannte kolumbianische Musik-Subkulturen angezogen werden? Von wenigen Freaks abgesehen? Hantel indes fände sein Konzept "spannender", aber es dient ihm vor allem nur als politisches Statement. Denn die Konzentration auf klassische elektronische Musik ist in seinen Augen "eine sehr konservative und eurozentrische Sichtweise". Dem stellt er ganz andere Musikstile entgegen, mit denen man sich besser zu beschäftigen habe: Zum Beispiel Soca aus der Karibik oder afrikanischen Electropop. Nun, niemand hält Hantel davon ab, eigene Ausstellungskonzepte an anderem Ort zu konzipieren.

Einerseits verbirgt sich hinter Hantels Attacken gegen Azary und dessen Umfeld wahrscheinlich eine Melange aus Neid und Überheblichkeit. Zudem richten sie sich gegen eine Techno-Szene, die ja ihrerseits keinesfalls regional begrenzt blieb, sondern global aktiv und vernetzt agierte. Andererseits stoßen wir bei diesen Attacken zum oben bereits erwähnten Kernpunkt der Kritik vor: Eine "eurozentrische Sichtweise" ist nur in den Augen von Ortlosen, von "anywheres", ein Problem. "Eurozentrisch" bedeutet schließlich nicht, seine Augen und Ohren gegenüber dem Geschehen auf der Welt zu verschließen. Aber das Zentrum des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Bezugspunkte ist nun einmal der Ort, also die eigene Heimat als Wohnort, als Wirkungsstätte, als Kulturraum, der einen geprägt hat und den man mitprägt. Es ist vermessen, Menschen vorzuwerfen, daß ihr Denken von ihrem Ort ausgeht und auch auf diesen stärker fokussiert ist als auf eine beliebige Ferne. Interessanterweise findet übrigens der Vorwurf der "zentristischen" Sichtweise nur gegenüber weißen Europäern statt. Kein Hantel wirft "Soukous"-Musikern aus dem Kongo "Afrozentrismus" oder "Bachata"-Gitarristen aus der Dominikanischen Republik "Karibik-Zentrismus" vor.

Hantel möchte sich nicht mit dem Ort und dem aus ihm gewachsenen Wirken beschäftigen. Er sucht seine Eindrücke anderswo, und zwar in möglichst weiter Ferne. So redet er über die "Relevanz von Kultur und Musik, die nicht Teil der Dominanzgesellschaft waren". Diese sollte man darstellen, um "der viel beschworenen Internationalität Frankfurts gerecht zu werden". Alles scheint interessanter und besser, wenn es nur weit von außerhalb des Ortes importiert werden kann. Hantel schwärmt von "maghrebinischer Tanzmusik", Raggamuffin und seinen Blaskapellen, als wäre das alles so neu und er der einzige, der das kennen würde. Das Heil kommt dabei stets von außen, nicht aber aus dem Ort.

Dann schließt sich der Kreis, und Hantel positioniert sich generell gegen die Verschönerung des Hauptwache-Platzes. Er äußert, daß "marginalisierte" Jugendliche, darunter "viele mit migrantischen Wurzeln" sich durch die Corona-Lockdowns "die Innenstadt, die Hauptwache und die Zeil zurückerobert" hätten. Er bezeichnet das als "positive Entwicklung". Aus diesem Grund wäre die geplante Neugestaltung der Hauptwache "fatal", denn diese könnte "sich am Ende als Instrument der Verdrängung herausstellen“.

Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Ansammlung von Gruppen Jugendlicher aus oft prekären Verhältnissen wird von ihm bezeichnenderweise mit dem militärischen Begriff der "Eroberung" beschrieben. Und diese Eroberung interpretiert er positiv und verteidigungswürdig. Er gibt zwar zu, daß dies andere Bürger als Bedrohung empfinden. Es interessiert ihn aber nicht, sondern wird noch mit der Bemerkung abgetan, hier würden teilweise "rassistische Ängste geschürt".

Nicht also die Bedürfnisse vieler Bürger unserer Stadt stehen für jemand wie Hantel an oberster Priorität, sondern die Partikularinteressen einer kleinen Minderheit, in diesem Fall von "prekären Jugendlichen". "Denn die Jugendlichen, die sich dort treffen, brauchen solche Orte dringend", sagt er. Das Interesse der Allgemeinheit, der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem aber der Alteingesessenen, zählt dagegen wenig. Übergeordnet wird diesem stets das Interesse verschiedener, angeblich benachteiligter Subkulturen, als deren Anwalt man sich zu positionieren versucht.

Dieses Denkmuster findet man häufig. Aufgrund angeblicher Benachteiligungen seitens der Allgemeinheit müsste bestimmten Gruppen nun als Ausgleich eine besonders bevorzugende Förderung entgegengebracht werden. Eine Selbstverantwortung der angeblich marginalisierten Gruppen für ihr Leben wird ausgeblendet. Sie sollen Räume "erobern" und diese auch exklusiv gegen das Interesse der Mehrheitsgesellschaft behaupten. Stadt wird also keinesfalls als Ort "für alle" betrachtet, auch wenn das oft behauptet wird. Sie wird zum Ort für die Überpräsenz bestimmter Gruppen, denen auch das Recht zugebilligt wird, andere Bürger allein durch ihr Verhalten zu belästigen oder zu ängstigen.

Des Öfteren habe ich schon in meiner Jugend erlebt, daß gerade abends und nachts junge Frauen sich nicht mehr in die beschriebenen Areale der Frankfurter Innenstadt trauten. Bereits Ende der 90er Jahre wollten sich Freundinnen nicht abends an der "David und Goliath"-Skulptur vor dem "Kaufhof" mit mir verabreden. Vom offenen Drogenhandel und daraus resultierendem aggressiven Verhalten bestimmter Dealer an Konstablerwache und Hauptwache einmal ganz abgesehen. Aber die Empfindungen dieser Menschen und deren Recht, den zentralen Raum der Frankfurter Innenstadt angstfrei und unbelästigt für sich ebenfalls in Anspruch nehmen zu können, interessiert Minderheiten-Ideologen nicht. Es interessiert sie nicht, daß diese Menschen verdrängt werden, so lange nur bestimmte priorisierte Gruppen ihre Räume "erobern" und verteidigen können. Denn im Gegenzug wird es ja keinem „marginalisierten“ Jugendlichen verboten, auch eine schöner gestaltete Hauptwache aufsuchen und sich an ihr erfreuen zu können. Niemand verdrängt ihn, auch das MOMEM nicht. Ebenso kann er sich auch an anderen Orten in Frankfurt mit seinen Freunden treffen. Aber für "Eroberungen", Kriminalität und Platzhirschgehabe sollte nun mal kein Platz sein in der Frankfurter Innenstadt.

Für "anywheres" aber kommt das Heil stets aus der Ferne, nie aus dem Ort. Zu besagten "prekären" Jugendlichen äußert Hantel: "Das sind ja ganz oft die Kids, bei denen es, wenn sie in eine Disco gehen wollen heißt: `Nein, ihr `Schwarzköpfe´, ihr kommt hier nicht rein." Nun verschweigt Hantel, daß zum einen auch deutschstämmige Jugendliche nicht in jede Diskothek eingelassen werden. Es gehörte auch zu meinen eigenen Erlebnissen, als 19-Jähriger des öfteren den Spruch "Tut mir leid. Heute nur für Stammgäste" gehört zu haben. Mal lag es an den Schuhen, mal lag es an der fehlenden weiblichen Begleitung. Hantel erwähnt zugleich nicht, daß es für gewisse Einlassbeschränkungen gegenüber bestimmte Migrantengruppen sehr berechtigte Gründe und Erfahrungswerte gegeben hat. Kein Diskothekenbetreiber verzichtet freiwillig auf zahlende Kundschaft, die sich rücksichtsvoll verhält und eine Bereicherung des Partyabends ist. Unbeliebt sind hingegen Großgruppen junger Testosteronprotze, die Schlägereien initiieren oder Frauen in übergriffiger Weise belästigen. Und gerade diese Probleme sind bei besagten "marginalisierten" Jugendlichen überproportional aufgetreten. Wenn es Ärger in Clubs gab, dann war es bereits in früheren Jahrzehnten zu einem erheblichen Teil auf solche Gruppen zurückzuführen. Was keinesfalls heißt, daß es nicht auch Problemfälle ohne besagten Migrationshintergrund gegeben hat.

Hantel erwähnt schließlich die Veränderung des Nachtlebens: "Vielleicht haben sich Clubs aber auch längst überlebt. Für die Jugendlichen sind sie schon lange viel zu teuer, viele haben darauf auch keine Lust mehr. Die Jungen nehmen sich heute eine Bluetooth-Box und feiern im Park (...) Sie suchen sich ihre Orte und machen ihre Sache einfach selbst. Die Institution Club brauchen sie gar nicht mehr."

Abgesehen davon, daß es das Konzept wilder Partys auf Grünflächen oder in leerstehenden Gebäuden schon vor Jahrzehnten gab, es also überhaupt nichts Neues ist, stellt Hantel keinen Zusammenhang zwischen dem Clubsterben und den demographischen Veränderungen her. Möglichenfalls bleiben nämlich viele junge Leute gerade aus dem Grund den Diskotheken fern, weil sich die Zahl der "marginalisierten Jugendlichen" erhöht hat? Also, um ein dort unvermeidbares Aufeinandertreffen mit bestimmten Subkulturen zu vermeiden, die gerne Räume "erobern"? Diese sich von den klassischen Clubs abwendenden jungen Leute sind es dann womöglich, die sich neue Orte und Wege erschließen, und zwar aus ganz anderen als den genannten Gründen.

Auch diese Verkennung mancher Zusammenhänge hat etwas mit dem verklärten globalen Blick der Ortlosigkeit zu tun. Denn das Publikum der einstigen "Lissania Essay"-Partys war beispielsweise keinesfalls so bunt, wie das heute im Nachgang erscheinen mag. Es setzte sich zum übergroßen Teil aus einer jungen, urbanen, bürgerlichen, studentisch geprägten Klientel zusammen, in großer Mehrheit Biodeutsche, die heute auf der Straße teils als "alte, weiße Männer" bewertet werden dürften. Selbst die wenigen Schwarzen waren dort allenfalls kleine Farbtupfer fürs Auge. Diesbezüglich hatte einst das "Funkadelic" in den 80er Jahren - einer der ersten Clubs, die ich besuchte - weit mehr vorzuweisen. "Marginalisierte" Gruppen jugendlicher Migranten fehlten bei "Lissania Essay" gänzlich. Wären diese dort aufgetaucht, so meine starke Vermutung, wäre die Partyreihe ganz schnell zu Ende gewesen, weil das Stammpublikum sich dauerhaft verdrückt hätte. Beim später ebenfalls von Hantel geleiteten "Bucovina Club", einem viel kommerzieller aufgezogenen Format, sah das nicht viel anders aus. Ich drehte meinen Kopf, lies den Blick schweifen. Aber dieser traf nicht auf einen "marginalisierten" Drogenhändler von der Konstablerwache, sondern auf Peter Maffay und eine einstige Freundin des Immobilienmoguls Ardi Goldman.

Sollte Peter Feldmann wirklich Hantel aus politischen Gründen von einer zuvor vereinbarten Tätigkeit entbunden haben, wäre das eine diskriminierende Einflussnahme. Es würde zeigen, daß Feldmann nicht an einem freien Diskurs gelegen ist, sondern an Ausgrenzung und Mobbing.

Allerdings würde Feldmann dann damit keinesfalls alleine dastehen. Diskussionsverweigerung, Ausgrenzung und Mobbing sind integraler Bestandteil des heutigen, politisch-korrekten Kulturbetriebs. Wer das nicht glaubt, müsste sich nur mal vorstellen, daß Hantel zum Beispiel AfD-Mitglied oder ein Corona-Kritiker wäre. Die FAZ, die GRÜNEN und alle, die sich heute auf Hantels Seite stellen, würden dann ganz plötzlich Peter Feldmann Beifall zollen. So einseitig, so verlogen geht es nicht nur in Frankfurt zu.

Hantel wiederum wird die Umgestaltung der Hauptwache nicht verhindern können, genauso wenig wie der das MOMEM zu verhindern mochte. Möglichenfalls wird dessen nostalgisches Konzept nicht funktionieren. Dann war es aber dennoch eine wertvolle Episode, die ihrerseits in die Geschichte der elektronischen Musik eingehen wird. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Claus Wolfschlag

Leserkommentare (0)

Um einen Kommentar zu verfassen, loggen Sie sich bitte hier ein.
Falls Sie noch kein Benutzerkonto besitzen, können Sie sich hier registrieren.