Unsere Demokratie stirbt ganz demokratisch

Bundestag soll sich bei „Euro-Rettung“ selbst entmachten

Unsere Demokratie stirbt ganz demokratisch
© Kurt F. Domnik - pixelio.de

FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer
Kommentare/Meinungen

 
Wie eine Demokratie sich ganz demokratisch und, was im Zeitalter der Medien noch wichtiger ist, ganz unauffällig selbst entsorgt, nämlich nicht durch einen Militärputsch oder ähnlich spektakulär-hässliche Maßnahmen, führt derzeit der schwarz-rot-grün-gelbe Parteienblock im Bundestag vor – und niemand sage, darauf nicht aufmerksam gemacht worden zu sein.

Was heißt das konkret? Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben mit ausdrücklicher Unterstützung der Fraktionsführer von SPD und Grünen vereinbart, dass künftige Euro-Rettungsbeschlüsse, die „besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit“ bedürfen, von einem aus nur neun Mitgliedern des 41 Mitglieder umfassenden Haushaltsauschusses entschieden werden sollen.

Da bei der Euro-Rettung wegen der unerbittlichen Reaktionen der „Märkte“ nach bisheriger Erfahrung fast immer „Eilbedürftigkeit“ und „Vertraulichkeit“ als notwendig bezeichnet und auch entsprechend gehandelt wurde, soll der Deutsche Bundestag, derzeit aus 620 Mitgliedern bestehend, seine haushalts- und finanzpolitisch wichtigsten Befugnisse in der Euro-Krise aufgeben zugunsten eines Gremiums, das geheim tagt und geheim entscheidet! Jeder Bundestagsabgeordnete, der dieser Selbstentmachtung zustimmt, leistet aktive Beihilfe zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland und verletzt unheilbar Geist und Sinn des Grundgesetzes, vom Totalschaden der vielbeschworenen politischen Kultur ganz zu schweigen.

Es ehrt den Bundestagspräsidenten Lammert (CDU), dass er mit der vorgesehenen Selbstentmachtung des Parlaments in der vorgeplanten Form nicht einverstanden ist. Glaubwürdig wird das allerdings nur, wenn Lammert sofort zurücktritt, sollte es bei der Vereinbarung von CDU, FDP, SPD und Grünen bleiben. Dass genau das droht, dafür sprechen schon die lobenden Stellungnahmen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier und des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Trittin zu dem Entwurf der Koalition von CDU/CSU und FDP. Offenbar gibt es in Sachen Euro-Rettung in Deutschland keine Parteien mehr, sondern nur noch einen Rettungs-Block, den die gemeinsame Existenzangst vor dem Scheitern eines politischen Projekts eint, das auch zum Scheitern der gesamten politischen Klasse in Deutschland führen kann.  

Jeder, der die Regeln  und Grenzen parlamentarischer Arbeit einmal praktisch kennen gelernt hat – der Verfasser dieses Kommentars gehört als Stadtverordneter in Frankfurt seit einem vollen Jahrzehnt zu diesen Praktikern – wird sich nicht der geringsten Illusion darüber hingeben, was sich derzeit im Bundestag abspielt und welch verhängnisvolle Folgewirkung das für die deutsche Demokratie hat. Und wer dazu noch über einige Kenntnisse der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts verfügt, wird mit Schaudern feststellen müssen: Zum dritten Male nach der parteiübergreifenden Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 und dem verhängnisvollen Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 soll am 29. September 2011 wiederum ganz legal und nach demokratischen Regeln der Weg für die faktische Beseitigung der Demokratie beschritten werden.

Wenn die wichtigsten Entscheidungen in der großen Krise, die erst ihren Höhepunkten entgegen geht, von einem Parlamentsgremium getroffen werden, das noch nicht einmal zwei Prozent der Bundestagsabgeordneten umfasst und ganz sicher nicht aus potentiell aufsässigen Parteisoldaten zusammen gesetzt sein wird, dann kann von einer demokratischen Willensbildung, die diesen Namen verdient, keine Rede mehr sein.

Wenn in dieser Situation der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, ein gewisser Herr Barthle, sagt: „Wir haben eine umfassende Mitwirkung des Bundestages bei Maßnahmen des Rettungsschirmes vorgesehen, die weit über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinausgehen“, dann ist das entweder eine unverschämte Lüge oder eine legitime Interpretation des jüngsten Karlsruher Urteils, die deutlich macht, wie sehr dieses Gericht schon Teil und Erfüllungsgehilfe des Parteienstaates geworden ist.  

Niemand, dem an der Fortexistenz der deutschen Demokratie liegt, kann hinnehmen, was gerade geschieht. Denn wer jetzt nicht Wort und Tat dagegen erhebt, wird das spätestens dann bedauern, wenn im weiteren Verlauf der Krise noch ganz andere antidemokratische Beschlüsse und Maßnahmen folgen. Diese werden aber nur in der Konsequenz dessen liegen, was am 29. September 2011 im Bundestag finanziell und rechtlich verabschiedet werden soll. Jeder Abgeordnete von CDU, SPD, FDP und Grünen,  der sich dem verweigert, gilt Anerkennung und Respekt. Jeder aber, der den Weg frei macht für die Selbstentmachtung des Bundestages und die Aufladung von finanziellen Verpflichtungen, die Deutschland ruinieren können, ist ein Verächter der Demokratie und des Grundgesetzes.

 

Wolfgang Hübner, 21. September 2011

Leserkommentare (3)

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Solche Zählpannen und Wahlzettel an Orten, wo sie nicht hingehören, hat es auch in FFM gegeben. Es gibt inzwischen schon eine ziemlich lange Liste mit solchen Meldungen. Mein Vertrauen in die korrekte Auszählung von Wahlen ist mittlerweile tatsächlich ernsthaft erschüttert, wenn auch noch nicht völlig zerstört. Ich erinnere auch an die Wahlzettel in Hamburg, bei denen die CDU schon "vorangekreuzt" war (schon ein paar Jahre her, damals ging es darum, Schill abzuwählen, was ja dann auch geklappt hat). Spontan fällt mir noch der Fall der Bürger in Wut in Bremen ein, die knapp unter der Grenze zum Einzug ins Parlament waren, eine Nachzählung ergab dann anderes.

Ich meine ernsthaft, dass die FW bei kommenden Wahlen eine Beobachtung der Auszählung in spontan bestimmten Wahllokalen organisieren sollten. Das geht auch bei kompliziertem Wahlrecht, da die meisten Bürger nur ein Kreuz machen, und das wird auch schon am Wahlabend ausgezählt, nur die wenigen komplizierten Fälle werden später ausgezählt, fallen aber eigentlich nicht ins Gewicht (wenn ich mich da nicht irre).

Es ist doch schon ein wenig komisch: Da sagen rund 20% der Bürger, sie könnten sich vorstellen, eine Sarrazin-Partei zu wählen, aber in der Wahlurne realisiert es sich nicht, und zwar so gut wie GAR nicht? Muss ich das glauben? Ich weiß noch genau, wie damals beim Asylstreit in Baden-Württemberg vor lauter Wut auf die Politik aus dem Stand 12% der Bürger klar rechtsradikale Parteien wählten - da darf man dann schon mal die Frage stellen, warum die Bürger dann ihr Kreuz nicht bei einer vergleichsweise harmlosen Gruppierung wie den Freien Wählern machen?

Andererseits darf man das Ausbleiben der Wählerstimmen auch nicht mit Gewissheit auf Wahlfälschung zurückführen - dann wäre man borniert und fixiert wie ein Verschwörungstheoretiker. Unbelegbare Verdächtigungen sollte man unterlassen. Aber Fragen stellen darf man.

Eine Beobachtung der Auszählung wäre die pragmatischste Antwort.

Die Wahlergebnisse in Berlin lassen den Geist der dort herrscht deutlich erkennen.Ich kann nur noch mit dem Kopf schütteln!
Piraten?Grüne?CDU?
Jeder bekommt was er verdient!
Geht das alles mit rechten Dingen zu?Nach Zählpannen und Wahlbrief Auffindungen in der Mülltonne habe ich so meine Zweifel!
Scheinbar ist das alles egal, wie Pleiten,Pech und Pannen.........

Ja, es ist interessant zu sehen, wie der gesellschaftliche Geist, die öffentliche Meinung immer mehr auf den Hund kommt. Rücktritte wie der von Stark und Weber oder Mahnungen wie die von Ralph Giordano sind Einzelerscheinungen.

Wie man damit umgeht, wenn die geistige und politische Kultur eines ganzen Landes schrittweise auf den Hund kommt, das hat uns keiner von jenen neunmalklugen Oberlehrern gelehrt, die uns (mit Recht) einbläuten: "Nie wieder!". Die meinten wohl allen Ernstes, es würde reichen, sein Kreuz nicht bei der NPD zu machen ... doch so einfach ist es leider nicht.

Was, wenn plötzlich ganz normale Menschen einer nach dem anderen zum Rhinozeros wird (kleine Anspielung auf Eugene Ionescu)?