Ludwig Erhard hatte recht!
Der Politiker, der den Irrweg verhindern wollte

FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer
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„Es ist in Europa eine Art Mysterium aufgekommen! Man tut so, als ob die geschaffenen Institutionen unantastbar oder überhaupt gegen jede Kritik gefeit sein müssten. Können wir wirklich annehmen, dass diese Verträge göttlicher Weisheit entsprechen?“ Als der damalige Wirtschaftsminister und nachmalige Bundeskanzler Ludwig Erhard das am 23. März 1959 anlässlich einer Tagung in Rom sagte, konnte der eingeschworene Marktwirtschaftler kaum ahnen, wie prophetisch diese Worte auch im Hinblick auf die Zukunft waren. Und natürlich konnte sich der Mann mit der Zigarre nicht vorstellen, in welch irrsinnigem, ordnungspolitisch zerrüttetem Zustand sich dieses Euro-Europa im Herbst 2011 befinden würde.
Aber es war Erhard, der in der Frühzeit der Bundesrepublik einen ebenso verzweifelten wie vergeblichen Kampf gegen die verhängnisvolle Entwicklung geführt hat, in deren eiserner Umklammerung aus Schulden, „Rettungsschirmen“ und Freiheitsverlust sich nun die Völker Europas und auch Deutschlands befinden. Wie jede große Krise hat auch die jetzige eine lange Vorgeschichte, die man kennen muss, soll erkannt werden, warum es soweit gekommen ist und die ganz großen Schocks ja noch auf uns warten. In dieser Vorgeschichte spielen zwei Männer eine entscheidende Rolle, die längst als politischen Legenden Nachkriegsdeutschlands gelten: Ludwig Erhard und Konrad Adenauer.
Von vielen Menschen wurden und werden die beiden als das Erfolgsduo betrachtet, das aus dem besiegten und besetzten Ruinenland des Jahres 1945 in ein weltweit bewundertes „Wirtschaftswunderland“ führte. Doch der greise Kanzler Adenauer und sein populärster Minister waren nicht nur grundverschiedene Charaktere, sondern auch völlig verschiedener Meinung in wichtigen Fragen. Schon am Tag nach der Rede Erhards in Rom untersagte Adenauer Erhard schriftlich, die EWG, den Vorläufer der EU, zu kritisieren und machte unmissverständlich klar, dass Deutschland Frankreich brauche.
Doch der amerikabegeisterte Franke Erhard war selbstbewusst genug, sich von dem frankophonen Kanzler aus dem Rheinland nicht einschüchtern zu lassen. Denn für ihn, den Ökonomen, war klar, dass politisch nicht richtig sein konnte, was ökonomisch falsch war. Scharf nahm er Stellung gegen die politisch motivierte wirtschaftliche Harmonisierung in der damaligen EWG. In einem Artikel mit der Überschrift „Harmonie durch Harmonisierung?“, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1959 erschien, warnte Erhard: „Das ‚Organisieren-und harmonisieren-Wollen‘ führt … in den fast sicheren Abgrund.“
Ebenfalls Ende 1959 formulierte der Minister Worte, die 51 Jahre später, nämlich heute, von geradezu beklemmender Aktualität sind: „Die Anerkennung eines solchen Prinzips (der wirtschaftlichen Harmonisierung in der EWG, W.H.) bedeutete, dass die zusammenstrebenden Volkswirtschaften jeweils die schlimmsten wirtschafts-, finanz- oder währungspolitischen Fehler ihrer Partner als auch für sich verpflichtend anerkennen müssen, statt sie gemeinsam auszumerzen.“ Erhard befürchtete, dass eine Harmonisierung in die Diktatur führen werde: „Der Glaube, dass integrationswillige Volkswirtschaften zum Gelingen ihrer Vorhaben von einem gleichen sozialen Standard ausgehen müssten, wäre von einer geradezu zerstörerischen Wirkung, denn es würde dem Starken die absolute Macht einräumen während die Schwächeren dem Untergang preisgegeben wären.“
Ob griechische oder portugiesische Politiker der Gegenwart dies jemals gelesen haben, darf bezweifelt werden, ist indes verzeihlich. Unverzeihlich aber ist die offensichtliche völlige Unkenntnis heutiger deutscher Politiker über Erhards weitsichtige Warnungen. Denn der 1897 geborene, 1977 gestorbene ‚Vater des Wirtschaftswunders‘ war kein professoraler Theoretiker, sondern jener Mann, der am 19. September 1965 mit 47,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl ein überragendes Ergebnis erzielte, von dem die heutige Union mit Angela Merkel an der Spitze himmelweit entfernt ist.
Es lohnt überaus, sich mit Ludwig Erhard zu beschäftigen – bei keinem anderen deutschen Politiker nach 1945 ist gerade in der heutigen Situation die genauere Betrachtung von Weg und Werk so lehrreich wie bei Ludwig Erhard. Dass dieser Mitte der sechziger Jahre üblen Angriffen und arrogantem Spott der selbsternannten ‚intellektuellen Elite‘ ausgesetzt war, braucht fast nicht erwähnt zu werden.
Doch die prophetischen Warnungen vor dem so offensichtlich gewordenen Weg in den Abgrund, den das Euro-Europa der Gegenwart eingeschlagen hat, haben höchste Aktualität und beweisen nebenbei: Es gab keine Zwangsläufigkeit für diesen Irrweg, es hätte bessere Alternativen gegeben. Ludwig Erhard hat sie gewiesen, zu wenige aber wollten sie beschreiten. Die Rechnung dafür wird nun präsentiert, und sie ist noch längst nicht bezahlt.
Wolfgang Hübner, 27. September 2011