Frankfurter Stichwahl zwischen zwei Übeln
Weder Becker noch Josef verdienen eine Stimme

Hübners Frankfurter Woche – Folge 76
Für jeden redlichen Demokraten ist das Wahlrecht auch Wahlpflicht. Deshalb habe ich selbstverständlich an der ersten Runde zur Wahl eines neuen Frankfurter Oberbürgermeisters teilgenommen. Die Auswahl zwischen den 20 Kandidaten war groß genug, um das gesamte politische Spektrum von links bis rechts in allen Facetten zu umfassen. Dass dennoch kaum mehr als 40 Prozent der Frankfurter von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, dokumentiert eine erschreckende Gleichgültigkeit im Hinblick auf die politische Gestaltung und Repräsentation ihrer Stadt. Und es ist Desinteresse ausgerechnet an der Politik, die für jeden viel näher und überprüfbarer ist als Landes- und Bundespolitik.
Bei dieser Wahl einer Minderheit der Frankfurter haben sich Uwe Becker von der CDU und Mike Josef von der SPD durchgesetzt. Erfreulich dabei war das Scheitern von Manuela Rottmann, Kandidatin der Grünen. Damit wurde verhindert, daß die grüne Mehrheit im Römer noch mächtiger werden konnte. Doch wie ist es um die beiden Kandidaten bestellt, die nun übermorgen zur Wahl stehen? Becker, ein braver CDU-Parteisoldat, war viele Jahre Mitglied des Magistrats in der besonderen Stellung als Kämmerer, also Verwalter der städtischen Finanzen. Becker war es allerdings auch, der hohen Anteil hatte am Abstieg seiner Partei CDU und dem Aufstieg ihres langjährigen Partners in Koalitionen, den Grünen. Wenn sich nun ausgerechnet Becker als „echten Neuanfang“ präsentiert, ist das so unglaubwürdig wie unwahrhaftig.
Dazu signalisiert der CDU-Kandidat in einigen Themenfeldern nun plötzlich, wenngleich letztlich unverbindlich, politische Positionen, die er bis zur Abwahl 2021 nie vertreten hat, obwohl er das sehr wohl gekonnt hätte. Es ist kein großes Risiko vorauszusagen: Nach erfolgreicher Stichwahl wird Becker von all dem nichts mehr wissen wollen und behaupten, als Oberbürgermeister müsse er halt gut mit Grünen und Roten zusammenarbeiten. Mit seinem Rivalen Josef von der SPD hat er das auch von 2016 bis 2021 schon erprobt. Denn Josef ist Planungsdezernent, also gerade in Frankfurt in einer Schlüsselposition. Als linker Sozialdemokrat verspricht Josef auf Plakaten Mieterschutz (worauf er als Oberbürgermeister wenig Einfluss hat) sowie eine volle Milliarde Euro für Schulen und Kitas.
Doch der SPD-Kandidat hat weder selbst eine Milliarde Euro, noch kann er über diesen Betrag als Oberbürgermeister verfügen, denn das ist Sache des Stadtparlaments und des Magistrats. Das weiß Josef ganz genau, deshalb ist sein Versprechen nicht nur unseriös, sondern eine glatte Lüge und Irreführung. Das disqualifiziert ihn für das Amt. Beckers Anspruch, ein „echter Neuanfang“ zu sein, mag zwar eine weniger dreiste Wählertäuschung sein, doch auch er spielt mit gezinkten Karten. Zudem gibt es von keinem der beiden Kandidaten klare Aussagen zu den vielfältigen Problemen Frankfurts, keiner hat sich zu diesen politisch festgelegt. Ob Becker oder Josef – sie wollen nur beide im Glanz der goldenen Amtskette Frankfurt repräsentieren.
Da ich mich aber nicht von Lügnern und Opportunisten repräsentieren lassen will, werde ich dieser Stichwahl fernbleiben. Denn auch ein redlicher Demokrat hat Grenzen seiner Leidensfähigkeit. Wenn die Wahl nur eine Qual ist, gehe ich am Sonntag lieber an der frischen Luft spazieren.
Wolfgang Hübner