Paulskirchenjubiläum in der Demokratiekrise

Kein Anlass für politische Jubelfeiern

Paulskirchenjubiläum in der Demokratiekrise

Hübners Frankfurter Woche – Folge 81

In der kommenden Woche wird Frankfurt Schauplatz der 175-Jahrfeier der ersten deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche sein. Beim Festakt im historischen Ort werden prominente Vertreter der Politik sowie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts sprechen, danach wird auf dem Römer das Paulskirchenfest eröffnet. Es ist zu hoffen, daß das Ereignis nicht nur eine Jubelfeier des politischen Establishments werden wird. Denn es steht nicht gut um die deutsche Demokratie, deren erste Gehversuche 1848 in der Paulskirche stattfanden, aber bekanntlich auch scheiterten.
 
Es gab damals viele Gründe für das Scheitern, die heute keine Rolle mehr spielen. Doch das negative Resultat des ersten demokratischen Versuchs sollte im gegenwärtigen Jahr 2023 zur Mahnung dienen, daß die Demokratie eine sehr verletzbare, der ständigen intensiven Pflege bedürftige Staatsregierungsform ist. Vor allem die unseligen Corona-Jahre 2020/21 haben deutlich gemacht, wie schnell auch eine formal perfekt organisierte parlamentarische Demokratie in autoritäre Abgründe abrutschen kann, in denen Minderheiten ganz schnell mit einem Brandzeichen versehen werden.
 
Gerade hat Frau Prof. Dr. Ursel Heudorf, ehemalige Stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes Frankfurt/M, im Hessischen Ärzteblatt eine fulminante Abrechnung mit den staatlichen Akteuren und ihren Maßnahmen in der „Corona-Pandemie“ veröffentlicht. Die damals und heute verantwortlichen Politiker haben allen Grund, sich mit dieser Kritik zu beschäftigen statt lieber schöne Reden zu schwingen. Es ist eine Tatsache, daß sich viel zu viele Bürger von der Teilnahme am politischen Leben und Gestalten abgewendet haben, weil sie kein Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der führenden Parteien und deren Personal mehr haben.
 
Gegen diese negativen Entwicklungen hilft auch kein „Haus der Demokratie“, das in Frankfurt im nächsten Umfeld der Pauskirche entstehen soll. Eine lebendige, im Alltag der Menschen verwurzelte Demokratie braucht kein Haus und schon gar keine Musealisierung, sondern muß alltäglich in vielerlei Formen und Gremien stattfinden. Es ist längst technisch möglich, den Souverän der Demokratie, also das wahlberechtigte Volk, viel mehr an wichtigen politischen Entscheidungen teilnehmen zu lassen als das bislang der Fall ist. Das würde die parlamentarische Demokratie nicht schwächen, aber Fehlentwicklungen in dieser korrigieren können.
 
Es ist leider zu erwarten, daß sich keiner der Redner beim Festakt am Donnerstag für mehr direkte Demokratie stark machen wird. Selbstverständlich ist das 175-jährige Jubiläum des ersten deutschen Demokratieversuchs trotz seines Scheiterns einer feierlichen Erinnerung wert. Doch gibt es keinerlei Gründe zu politischer Selbstzufriedenheit. Denn Demokratie ohne ein Volk von überzeugten wie überzeugenden Demokraten wird keine gute Zukunft haben.


Wolfgang Hübner


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