Wenn „Gutmenschen“ mit bestem Gewissen hetzen

Frankfurter Geschäftsfrau wird wüst beschimpft

Wenn „Gutmenschen“ mit bestem Gewissen hetzen

Hübners Frankfurter Woche – Folge 83

Aufgewachsen in der Innenstadt, habe ich mich mit dem Fahrrad in den Frankfurter Straßen schon bewegt, als Radfahren noch keine Mode, ökologische Überzeugung oder gar Ideologie war. Ich habe es schlicht für praktisch empfunden, stets schnell einen Parkplatz für mein Fortbewegungsmittel zu finden und auch einmal, früher noch illegal, in Gegenrichtung eine Einbahnstraße zu durchqueren. Übrigens fahre ich trotz meines fortgeschrittenen Alters immer noch Rad in Frankfurt. Eines hat sich in all der Zeit nicht geändert: Es ist nicht einfach und nicht gefahrlos, sich in der Pendlerstadt Frankfurt im Verkehr mit dem Fahrrad zu behaupten. Kurzum: Ich weiß, wovon ich jetzt reden will.

Diese Woche las ich von einer Geschäftsfrau im Oeder Weg, die in einer ZDF-Fernsehreportage darüber klagte, daß eine Kundin ihren bestellten Hut in dem Laden nicht abholen konnte, weil sie eine Stunde lang keinen Parkplatz in der Grünen-Hochburg Nordend fand. Doch war in der Sendung zu sehen, daß es unweit des Ladens der Hutmacherin ein Parkhaus gibt. Die Fernsehleute hatten das Parkhaus wohl nicht unabsichtlich ins Bild gerückt. Wie dem auch sei: Nach der Sendung erlebte die Geschäftsfrau einen üblen Shitstorm aus einer politisch-weltanschaulichen Ecke, die sich stets viel darauf zu Gute hält, Hass und Hetze in den sozialen Medien zu verurteilen.

Leider ist in Frankfurt, wie in vielen anderen deutschen Städten, das Verhältnis zwischen Autofahrern und Radfahrern sehr feindlich geworden. Das liegt aber nicht nur oder hauptsächlich an dem ungleichen Stärkeverhältnis zwischen Motor- und Muskelkraft, sondern an einer unheilvollen ideologischen Aufladung des Konflikts. Wer selbst mit beiden Verkehrsmitteln in der Stadt unterwegs ist, muß feststellen: Es gibt rücksichtslose Autofahrer, doch mindestens ebenso viele Radfahrer, die sich keinen Deut um Verkehrsregeln scheren, dabei aber oft provokativ rechthaberisch auftreten. Da sie mehr politische und mediale Unterstützung als die Autofahrer haben, tun sie das mit bestem Gewissen und dem Gefühl, aus der „richtigen“ Seite zu stehen.

„Wie kann nur jemand einen Hut mit dem Auto abholen?! Soll die Dame sich doch aufs Rad schwingen oder wenigstens die Parkhauskosten nicht scheuen!“. So ähnlich denken und schimpfen die Gutmenschen nun im Netz, allerdings nicht wenige davon in aggressiver und beleidigender Sprache. Und ihr Zorn richtet sich gegen eine Geschäftsfrau, die materielle Nachteile mit der radikalen Umwandlung des Oeder Wegs in ein Fahrradparadies erleidet und das schlicht ausspricht. Dem Verhältnis der beiden Verkehrsteilnehmergruppen wird das gewiss nicht dienlich sein. Und es macht wohl nicht nur mir Leute unsympathischer, die andauernd von Toleranz reden, aber noch nicht mal tolerieren wollen, daß die Kundin der Hutmacherin vielleicht nachvollziehbare Gründe hatte, nicht ins Parkhaus zu fahren.


Wolfgang Hübner

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