Die einsame Villa im Holzhausenviertel

Kluft zwischen linker Theorie und linker Praxis

Die einsame Villa im Holzhausenviertel
© kalhh/pixabay

Hübners Frankfurter Woche – Folge 123

Siegfried Unseld war bis zu seinem Tod im Jahr 2002 eine der bekanntesten Frankfurter Persönlichkeiten. Zwar stammte er aus Ulm, doch im Frankfurter Westend war der hochangesehene Suhrkamp-Verlag zuhause. Der machte unsere Stadt viele Nachkriegsjahre lang zu einem geistigen Zentrum linken und linksliberalen Geistes und Literatur. Nebenbei machte er den umtriebigen Suhrkamp-Chef zu einem reichen Mann, der in einer edlen Villa im teuren Holzhausenviertel wohnen und residieren konnte. Dort war bis zum Tod des Hausherrn ein gesellschaftliches Zentrum der Stadt, Einladungen dorthin waren begehrt, manche Karriere entschied sich dort.

Doch das ist alles Vergangenheit. Inzwischen ist der Suhrkamp-Verlag längst umgezogen in die Bundeshauptstadt Berlin, seit 2010 steht die Unseld-Villa an der Klettenbergstraße leer. Nun erst will der Verlag das 1927 gebaute Haus verkaufen, über vier Millionen soll das Objekt kosten. Ob sich für diesen Preis ein Käufer finden wird, ist ungewiss, Doch wird das der Markt regeln. In den Medien werden anlässlich dieser Entwicklung nostalgische Erinnerungen an glanzvolle Empfänge, Veranstaltungen und Partys in der Villa wach. Ein Punkt wird dabei allerdings auffällig ausgeblendet: Der Leerstand von knapp 430 Quadratmetern Wohnfläche seit nun 14 Jahren!

Das müsste in einer Stadt, in der viel über Wohnungsmangel geklagt wird, eigentlich ein Thema sein. Zwar handelt es sich bei der Villa nicht um sozialen Wohnungsbau. Doch der Besitzer Suhrkamp-Verlag ist eine Institution mit hohen intellektuellen und geistigen Ansprüchen, die eigentlich auch soziale Konsequenzen zur Folge haben sollten. Vieljähriger Leerstand verträgt sich damit gewiss nicht.

Und die Frage drängt sich auf: Warum hat ein Verlag, der jede Menge sozial- und kapitalismuskritische Bücher herausbringt, das leerstehende Haus offenbar niemals für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt? Immerhin war Siegfried Unseld kurz vor seinem Tod in einer Blitzaktion zum Frankfurter Ehrenbürger ernannt worden. Da wäre es eine gute Geste gewesen, in dem leeren Haus die von Flüchtlingen überfüllte Stadt wenigstens zeitweise zu entlasten. Aber zwischen linker Theorie und linker Praxis hat es bekanntlich schon immer eine Kluft gegeben.


Wolfgang Hübner

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