Grüne Wendehälse unterm Fluglärm
Die Profiteure des Stillhaltens und Stilllegens

FREIE WÄHLER - Fraktion im Römer
Kommentare/Meinungen
Das Thema Fluglärm ist nach der Eröffnung der neuen Landebahn zweifellos das brisanteste und emotionalste politische Thema in weiten Teilen Frankfurts und des Rhein-Main-Ballungsraums. Viele Bürger sind empört, zornig und verzweifelt über die unüberhörbaren Folgen des Ausbaus am falschen Ort. Doch der Beschluss dazu ist bereits vor einigen Jahren gefallen, der Widerstand dagegen war seitdem immer mehr abgeflaut, wenngleich nie völlig verstummt.
Wer allerdings wissen wollte, welche negativen Konsequenzen der Ausbau für die Lebensqualität und den Wert von Eigentum an Häusern und Wohnungen in den neu oder vermehrt überflogenen Bereichen haben würde, konnte sich diese Informationen durchaus beschaffen, übrigens besonders gut analysiert von den FREIEN WÄHLERN im Stadtteil Bergen-Enkheim. Dieser Hinweis kann jenen Bürgern nicht erspart bleiben, die der Entwicklung in der Vergangenheit offenbar keine große Bedeutung beimaßen und nun umso aufgebrachter sind, was ihnen nicht zu verdenken ist.
Doch Bürger haben viele alltägliche Probleme, die sie daran hindern, sich näher mit Problemen zu beschäftigen, die weit entfernt scheinen. Parteien und Politiker sind da in einer ganz anderen Situation, denn sie kennen (wenn sie wollen!) die Fakten. Wer sich unter den politischen Kräften in all den Jahren bei diesem Thema ganz klein machte, das waren die von den nun gezeitigten Folgen des Ausbaus ganz und gar nicht überraschten Frankfurter Grünen. Umso unerträglicher ist es, wenn deren Fraktionsvorsitzender und künftige Planungsdezernent Olaf Cunitz jetzt in einer Tageszeitung ein Interview gibt, das am Dienstag unter der Überschrift „Wir sind Teil des Protests“ erschienen ist.
Wer nicht - wie der Verfasser dieses Kommentars - viele Jahre in der Stadtverordnetenversammlung Ohr- und Augenzeuge der Diskussionen um den Ausbau und seine Folgen war, kann kaum ermessen, welche Provokation der Versuch von Cunitz darstellt, seine Partei als unermüdlichen Kämpfer gegen die Flughafenerweiterung darzustellen und damit im Hinblick auf die kommenden Oberbürgermeisterwahl Stimmen empörter Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen. Denn es waren die Grünen, die 2001 bis 2006 in der Zeit des berüchtigten „Viererbündnisses“ von CDU, SPD, Grünen und FDP ihren ohnehin nur verbalen Widerstand gegen die Flughafenerweiterung stets so dosierten, dass dieser realpolitisch folgenlos blieb.
Die Bildung der Koalition mit der CDU nach der Wahl 2006 hatte für die Grünen einen Preis, den sie bereitwillig für ihren massiven Gewinn an Posten, Pfründen und Einfluss zahlten, nämlich strikte Stimmenthaltung bei allen strittigen Abstimmungen zum Thema Ausbau. Und wenn mal wieder Oberbürgermeisterin Petra Roth ihr eindeutiges Bekenntnis zum Ausbau ablegte, wagte nie ein Grüner öffentliche Gegenworte. Auch deshalb konnte die CDU-Politikerin Roth in der Spätphase ihrer Amtszeit immer „grüner“ werden, einen Widerspruch zu ihrer unerschütterlichen Flughafenposition konnte sie darin mit gutem Grund nicht erkennen.
Darum ist es an Zynismus kaum zu übertreffen, wenn Cunitz in dem Interview sagt: „Frankfurt hatte 16 Jahre lang eine Oberbürgermeisterin, die ein klares Bekenntnis für den Flughafenausbau abgelegt hat. Ich hoffe sehr, dass die Frankfurter die Chance nutzen, eine OB mit einer anderen, kritischen Position zu wählen“. Damit spielt er auf die grüne OB-Kandidatin an, die sogleich nach ihrer Nominierung den Ausbau und seine Folgen als „schrecklich“ bezeichnete. Der Politiker Cunitz ist viel zu intelligent, um nicht zu wissen, dass jeder künftige Oberbürgermeister weder an dem bereits erfolgten Ausbau noch viel an dessen negativen Folgen ändern kann.
Ob eine künftige grüne Oberbürgermeisterin das „kritisch“ sieht, ist so folgenlos wie die – allerdings virtuos dargebotene – Simulation einer angeblichen Ausbaugegnerschaft der Frankfurter Grünen in den vergangenen zehn Jahren. Zwar haben auch andere Parteien im Römer beim Thema Flughafen geeiert, gelogen, getrickst und getäuscht, aber keine hat dabei soviel Doppelzüngigkeit und politische Amoralität an den Tag gelegt wie ausgerechnet jene Partei, die ihren Aufstieg zu heutiger Bedeutung nicht zuletzt der Bewegung gegen die Startbahn West verdankt.
Wie unredlich, ja skrupellos die Grünen vorgehen, wenn sich daraus politisches Kapital erhoffen lässt, zeigt ganz aktuell auch ihre Reaktion auf einen Vortrag des Leiters des stillgelegten Atomkraftwerks Biblis: Der berichtete am Montag wahrheitsgemäß, dass die Stilllegung auch den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge haben werde. Postwendend beschuldigten ihn die Grünen im Wiesbadener Landtag, sein Unternehmen RWE schüre „Ängste vor Arbeitsplatzverlusten“. Dagegen ist es natürlich den Grünen keine Pressemitteilung wert, dass Deutschland nach der gerade von ihnen geradezu hysterisch betriebenen Eilabschaltung einiger Kernkraftkraftwerke mehr Atomstrom aus dem Ausland importiert denn je.
Die Folgen ihres politischen (bislang sehr erfolgreichen) Kalküls interessieren die Grünen jedoch weder beim Flughafenausbau in Frankfurt noch bei Biblis in Hessen. Ist der Profit in Form von Wählerstimmen, Sitzen und Geldern erst einmal in die parteieigene Scheune eingefahren und gesichert, geben sich die Strategen der Grünen gerne auch wieder kritisch, wenn sich auf Kosten anderer Kräfte daraus sogar noch Zusatzprofit schlagen lässt. In Frankfurt wird deshalb die CDU die Proteste gegen die Folgen des Ausbaus allein aushalten müssen – ihr Koalitionspartner ist ja nun „Teil des Protests“. Und in Hessen wird es ebenfalls die CDU sein, die für die Arbeitsplatzverluste in Biblis und die Atomstromimporte aus Frankreich Prügel beziehen wird.
Mitleid mit der CDU ist nicht angebracht, die Partei weiß schließlich, was sie tut und was sie sich bei Bündnissen mit den Grünen antut. Den Bürgerinnen und Bürgern sollte allerdings immer wieder aufgezeigt werden, wie unglaubwürdig, ja zynisch die klassische Organisation der „Gutmenschen“ agiert, um handfeste politische Vorteile zu erringen. Für den bislang weder wissenschaftlich noch beruflich profilierten 43 Jahre alten Historiker Olaf Cunitz hat das jedenfalls schon bald sehr erfreuliche persönliche Konsequenzen: Als hauptamtliches Magistratsmitglied wird er ab März keine allzu großen Sorgen mehr um seine materielle Zukunft haben müssen.
Das sei dem umgänglichen, sehr eloquenten Politiker neidlos gegönnt. Es gibt aber keinen Grund zu verschweigen, mit welchen Methoden solche Ämter erobert werden. Zum Thema Flughafenausbau und die Folgen sollten Cunitz und seine Partei am besten ganz tief und schamvoll schweigen. Da sie es leider nicht tun, dürfen sie sich über entschiedenen Widerspruch nicht aufregen. Aber wie der Verfasser dieses Kommentars die Grünen kennt, werden sie genau das tun – natürlich tief betroffen und unverbesserlich selbstgerecht.
Wolfgang Hübner, 23. November 2011