Studenten oder Flüchtlinge?
Kampf um bezahlbaren Wohnraum in Frankfurt
Bis zur Geschmacklosigkeit ist Frankfurt eine Stadt der Gegensätze und das nur auf wenigen 100 Metern. Der Luis Vuitton Store in der Goethestraße strahlt im Luxus. Er ist mit München die größte Filiale in Deutschland. „Haben Sie einen Termin?“ ist immer die erste Frage am Eingang. „Nein“, antworte ich. So habe ich noch etwas zu warten, bis ich schließlich von meiner persönlichen Kundenbetreuerin in Empfang genommen werde, die mich durch die angenehm eleganten Räumlichkeiten eskortiert. Denn niemand schaut sich hier einfach nur so um. „Es läuft unfassbar gut“, sagt sie auf Anfrage. Wer lässt sich bei 690,- € für ein schlichtes, weißes Pocket Polo Shirt schon lumpen?
Zwei U-Bahn-Stationen weiter, im Innenhof des Senckenberg Naturmuseums, wate ich durch Pfützen. Der Wind schlägt die letzten Regentropfen aus den Bauplanen, die von riesig anmutenden Höckern aus Stahlträgern herunterhängen, die wiederum aufeinandergestapelte Holzwohnkisten ohne Fenster tragen. Ist das ein Kunstprojekt aus Afghanistan oder etwa der vielumjubelte The Prototype Frankfurt für junges Wohnen? Unterhalb der sogenannten Wohnanlage ein hässlicher Unort. Hier könnte aber laut Machern ein öffentliches Wohnzimmer, ein Café, ein Lebensmittelverkauf, ein Kino, eine Theaterbühne oder sogar eine Diskussionsarena entstehen. Nur dass man bei Regen nass würde, da die als Dach dienenden Holzplanken nicht miteinander verbunden sind. Mit ihnen hätte man besser eine Spielplatz-Sandkastenlandschaft überbrückt.
Drei Jahre haben Studenten der Frankfurter Städelschule und der University of Applied Sciences zusammen mit Architekten an der Umsetzung dieses Bauprojektes auf Favela-Niveau gearbeitet. Für Architekturkritiker Niklas Maak, der das Projekt als Gastprofessor an der Städelschule initiiert hat, ist es auch eine Antwort auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für „Studierende und Geflüchtete“. Ob der von Akademikern für Akademiker ersonnene Standard für Flüchtlinge akzeptabel ist? Werfen wir einen Blick auf die andere Mainseite, wo das Superior-Hotel Essential by Dorint Frankfurt-Niederrad – die Business Suite mit Kingsize Bett inklusive Frühstück 203 € – gerade seine letzte Google-Bewertung erhält: "Wir waren für zwei Nächte in diesem Hotel und waren sehr zufrieden! Schöne + saubere Zimmer, Klimaanlage + Kühlschrank vorhanden, sehr bequeme Betten. Hervorheben möchte ich das nette Personal. Egal ob an der Rezeption, Reinigungspersonal oder die nette Dame beim Frühstück. Selten irgendwo so erlebt. Alles in einem ein schöner Aufenthalt."
Bevor es ab November mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu einer Übergangsunterkunft für Obdachlose und Flüchtlinge umgebaut wird. Aus 191 Doppelzimmern werden dann 104 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe, damit dort auch geflüchtete Familien mit mehr als vier Personen zusammenleben können. Ein Hotelbetrieb lohnt nicht mehr, das Flüchtlingsgeschäft ist lukrativer. Welche Unsummen bezahlt der Arbeiter-Samariter-Bund für die Anmietung im Auftrag der Stadt Frankfurt?
Und wenn, rein kontrafaktisch gedacht, die Stadt Frankfurt ein Superior-Hotel mit sehr guter Bewertung nicht an Flüchtlinge geben würde, sondern es in ein Studentenwohnheim umwandelte? Würde man Flüchtlingen dann etwas wegnehmen? Sicherlich. Aber dass Ressourcen begrenzt sind, wusste schon Jesus Christus. So beschied er einer Heidin, die mit der Bitte um Heilung für ihre kranke Tochter an ihn herantrat: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Es ist nicht schön, wenn man den eigenen Kindern ihr Brot nimmt (…)“ Die von Hans Bruns übersetzte Bibel erklärt: „Jesus bleibt seiner ihm von Gott gestellten Aufgabe treu. Darum antwortete er der Heidin, die ihn als den Sohn Davids um Hilfe bittet, zunächst mit keinem Wort, ja er bleibt trotz aller Bitten der Frau dabei: Ich bin für Israel da. Das war und ist Selbstbescheidung und Gehorsam.“
Im Gegensatz zum Essential by Dorint Frankfurt-Niederrad ist der skalierbare Frankfurt Prototype Wohncontainer leicht demontierbar und könnte mit wenigen LKWs überall hin transportiert werden. Anfragen aus dem Ausland gebe es schon. Das ist nun nachhaltiges (dauerhaftes) Bauen, nur weil man Materialen wiederverwertet? Eine „sozialpolitische Revolution“ (das Magazin Monopol) ist die örtlich frei flottierende Wohnanlage erst recht nicht. In aller Regel revoltiert man gegen die Zustände vor Ort. Aber mit diesem Gebäudetypus ducken sich Frankfurter Studenten weg – vor dem verspiegelten Hotel mit Luxuswohnungen, das im Hintergrund aufragt. Mit einem Schwimmbad als Entfaltungsraum, das im Niederräder Premium-Hotel schnöde aufgegeben wird. So kommen am Ende alle auf ihre Kosten: Hotelbesitzer, die Geld verdienen wollen. Flüchtlinge, die komfortabel untergebracht werden wollen und Frankfurter, die den Luxus suchen. Nur Studenten eben nicht. Betrete ich den The Frankfurt Prototype Holzkubus von Innen, poppen bei mir unmittelbar vier Assoziationen auf: Es ist billig, eng, dunkel und modrig.
Claus Folger
Die Erstveröffentlichung erfolgte am 13.10.2024 bei Tichys Einblick.