Lebensgefahr an der Bahnsteigkante
Die Unsicherheit in der Stadt wächst
Hübners Frankfurter Woche – Folge 148
Es ist noch gar nicht so lange her, da konnten die Frankfurter Bürger unbesorgt über den Weihnachtsmarkt schlendern oder beim Warten auf die ankommende U-Bahn bereits in der Nähe der Bahnsteigkante stehen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das hat schreckvoll auch eine Frau erfahren, die vor einigen Tagen an der S-Bahnstation kurz vor Eintreffen des Zuges von einem Mann auf die Gleise gestoßen wurde. Es ist dem Fahrer der S-Bahn zu verdanken, daß die Frau nicht verletzt oder gar getötet wurde: Er hielt noch rechtzeitig an und setzte sogar den Täter fest.
Der kleine Junge aus dem Vordertaunus, der vor Jahren von einem anderen Täter, beide ausländischer Herkunft, im Frankfurter Hauptbahnhof vor den Augen seiner Mutter unter einen einfahrenden Zug geworfen wurde, hatte nicht so viel Glück und verlor sein kurzes Leben. Seit damals pflege ich an Haltestellen in ausreichender Entfernung von der Bahnsteigkante zu warten, bis der Zug zum Stillstand gekommen ist. Und den Weihnachtsmarkt besuche ich nicht erst seit dem schrecklichen Geschehen in Magdeburg kaum noch. Das Leben in der Stadt ist spürbar unsicherer geworden.
Gewiss ist die Möglichkeit, Opfer eines solchen Verbrechens zu werden, immer noch gering, gleichwohl aber deutlich größer als noch vor zwanzig Jahren. Das ist keine gute Entwicklung, die auch Gründe hat. Über diese sollte offener geredet werden können. Es ist deshalb keineswegs hilfreich, es so zu machen wie in Berlin: Dort herrscht bei der Polizei Aufregung, weil illegal die Vornamen von Männern an die Öffentlichkeit gelangten, die sich an den jüngsten Silvesterausschreitungen beteiligten und vorübergehend festgenommen wurden.
Wenn die in der Großstadt lebenden Menschen, gleich ob Deutsche, Migranten oder Ausländer – geschützt werden sollen, dann darf nicht unterschlagen werden, vor wem sie konkret geschützt werden müssen. Transparenz ist in diesem Fall der beste Schutz vor einem schädlichen Generalverdacht gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Denn 99,9 Prozent der Frankfurter möchten ohne Angst auf die Bahn warten oder auf den Weihnachtsmarkt gehen.
Wolfgang Hübner