Der Prozess Arid Uka: Tag 5 (6. Teil)

Fremdschämen

Vorwort:

In Frankfurt am Main findet seit dem 31. August der Prozess gegen den jungen muslimischen Flughafenattenäter statt, der aus religiös-politischen Motiven Anfang des Jahres zwei US-Soldaten getötet und zwei weitere lebensgefährlich verletzt hat. Die Tat und der Prozess sind von erheblicher Bedeutung für die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehört und welche Folgen das haben kann.
 
Von besonderer Bedeutung für die FREIEN WÄHLER in Frankfurt ist, dass die Tat ausgerechnet in der Stadt geschah, in der wenige Monate zuvor das gesellschaftspolitische Ziel der Integration von Einwanderern aufgegeben wurde zugunsten eines "Vielfalt"-Konzepts, in dem die Integration von Muslimen und die damit verbundenen Probleme faktisch geleugnet wird.

Die offizielle Reaktion auf die Bluttat bei Frankfurter Politikern und Parteien, aber auch der meisten Medien war dann große Verlegenheit, gezieltes Herunterspielen des ungeheuerlichen Vorfalls und die Suche nach individualpsychologischen Erklärungen für das Handeln des Mörders, der in Frankfurt aufwuchs und sozialisiert wurde. Angeregt von meinem Vorschlag, verfolgt der Sozialwissenschaftler G. Andreas Kämmerer nun den Prozessverlauf und wird über alle Stationen Berichte und Analysen abgeben.

Für die Richtigkeit und Tendenz seiner mit Autorenrechten geschützten Texte zeichnet G. Andreas Kämmerer mit Namen verantwortlich. Seine Texte über den Prozessverlauf erscheinen auf dieser Seite ohne Kürzungen und inhaltliche Eingriffe oder Veränderungen. An der herausragenden sprachlichen und analytischen Qualität der Texte gibt es aus meiner Sicht keinen Zweifel. Doch die Leser mögen sich selbst ein Urteil bilden, für Reaktionen aller Art sind wir dankbar.

Wolfgang Hübner, Stadtverordneter
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Der Prozess Arid Uka: Tag 5 - Fremdschämen

Der fünfte Verhandlungstag des Frankfurter Flughafenmörders Arid Uka war aus technischen Gründen in eine Vor- und Nachmittagssitzung aufgeteilt. Während am kurzen Vormittag nur eine Sachverständige des BKA zu Wort kommen sollte, war für den Nachmittag die Zeugenvernehmung zweier Opfer und Zeugen anberaumt, wobei aufgrund der Reiseunfähigkeit eines der schwer verletzten US-Soldaten die Befragung durch eine Videokonferenz realisiert werden musste.

Vormittag und Fremdschämen

Der vormittägliche, 5. Gerichtstag begann mit einer 15minütigen Verzögerung, Gesprächen hinter den Kulissen, einem ungewöhnlich emsig fotografierenden Pressefotografen, der den Angeklagten im Fokus hatte, und einer sehr interessanten Mitteilung des Vorsitzenden Richters Sagebiel nach der Eröffnung des Sitzungstages: Der Angeklagte Arid Uka habe einen Antrag gestellt, seinen Pflichtverteidiger Hoffmann von seinem Mandat zu entpflichten!

Die weniger als 25 anwesenden Zuschauer nahmen diese spannende Entwicklung mehr als Randnotiz stoisch zur Kenntnis, während der Vorsitzende Richter den Angeklagten Arid Uka darüber belehrte, dass sich Rechtsanwalt Hoffmann zu keinem Zeitpunkt gegenüber Zeugen oder Beteiligten so verhalten habe, dass Arid Uka einen Anlass dafür haben könne, sich über das Verhalten seines Verteidigers „schämen“ zu müssen. Weiterhin belehrte der Vorsitzende Richter den Angeklagten, er verfüge über eine Anwältin seiner Wahl und einen Pflichtverteidiger, es aber auf keinen Fall möglich sein wird, dass er, Arid Uka, jede Woche einen anderen Pflichtverteidiger verlangen könne. Diese Aussage substantiierte der Vorsitzende Richter mit den erhellenden Worten: der Pflichtverteidiger sei nicht dazu da, „ihn jede Woche in der JVA zu besuchen.“
 
Jene Erläuterung des Vorsitzenden Richters lässt den interessanten Schluss zu, dass Arid Uka sich für das als unehrenhaft empfundene Verhalten seines Pflichtverteidigers schämt, und er sich wegen seines Fremdschämens von seinem Verteidiger trennen will. Sollten dies die Motive gewesen sein, dann könnten daraus wiederum zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen werden:

1. Was Ehre oder Unehrenhaftigkeit ist, bestimmt der moslemische Angeklagte aus seiner privaten Sicht.

2. Unehrenhaftigkeit, sollte sie vom moslemischen Angeklagten festgestellt werden, wird in Form einer privaten Selbstjustiz verurteilt und exekutiert.

Im vorliegenden Falle wäre sein Anwalt unehrenhaft und müsste als Strafe von seiner Arbeit entbunden werden. Diese Interpretationen mögen auf den ersten Blick abwegig klingen, jedoch darf nicht vergessen werden, dass die Taten Arid Ukas aus einem Gefühl der inneren Selbstgerechtigkeit entsprungen sind, das so stark war, dass ein Abstrafen von „Schuldigen“ bis zu ihrem Tod moralisch rechtfertigt gewesen ist. In diesem Sinne ist der Antrag auf Entpflichtung seines Strafverteidigers, nur weil dieser nicht so oft zu Besuch gekommen ist, wie der Angeklagte Uka dies forderte, ein Beleg für jene individuelle Überempfindlichkeit des Angeklagten, der Gefahr läuft, jedes nicht freundlich empfundene Verhalten einer Person im Umkehrschluss zu einem feindlichen Verhalten zu erklären.

Ein Sozialverhalten von Arid Uka, das mit fortschrittlichen zivilisatorischen Standards jenseits von Clandenken nicht zu vereinbaren ist, und ein Sozialverhalten, das nicht aus dem Nichts kommen kann, sondern spezifischer kultureller Wurzeln, Erziehungen und einer permanenten sozialen Kontrolle bedarf, eines zumindest moralischen Netzwerkes, dass als oberste Instanz die Handlungsziele bestimmt und verkehrtes Handeln bestraft; in der Summe kulturelle Umweltparameter, die über lange Zeit wirken müssen, und die einer „Blitz“-Radikalisierung über Nacht als Wirkungs-These für Arid Ukas Motivation grundsätzlich widersprechen.

Abschließend gab der Richter zu Protokoll, dass der Antrag von Arid Uka von ihm, wenn er den aufrecht erhalten werde, abschlägig entschieden werden würde. Die Wahl-Verteidigerin von Arid Uka reagierte darauf mit der Bestätigung des Antrages von Arid Uka, der Pflichtverteidiger solle entpflichtet werden. Damit war die einführende Anfangsepisode des 5. Prozesstages beendet, wobei angemerkt werden muss, dass Arid Uka auch an diesem Tag seine gute Laune pflegen konnte und - nachdem er von seinen Handschellen befreit war - er selbst seinem Pflichtverteidiger gegenüber, wenn auch mit Verzögerung, den begrüßenden Handschlag nicht verweigerte. Im Anschluss an den überraschenden Beginn des 5. Prozesstages erschien eine Zeugin des Bundeskriminalamtes als Sachverständige.

Sachverständige des BKA

Die Aussagen der 31jährigen Beamtin des Bundeskriminalamtes (BKA) Berlin bezogen sich einerseits auf die privaten Hintergründe des Angeklagten Arid Uka, andererseits auf die Zeugenaussagen der US-Soldaten Schneider und Veguilla gegenüber dem FBI, direkt nach dem Attentat. Es handelte sich um jene Personen, die diesen heutigen Nachmittag ebenfalls zu einer Zeugenaussage geladen waren. Die damaligen Zeugenaussagen gegenüber dem FBI wurden direkt nach dem Tatgeschehen protokolliert und wurden so im Rahmen eines Rechtshilfegesuches den deutschen Behörden als Beweismaterial zur Verfügung gestellt. Aus diesen Zeugenaussagen berichtete die BKA-Beamtin und konnte so erste Eindrucke über die Wahrnehmungen der Opfer direkt nach dem Tatgeschehen vermitteln - vertiefende Erkenntnisse wurde durch die Zeugenvernehmung der zwei Airmen am heutigen Nachmittag erbracht. Aus den zitierten FBI-Protokollen gingen nur wenige Details über die Zeugenaussage am Nachmittag vor Gericht hinaus, wie folgt:

Der 1989 geborene junge Senior Airman Edgar Veguilla war zum Zeitpunkt des Terroranschlags Obergefreiter der Luftwaffe. Er sah auf dem Weg zu dem Mannschaftsbus „Bluebird“ einen jungen Mann in Jeans und grauem Kapuzen-Sweatshirt vor dem Terminal in der Nähe des Tatorts stehen und mit seinem Handy hantieren. Ein wichtiges Detail, denn es zeigt, dass der Täter vor dem Bus auf einen bestimmten Zeitpunkt hin, also zielgerichtet und handlungsorientiert abgewartet hatte, bevor er den Angriff startete, und dabei möglicherweise mit einer weiteren Person via Handy Informationen austauschte. Ein weiteres Detail, das Veguilla gegenüber dem FBI nannte, war der Umstand, dass er 2 Personen Richtung Bus laufen sah – unmittelbar bevor er selbst im Inneren des Busses mit drei Kugeln niedergestreckt wurde. Die Nennung einer möglicherweise 2. Person im Tatgeschehen geschah im Prozess nicht das erste Mal – wurde aber in keinem Fall vor Gericht thematisiert.

Der Stabsunteroffizier Kristoffer Schneider, geboren 1985, berichtete gegenüber dem FBI, dass er während der Tat laute „Allahu akbar“-Rufe gehört habe und er auf den Schützen zugegangen sei, bevor er mit Schüssen in Hüfte und Kopf schwer verletzt wurde. Die Aussage Schneiders, den islamischen Kampfruf gehört zu haben, bestätigten die Zeugenaussagen zuvor.

Im zweiten Teil des Vortrages nannte die BKA-Beamtin nähere Umstände aus dem privaten Umfeld des Angeklagten Arid Uka, der am 8. Februar 1990 geboren wurde und 1991 nach Deutschland kam, also schon viel früher, als der Angeklagte selbst erinnerte und vor Gericht am ersten Prozesstag zur Person ausgesagt hatte. 2009 stellte Arid Uka einen Antrag auf Einbürgerung in Deutschland, dem aber nicht zugestimmt wurde – stattdessen erhielt Arid Uka 2010 eine Niederlassungserlaubnis für Deutschland. Pikantes Detail in diesem Zusammenhang: Arid Uka beantragte ebenfalls die kosovarische Staatsbürgerschaft und erhielt diese ohne die Serbische dabei zu verlieren. Aus diesen Umständen resultierte eine dreifache Staatenzugehörigkeit amtlicher Natur.

Neben diesen Erkenntnissen berichtete die Beamtin des BKA, die Mutter von Arid Uka sei die Tochter eines muslimischen Geistlichen. Somit wird die bekannt gewordene Aussage aus den Chat-Protokollen bestätigt, dass Arid Uka aus seiner Heimat in Kosovo moralische Unterstützung für seine islamisch begründeten Terror-Ziele erhielt. In jenem Zusammenhang wurden von Seiten der BKA-Beamtin weitere, neue Internet-Chat-Protokolle dem Gericht in Form einer Akte übergeben und allen Prozessbeteiligten in Kopie zur Verfügung gestellt. Inhalte oder Details dieser Beweise wurden an diesem 5. Prozesstag öffentlich nicht thematisiert. Auch die BKA-Beamtin zitierte keine Aussage der Zusatzakte mündlich. Über die Inhalte der zusätzlichen Chat-Protokolle kann somit bis zur Äußerung eines Prozessbeteiligten im Laufe des Verfahrens nur spekuliert werden. Tatsache bleibt, dass jene nicht öffentlich thematisierten Chat-Protokolle Teil einer Grundlage sein werden, die zu der Begründung der Verurteilung führen werden, bzw. gegebenenfalls zu einer Teilentlastung.

Nebenkläger

Im direkten Anschluss der Einlassungen der BKA-Sachverständigen wurde diese von dem Nebenkläger gefragt, wenn denn der Großvater ein Imam sei, ob es von Seiten des BKA Erkenntnisse gebe über die Orientierung der Familie Arid Uka in religiöser, politischer, bzw. politisch-religiöser Art.
Die BKA-Beamtin bestätigte, dass die Familie Uka religiös geprägt sei. Sie spezifizierte, der Koran würde in der Familie von Arid Uka gelesen, es würde in der Familie von Arid Uka aus religiösen Gründen gefastet, und es würde in der Familie von Arid Uka regelmäßig gebetet. Nach dieser knappen, zusammenfassenden Schilderung fügt die Beamtin des BKA als Sachverständige den Kommentar an: es gäbe in der Familie Arid Uka „keine radikalislamischen Tendenzen“.

Diese interpretative Aussage der BKA-Beamtin wurde von keinem der am Verfahren Beteiligten mit einer Nachfrage thematisiert. Auch der Vorsitzende Richter Sagebiel monierte jene Interpretation nicht, wie er Interpretationen von Sachverständigen während der vergangenen Prozesstage durchaus tadelte und diese vor Gericht verbat, da nur Fakten zählen würde, die Interpretation dem Gericht überlassen sei. Daraus ist nur der Schluss zu ziehen, dass die interpretative Aussage der BKA-Beamtin, die Familie Arid Ukas weise keine radikalislamischen Tendenzen auf, als allgemeiner Tenor die Zustimmung des Gerichtes findet.

So blieb eine Frage in großen Buchstaben (die bis unter die Decke des hohen Gerichtes reichten) im Raume stehen: welche Kriterien qualifizieren eine Familie zur „radikalen“ „islamischen“, Glaubensauslegung, die über die strenge, tägliche Auslegung des Korans hinausgehen? Was muss eine Familie außer dem täglichem Beten, Lesen des Korans und die Einhaltung von islamischen Zeremonien wie das Fasten noch tun, um den Koran noch näher an der Wurzel, also noch radikaler auslegen zu können?

Die naheliegende Analyse, dass der Koran und somit der Islam an sich und in sich aufgrund der nicht hinterfragbaren Texte und jener Textaussagen als radikal bezeichnet werden muss (lat. radix), und lediglich das persönliche Engagement, die individuelle Kraft und Einsatzbereitschaft darüber entscheidet, ob man tötet und terrorisiert oder nur fastet und betet, wurde ebenfalls vor Gericht nicht vollzogen. Wenn es aber so sein sollte, wie es die offizielle Sprachregelung des BKA darlegt, dass es von einem „normalen“ Islam-Gläubigen einen Übergang gebe zum „Islamisten“ und wiederum vom „Islamisten“ einen Übergang geben sollte zum sogenannten „Dschihadisten“ - dann ist die Frage scheunentorgroß offen: welche Ursachen sind für die qualitative Stufenentwicklung in negativer Hinsicht zu veranschlagen (Beten – Propagieren - Bomben), die ihre Gründe NICHT im Koran finden?

Wo also – wenn nicht im Koran selbst - ist das „Böse“ in der Welt zu verorten, dass den „guten“ Koran zu einer multinationalen, multikulturellen und multimillionenfachen Tötungs- und Terror-Maschinerie transformiert? Jener Fragen-Komplex blieb auch am 5. Verhandlungstag hinter den bleischweren Vorhängen der Political Correctness verborgen, wenn auch deren glühende Umrisse für alle sensiblen Beteiligten und Beobachter wahrnehmbar waren, während das Gericht die Robe des Schweigens über diesen Fragekomplex ausbreitete.

Nachmittag

Der Nachmittag vor Gericht zeigte ein anderes Gesicht: eine hohe Medienpräsenz von Bild- und TV-Journalisten und gut gefüllten Zuschauerrängen spiegelten die Wichtigkeit der Zeugenaussagen der zwei US-Amerikaner wider. Vor der Zeugenbefragung verkündete der Vorsitzende Richter Sagebiel, dass dem Antrag der Verteidigung, den Pflichtverteidiger zu entpflichten, nicht stattgegeben wird. Neben den eingangs berichteten Einlassungen, führte der Richter unter anderem aus, dass das Gericht neben der nicht vorhandenen „Erschütterung des Vertrauensverhältnisses“ auch aus sozialen Gründen einem Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers von Arid Uka nicht nachkommen könne, da der Angeklagte aufgrund seiner „mittellosen“ Lage bedroht sei, seine Wahlverteidigerin nicht mehr entlohnen zu können und in diesem Falle ohne den – dann entpflichteten Pflichtverteidiger, auf keinen Rechtsbeistand mehr zählen könnte. Der deutsche Staat nahm somit die Armut von Arid Uka zum Anlass, sich schützend über seine Willensentscheidung zu setzen; ein Akt der Fürsorge, der Arid Uka ob der Güte Deutschlands ihm gegenüber diesmal mit Berechtigung beschämen sollte.

Senior Airman Edgar Veguilla

Eröffnet wurden die mit Spannung erwarteten nachmittäglichen Zeugenbefragungen mit dem jungen 22jährigen Airman Edgar Veguilla, der mit seiner Mutter nach Deutschland angereist war. Nachdem Veguilla vom Vorsitzenden Richter begrüßt worden war, begann er seine Einlassungen im Zeugenstand, die von einer Dolmetscherin übersetzt wurden. Im Verlaufe der Vernehmung konzentrierte sich der Vorsitzende Richter immer mehr auf einen sehr wichtigen Umstand und insistierte ungewöhnlich oft, wie zu berichten sein wird.

Veguilla berichtete, wie er am 2. März 2011 sein Gepäck geholt und dann zum Bus gegangen sei, das Gepäck einzuladen. Vor dem Bus sah er einen Mann stehen mit einem grauen Kapuzen-T-Shirt, der offensichtlich etwas in sein Handy tippte. Im Bus befindlich hörte er einen Schuss, und als er im Mittelgang des Busses nach vorne sah, erblickte er den Täter, wie er auf ihn mit der Pistole anlegte. Veguilla suchte Deckung und wurde im gleichen Moment das erste Mal angeschossen – offensichtlich, als er im Begriff war, sich vom Täter Arid Uka wegzudrehen um in dem hinteren Bereich des Fahrzeuges Schutz zu suchen. Denn die Kugel drang durch seine Wange in den Kopf und durchschlug den Kieferknochen und trat wieder aus. Dann, als Veguilla weiter nach hinten flüchtete, traf ihn ein zweiter Schuss im unteren Rückenbereich und Veguilla ging seiner Aussage nach zu Boden. Als Veguilla versuchte, sich mit Hilfe des rechten Armes in die Höhe zu stemmen, traf ihn ein dritter Schuss am hinteren Ellenbogen, so dass er liegenblieb, bzw. sein Vorgesetzter Schneider über ihm niedergestreckt wurde und zu Fall kam.

Auf Nachfrage bestätigte Veguilla, dass der Täter Arid Uka gezielt auf ihn und seine Kollegen angelegt und auch geschossen habe. Ein lediglich „in die Richtung“ feuern, wie es der Angeklagte am ersten Prozesstag Glauben machen lassen wollte, wurde somit von Veguilla ebenfalls klar widersprochen.

Im weiteren Verlauf der Befragung variierte der Vorsitzende Richter Sagebiel immer wieder eine Frage, die auf den letzten bzw. vorletzten Schuss, bzw. die Lage des Zeugen abzielte, als er getroffen wurde. Veguilla blieb jedoch unerschütterlich bei seiner Aussage, dass er, als er das zweite, bzw. dritte Mal getroffen wurde, dem Täter die Rückseite zugewandt hatte. Jenem Umstand dürfte es auch geschuldet gewesen sein, dass der Vorsitzende Richter die Glaubwürdigkeit der Aussage von Veguilla in diesem wichtigen Punkt mehrfach verifizierte. Denn ein Schuss in den Rücken eines Flüchtenden erfüllt das Merkmal der „Heimtücke“, ein Kriterium, ob von vorsätzlichem Mord ausgegangen werden muss oder nicht.

Aus medizinischer Sicht hatte Veguilla unglaubliches Glück – schließlich wurde dreimal aus unmittelbarer Nähe mit einer großkalibrigen Pistole auf seinen Körper geschossen. Neben einem Bruch des Kiefers, der 9. Rippe und des Ellenbogens waren keine Schäden zu beklagen. Dennoch ist Veguilla dermaßen traumatisiert, leidet unter Alpträumen und Angstattacken, dass er nur eingeschränkt dienstfähig ist – ein posttraumatisches Belastungssyndrom, ob der Tatumstände naheliegend.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob Edgar Veguilla den Angeklagten Arid Uka als jenen Täter wiedererkennen könne, der auf ihn geschossen habe, antwortete Veguilla mit einem klaren „Nein“. Eine Antwort, die nicht nur der Panik und Angst und den Umständen geschuldet sein wird, sondern auch eine Antwort, die die Aussage Veguillas unterstreicht, dass er vor dem Täter auf der Flucht war, sich abwandte und ihn so nicht länger in Augenschein hat nehmen können. Diese, scheinbar entlastende Aussage, nicht erkannt worden zu sein, belastet den Täter jedoch schwerer mit dem Delikt des Mordes „aus niederen Beweggründen“, der sein Opfer hinterrücks angreift.

Am Ende blieb der Eindruck einer sehr bewegenden Situation, in der ein sehr junges Opfer aussagte, wie er drei Schüsse auf seine Person erlebte, überlebte, und nun im gleichen Raum befindlich war, wie der Angeklagte Arid Uka, der die Aussagen ohne sichtbare Gemütsäußerungen zur Kenntnis nahm.

Sgt. Kristoffer Schneider

Nach der ersten Aussage Veguillas direkt vor Gericht wurde für die folgende Aussage eine Internetverbindung in die USA aufgebaut, damit der verletzte und nicht reisefähige Zeuge in einer Videokonferenz direkt befragt werden konnte. Nachdem die Bild- und Tonverbindung stand und der 26jährige Kristoffer Schneider vor der Kamera an einem Tisch hatte Platz nehmen können, wurde die eigentliche Brutalität und Unmenschlichkeit des Tatgeschehens für alle Beobachter in der stark deformierten Kopf-Silhouette des Zeugen sichtbar: Kristoffer Schneider war durch einen Kopfschuss schwer entstellt, da ihm die rechte obere Seite des knöchernen Schädels fehlte. Der entsprechende optische Eindruck wirkte surreal, es schien, als würde Schneider ein Viertel des rechten Kopfes fehlen, ein Bild, das alleine beim Zusehen schmerzte und Betroffenheit auslöste, und das man sich bildlich vorstellen kann, indem man sich vom Mittel-Scheitel des Kopfes bis zur rechten Schläfe eine schräge Kante denkt, und keinen Bogen, wie es bei einem unverletzten runden Kopf normalerweise der Fall ist. Trotz dieser augenfälligen schwersten Verletzung äußerte sich Kristoffer Schneider überraschend unauffällig, wenn man seine längeren Denkpausen und sein langsames Sprechen außer Acht lässt.

Ebenso wie Veguilla war Schneider mit dem Einladen des Gepäcks beschäftigt und hatte zuvor noch mit dem Busfahrer gesprochen, als er den ersten Schuss und “Allahu akbar“-Rufe vor dem Bus hörte. Schneider blickte aus dem Fenster und sah einen bewaffneten Mann auf den Bus zurennen. Schneider, der dienstälteste Airman im Bus, erkannte sofort die Gefährlichkeit der Lage. Schneider sagt aus, dass er im Bus keinen rettenden Ausweg gesehen habe. Dann musste er mit ansehen, wie der Busfahrer aus nächste Nähe in den Kopf geschossen wurde, der Täter sich umdrehte, die Pistole auf ihn richtet, weiter auf Schneider zuging, mit der Pistole auf Schneider schießend. Schneider fühlte einen Treffer in der rechten Hüfte und versuchte, sich mit einer Bewegung hin zwischen eine Sitzreihe in Sicherheit zu bringen. Schneider sagt aus, dass er den angeschossenen Veguilla laut schreien hörte. Dann verschwimmen seine Erinnerungen. Er sagt weiter aus, dass er den Schuss in den eigenen Kopf nicht wahrgenommen habe (!) und er sich nur noch erinnere, dass er aus dem Bus gerannt sei, um den Attentäter zu fassen. Dort wurde er von Kameraden aufgehalten, die ihn darauf aufmerksam gemacht haben, dass er einen Kopfschuss erlitten habe und ihn, stark blutend, vor dem Bus erstversorgten. Schneider verliert dann das Bewusstsein. Frühere Zeugenaussagen deuten daraufhin, dass sich Schneider dem Täter in den Weg gestellt haben soll und daher nieder- und angeschossen wurde.

Während die Schusswunde in der Hüfte aus medizinischer Sicht relativ einfach versorgt und geheilt werden konnte, hatte der Kopfschuss schwerwiegende Folgen. Das Projektil drang von schräg-oben (!) in den Stirnbereich ein, durchschlug und zertrümmerte die Augenhöhle und kam in der Nähe des Zungenbeins zum Liegen. In einer aufwändigen Operation musste das Gehirn von der starken Gehirn-Schwellung entlastet werden, wobei der knöcherne Schädelknochen entfernt werden musste. Weiterhin wurde die Augenhöhle durch Implantate rekonstruiert, wobei das Augenlicht des betroffenen Auges nicht gerettet werden konnte. Neben dem Verlust der Sehfähigkeit des rechten Auges leidet Kristoffer Schneider seitdem an einem Anfallsleiden, Schwindel, Angstattacken vor dem Busfahren oder der Dunkelheit, sowie Schwierigkeiten, Schlaf zu finden. Seine Dienstfähigkeit ist noch nicht endgültig begutachtet worden, aber angesichts der Folgen ist anzunehmen, dass Schneider seinen Beruf niemals mehr in der bisherigen Weise ausüben wird können.

Besondere Emotionalität entstand während der Zeugenaussage, als der Vorsitzende Richter Kristoffer Schneider nach der Befindlichkeit seiner Familie befragte. Schneider gab zu Protokoll, dass seine gesamte Familie traumatisiert sei. Auf die Frage des Richters, wie seine Eltern reagiert haben, musste die Befragung für Minuten unterbrochen werden, bis Kristoffer Schneider seine alte Fassung wiedergefunden hatte.

Auf die abschließende Frage von Generalbundesanwalt Jochen Weingarten, ob es stimme, dass er, Schneider, auf den Schützen zugegangen sei, und möglicherweise dabei über Veguilla gefallen sei, bestätigte Schneider insofern, dass er erinnere, sich über Veguilla bewegt, in die Hüfte getroffen und dann in Deckung gesprungen oder gesunken zu sein.

Auf die Fragen des Nebenklägers, ob Schneider den Schützen erinnern würde und ob er den Angeklagten sehen wolle, antwortete Schneider mit „Ja“. Nachdem der Angeklagte über die Webcam für den Zeugen gut zu sehen war, sagte Schneider gegenüber Arid Uka: „Das ist der Mann, an den ich mich erinnere.“

Mit dieser Aussage neigte sich der 5. Prozesstag gegen den Angeklagten Arid Uka dem Ende zu – Halbzeit, des auf 10 Tage angesetzten Verfahrens; ein Tag, der wegen der bewegenden Zeugenaussagen allen Beteiligten in Erinnerung bleiben wird.


G. Andreas Kämmerer , den 30.11.2011

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