Der neue Kirchturm ist ein Büroriese
Ein Immobiliengeschäft der besonderen Art

Hübners Frankfurter Woche – Folge 167
Schon lange Jahre ist der Turm des Frankfurter Kaiserdoms mit seinen 95 Metern nicht mehr das höchste Gebäude in der einzigen deutschen Großstadt mit Wolkenkratzern. Doch ist er immer noch der kunst- und wertvollste Turm der Stadt im Vergleich zu den mächtigeren Konkurrenten in der Skyline. Diese dienen weltlichen Zwecken für Büros und auch Luxuswohnungen. Nun soll in Messenähe an der Friedrich-Ebert-Anlage ein weiterer Büroturm von 130 Metern Höhe entstehen, nämlich auf dem wertvollen Grundstück der Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Matthäuskirche.
Um dieses Projekt wurde lange gerungen, den die Kirchengemeinde wie auch andere Frankfurter Bürger wehrten sich gegen das Verschwinden der Kirche mit ihrem charakteristischen viereckigen Turm und dem goldenen Dachkreuz. Nun aber gibt es ein Projekt, das zwei Besonderheiten aufweist: Nach dem Abriss der Matthäuskirche soll diese auf dem alten Grundstück ein neues Gebäude erhalten, das zwar keinen Kirchturm haben wird, aber in direkter Nachbarschaft zu einem Büroturm entsteht, der den ersten Kirchenneubau in Frankfurt seit vielen Jahren um mehr als 100 Höhenmeter übertreffen wird.
Geplant ist eine Verbindung zwischen Kirchengebäude und Hochhaus in dessen erstem Obergeschoss. Doch bei großen Projekten dieser Art ist Vorsicht geboten, ob sich diese Verbindung am Ende für die Investoren auch rechnet. Das neue Kirchengebäude muß sich um die Finanzierung keine Gedanken machen, denn der Verkauf des Grundstücks in bester Lage dürfte ungefähr 30 Millionen Euro in die Kirchenkasse spülen. Gleichwohl schmerzt die Gemeinde der Verlust des markanten Turms. Und ein Kreuz soll auch nicht mehr auf dem Dach des Neubaus, sondern nur an der Seitenfassade zu sehen sein.
Es ist eine für die Kapitalzentrale Frankfurt typische Lösung: Geld siegt einmal mehr über Tradition und Geschichte. Auch deshalb bekommt das Kreuz, Symbol des Christentums, in einer immer weniger christlich gesinnten Stadt nur noch einen Randplatz. Immerhin jedoch verschwindet die Gemeinde nicht ganz und hat weiter einen Ort für Gottesdienste und Versammlung. Nicht wenigen Kirchen in Frankfurt droht in Zukunft mangels Gläubiger sogar die völlige Entwidmung des bisherigen Zwecks. Und in mancher wird wahrscheinlich schon bald eine andere Religion heimisch werden.
Wolfgang Hübner