Ist Deutschland glücklich mit sich?

Wolfgang Hübner stellt seine politische Biographie vor

Ist Deutschland glücklich mit sich?
© Dorothe Bogner

Eine wichtige Frage für die Sozialpsychologie ist: In welche Gruppe gehört die Person, mit der ich interagiere? Wolfgang Hübner, der sich im Alter als „linker Rechter“ begreift und sich nie als Teil einer politischen Gruppierung empfand, mag sich bei seiner Buchpremiere „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ im Stadthaus Frankfurt vom Moderator Achim Winter zu dieser Fragestellung allerdings nicht festklopfen lassen. 

Immer wieder lockt er den parteifrei gebliebenen Kommunalpolitiker mit knalligen Stimuli aus der Reserve. Hübner formuliert aber keine Parolen wie etwa gegen Massenimmigration. Zudem fand er sich selbst nie als rechts, sondern verweist zu Recht darauf, daß Positionen der konservativen politischen Strömung aus den 1950er Jahre bis teilweise in die 1980er Jahre hinein heute als rechts gebrandmarkt würden. So ist Wolfgang Hübner wohl ein Konservativer, dem das Schicksal des deutschen Volkes immer ein Herzensanliegen war. Das Publikum klatscht, wenn er von der politischen Unbegabtheit und Apathie der Deutschen spricht. 


Hübner bleibt bei sich. Seriös und ohne Klamauk trägt er seine Positionen vor, während der gut vorbereitete und strukturiert fragende Moderator entgegen seiner Gewohnheit nur einen Lacherfolg beim Publikum erzielt. Es ist nun einmal nicht das Metier des BFF-Ehrenvorsitzenden, herzhaft zu lachen bzw. mitzulachen. 

Ein Blick ins Buch: Als ernst und bestimmt, wie vor einer schweren Gewissensprüfung stehend, nimmt der Leser den „frisch politisierten Jüngling“ wahr, den die stürmischen Jahre von 1966 bis 1969 wie viele erfassten. Durch das bissig-mürrische Bild als jungen Soldaten schimmert seine oppositionelle Einstellung gegenüber Autoritäten, auf die schon seine „Kindergartenallergie“ hindeutete. Der Bürde seiner Aufgabe als junger Betriebsratsvorsitzender des deutschen Dienstes der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press AP wird Hübner auf dem nächsten Foto auch dann noch argumentativ gerecht, während die Kollegen mit Sektgläsern in der Hand eher in Feierlaune sind. Am wenigsten angestrengt wirkt das vierte Foto, das ihn als unangepassten, fast schon draufgängerischen Revoluzzer zeigt. Gekrönt von einem spektakulären Blutsauger-OB-Wahlplakat zur Wahl 2007: Mehr Freude an der Provokation geht nicht. 

Die Geschichte der von ihm im Jahr 1994 gegründeten Bürger Für Frankfurt BFF, für die Hübner seit 2001 im Stadtparlament saß, nimmt naturgemäß einen wichtigen Teil seiner Biographie ein. Mit 60 Jahren spürt die „rauflustige“ Kämpfernatur, wie die Kräfte langsam zu schwinden beginnen. Insbesondere die geballte Aggressivität der Grünen und Linken wühlten ihn auf und bereiteten ihm manch schlaflose Nacht. Im Alter von 70 legt folglich sein Mandat als Stadtverordneter nieder und verabschiedet sich 2016 aus der aktiven Kommunalpolitik. 

Auch an der Schwelle zum Unruhestand bleibt der agile und intellektuelle Kopf in seiner Spur, wie es das anschließende Foto bedeutet. Es nimmt die Zeit der nun folgenden Bildungsjahre vorneweg, in denen sich Hübner die Texte von für ihn bedeutenden Autoren erschließt. „Was kommt noch?“, frage ich ihn im Nachgang. „Ich habe eine politische Idee, die noch nicht ausgereift ist.“ Vom Rückdeckel blickt schließlich ein freundlich-distanzierter, älterer Herr. Wer wollte im Gespräch nicht von seiner Lebenserfahrung profitieren?


Die Buchvorstellung „60 Jahre einer politischen Lebensgeschichte“ hat einige Längen, weil Hübner der inspirierenden Art des Moderators nicht immer folgen mag, sich in manchen Dingen bedeckt hält und lieber noch eine Passage aus seiner Biographie vorliest. Seine Stärken kommen als Autor deutlich stärker zur Geltung. Was im Gespräch teils langatmig wirkt, beeindruckt beim Lesen: Der rote Faden, die klare und reflektierende Gedankenführung, die punktgenauen Ausdrücke. Erstaunlich für das Genre Biographie ist sein durchgängiges Bemühen, ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein, ebenso seine schonungslosen Eingeständnisse, Fehler gemacht zu haben. 

So bezeichnet er sich einmal als Mitakteur einer Entwicklung, die das heutige Deutschland in die Misere geführt hat. Ein andermal ist es eines der unverzeihlichsten Versäumnisse seines Lebens, nicht mit seiner bereits 1978 verstorbenen Mutter über ihre Kriegserlebnisse in den Bombennächten gesprochen zu haben. Auch verschweigt er nicht, daß ihn ausgerechnet die Peking Rundschau zu seiner zeitweiligen Mao-Bewunderung animierte. Sind es Anteile der „harten linken Tour aus den frühen 1970er Jahren“, als revolutionäre Gruppierungen ständig Selbstkritik übten und er als „kritisch Suchender“ mittendrin war? „Wie kann man Frankfurt umkrempeln?“, war damals die Frage, was nicht weit entfernt von Hübners Lebensmotto ist: „Nichts ist unabänderlich, nichts soll einfach nur hingenommen werden.“

Bei allem Pessimismus, den Hübner in Bezug auf Deutschland in sich trägt und den er auch mit harten Worten zum Ausdruck bringt, öffnet sich hier eine kleine Hoffnungstür. Denn die Zukunft ist natürlich immer offen. Hübner: „In meinem politischen Leben ist vieles geschehen, was lange undenkbar erschien.“ Das Buch schließt, wenn man es so interpretieren wollte, verheißungsvoll: „Dieses Land braucht Balsam, Trost und Hoffnung und es muß wieder lernen, Glück zu empfinden beim Gedanken an sich selbst.“ Es sind die Worte der 1987 in Kabul geborenen und in Deutschland aufgewachsenen deutsch-afghanischen Schriftstellerin Mariam Kühsel-Hussaini, die in ihren Büchern den Reichtum ihrer orientalischen Herkunft mit der grenzenlosen Ausdruckskraft ihrer deutschen Sprache verbindet. Frank Bökelmann, der Herausgeber von Tumult, einer Vierteljahresschrift für Konsensstörung, die auch Hübner abonniert hat, fragt Kühsel-Hussaini zu ihrem Roman „57“: „Haben Sie Hoffnung, daß Deutschland auf einem multipolaren Planeten wieder seiner selbst gewahr wird? Und wenn ja, gemeinsam mit wem?“ – „Die deutsche Schuld hat Deutschland klein gehalten, und noch kleiner wird es werden, wenn es nicht die letzte Kammer seiner Persönlichkeit betritt: jene goldene Kammer, die keine Angst mehr hat, die Welt jenseits des transatlantischen Tumors zu berühren.“ Es sind Worte, die sinnigerweise kein deutscher Autor formulieren könnte. 

Das Schlusswort dieser Buchbesprechung möge jedoch der Autor, ein gebürtiger Frankfurter, selbst haben. Es findet sich auf Seite 224. Noch einmal erscheint die Zukunft offen: „Die Wiederauferstehung der Frankfurter Altstadt erschien politisch absurd, trotzdem ist sie erfolgt. Dieses kleine Wunder mitbewirkt, eine bleibende Spur in meiner Heimatstadt hinterlassen zu haben, war wohl allein schon ein politisches Leben wert.“


Claus Folger


„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ von Wolfgang Hübner ist als Hardcover im Engelsdorfer Verlag (ISBN 978-3-69095-029-9) erschienen und im Buchhandel für 24,80 EUR erhältlich.

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