Symbolpolitik statt Problemlösung
Am Beispiel Umweltzone und Finanzmarkttransaktionssteuer

FREIE WÄHLER
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Wenn die derzeit dominierenden Parteien und ihr Personal nicht mehr weiter wissen, also die real existierenden politischen, ökonomischen und ökologischen Probleme nicht mehr lösen können oder wollen, dann ist die Flucht in Symbolpolitik verlockend. Am Beispiel Frankfurt gibt es gegenwärtig zwei Themen, an denen sich das zeigen lässt: die Umweltzone und die Finanzmarkttransaktionssteuer. Auch wenn beide auf sehr unterschiedliche Weise das Leben in der Stadt beeinflussen, zeigen sie doch gut, wie unwirksam und darüber hinaus auch verlogen diese Art von Symbolpolitik ist.
Seit Oktober 2011 ist die im gleichen Monat 2008 eingerichtete, ab dem 1. Januar 2012 noch einmal verschärft geregelte Umweltzone endgültig unglaubwürdig geworden. Denn seitdem ist die neue Landebahn des Frankfurter Flughafens im Betrieb. Das schafft nicht nur beträchtliche Lärmbelästigungen in einigen Stadtteilen, sondern belastet auch die Luftqualität durch den Ausstoß an Umweltgiften und Feinstäuben der Flugzeugtriebwerke. Zwar ist dieser Ausstoß nicht zu sehen, seine Existenz und Nebenwirkungen sind jedoch unbezweifelbar.
Nun war (und ist) es bekanntlich das Ziel der Umweltzone, eine merkliche Verringerung der Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentration zur Einhaltung der amtlich definierten Luftgrenzwerte zu erreichen. Das Ergebnis ist jedoch mehr als ernüchternd: Wurden im Jahr 2008 noch an 22 Tagen diese Grenzwerte überschritten, waren es mit 42 Tagen der Grenzwertüberschreitung im Jahr 2011 fast 100 Prozent mehr! Das hängt übrigens noch keineswegs mit der neuen Landebahn zusammen, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass Faktoren wie Wind, Niederschlag und Winterwetter die Zahl dieser Tage entscheidend mitbestimmen.
Das war selbstverständlich schon vor der Einrichtung der Umweltzonen, die auch in anderen deutschen Großstädten ähnlichen Resultate haben, nicht zu bezweifeln. Denn weder auf den Wind noch auf das Wetter haben Politiker irgendwelche Zugriffsmöglichkeiten, wohl aber auf Autofahrer. Besitzer von älteren Modellen mussten und müssen deshalb entsprechend nachrüsten, bei nicht wenigen Fahrzeugen geht das aber nicht. Deren Besitzer wurden und werden gezwungen, entweder ein neues bzw. zumindest ein neueres gebrauchtes Auto zu erwerben oder die Umweltzonen zu meiden oder gar Strafen zu riskieren, wenn sie das Risiko der Befahrung von Umweltzonen ohne entsprechende grüne Plakette eingehen.
Zwar können Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, die derzeit übrigens in Frankfurt in großer Zahl beantragt werden und zur völligen Überbelastung des zuständigen Amtes geführt haben. Doch etliche dieser Anträge werden abgelehnt, für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung werden für ein Jahr immerhin 100 Euro kassiert. Wenn schon die Luftqualität davon nachweisbar nicht profitiert - die Autohändler und Werkstätten freut das und einmal mehr wird das Bruttosozialprodukt gesteigert.
Allerdings wurde mit dieser Begründung die Umweltzone in Frankfurt wie auch anderswo nicht beschlossen und eingeführt. Das stört ihre Verfechter, insbesondere die Parteigänger der Grünen, indes nur wenig. Sie argumentieren, dass trotz der vielen und wachsenden Grenzwertüberschreitungen es dann doch immerhin gelinge, die Luft von noch mehr Feinstäuben zu entlasten. Dieser Logik des kleineren Übels lässt sich schwerlich widersprechen, aber als überzeugendes Argument für den gewaltigen bürokratischen und finanziellen Aufwand, der mit der Einrichtung und der Kontrolle von Umweltzonen verbunden ist, taugt dieser Hinweis auch nicht besonders.
In Frankfurt hat die symbolpolitische Maßnahme Umweltzone seit Eröffnung der neuen Landebahn endgültig jegliche Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit verloren. Ein Bürger aus Sachsenhausen hat das in einem Schreiben, das kürzlich den Fraktionen in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zuging, treffend formuliert: „Es kann nicht sein, dass die Stadt Frankfurt für einen wesentlichen Teil der Bürger schärfere Bestimmung zur Kfz-Nutzung erlässt, aber einen wesentlichen Verursacher von Umweltbelastungen, den Flugverkehr, aus der gesamten Betrachtungsweise herauslässt und ihm auch noch gestattet, die südlichen Wohngebiete von Frankfurt zu überfliegen, so dass damit die Schadstoffe über viele Kilometer neben den Flugrouten über gesamt Frankfurt und deren Umgebung verteilt werden können. Ich stelle deshalb den Antrag, die Umweltzone abzuschaffen und mit sofortiger Wirkung auszusetzen.“
Ob dieser Bürger mit seinem Ansinnen Erfolg haben wird, ist in Kenntnis der politischen Mehrheitsverhältnisse in Frankfurt mehr als fraglich. Denn bei der Umweltzone geht es ja keineswegs darum, Umweltbelastungen zu mindern, sondern um auf politische Wirkung zielende Symbolpolitik, mit der bewiesen werden soll: Wir machen was, auch wenn wir nichts Wirksames machen können und das auch gar nicht ernsthaft anstreben. Wäre das anders, gäbe es parteiübergreifend nicht ein so auffallendes Schweigen um die Verschlechterung der Luftqualität durch den Flugverkehr. Aber wer fliegt auch schon lieber und öfter als Politiker und die besonders weltoffenen Grünwähler im Staatsdienst?
Symbolpolitik anderer Art ist die vieldiskutierte, bislang noch nicht durchgesetzte Finanzmarkttransaktionssteuer. Mit ihr sollen profitable Geschäfte der sogenannten „Finanzindustrie“ weniger profitabel, folglich weniger reizvoll gemacht werden. Keineswegs nur nebenbei soll sich der klamme Staat damit eine neue Finanzquelle erschließen. Ob das wirklich was bringt, darf füglich bezweifelt werden, denn das große Geld ist ein besonders scheues Reh mit vielen Fluchtmöglichkeiten. Für das deutsche Finanzzentrum Frankfurt könnte die Finanzmarkttransaktionssteuer sogar zu einer ernsten Standortgefahr werden, wie zu lesen ist und auch anzunehmen ist.
Eine kritische Analyse der Finanzmarkttransaktionssteuer von Ralph Bärligea kommt zu diesem Resultat: „…trifft die Finanzmarkttransaktionssteuer gerade die Eigentümer und Kunden der Institute, die gut gewirtschaftet haben und die Steuer darum überhaupt bezahlen können. Mit dem eingenommenen Steuergeld sollen dann Banken, die schlecht gewirtschaftet haben, gerettet werden. Man lässt die Eigentümer und Anleger der schlecht wirtschaftenden Banken die Kosten der Krise nicht selbst über die eigenen Verluste direkt tragen. Man sozialisiert mit der Finanzmarkttransaktionssteuer die Kosten, indem man sie auf alle Banken und letztendlich die Bürger, uns alle, verteilt. Das setzt Fehlanreize zu noch schlechterem Wirtschaften, verschlimmert die Krise und ist ungerecht. Man finanziert auf diese Weise die Krise weiter.“
Bislang wird diese Steuer in Deutschland vordringlich aus dem Lager der ideologisch geleiteten linken Parteien und Kräfte gefordert, der Widerstand aus der CDU ist auch nur noch gering. Für die Linke hierzulande ist das Drängen auf die Einführung der Finanzmarkttransaktionssteuer ein Armutszeugnis sondergleichen, gesteht diese politische Linke damit doch ein, nicht mehr – wie auch immer zu beurteilende – „Systemveränderungen“ anstreben zu wollen, sondern künftig nur eine wenig mehr Brosamen als bisher vom wilden Treiben des Kapitalismus abhaben zu wollen.
Für jene Befürworter dieser Steuer, die im Gegensatz zur Linken im Sinne der Systemerhaltung aus besten Motiven mehr Gerechtigkeit und weniger Spekulation erreichen wollen, gilt: Mit letztlich wirkungsloser, weil in der globalisierten Welt leicht zu unterlaufender Symbolpolitik lassen sich die tatsächlich riesengroßen Finanzprobleme von Bund, Ländern und Kommunen nicht einmal annähernd lösen. Dazu schreibt der oben zitierte Autor: „Der wahre Grund für übermäßige Spekulation ist das billige Geld und die Rettungspolitik für Banken. Banken erhalten fast zum Nulltarif Geld von der Europäischen Zentralbank (EZB)… Dadurch gehen sie auch unrentable Spekulationen ein, deren Risiko in keiner vernünftigen Relation zum Nutzen steht. So stabilisieren sie die Preise tatsächlich nicht, wie zunächst beschrieben, sondern sorgen für Chaos an den Finanzmärkten. Dieses Problem würde durch die Finanzmarkttransaktionssteuer jedoch nicht gebremst, sondern zusätzlich verschärft werden.“
Die Beispiele für die Flucht in Symbolpolitik auf kommunaler wie nationaler Ebene ließen sich noch lange fortsetzen. Sie alle zeugen von dem Versagen der dominierenden Parteien und ihrem Personal, sich ernsthaft und grundsätzlich den vielfältigen Problemen unseres Landes und unseres Volkes zu stellen. Da ist es eben einfacher und auch viel publikumswirksamer, in immer kürzeren Abständen mit einer symbolpolitischen Novität Aufsehen zu erregen. Derweil wird das, was tatsächlich politisch zu lösen wäre, immer unlösbarer. Den Preis dafür werden wir alle bezahlen - er steigt täglich.
Wolfgang Hübner, 15. Januar 2012