Die Neue Altstadt wird wachsen

Der erfolgreichste erfolglose Antrag in Nachkriegs-Frankfurt

Die Neue Altstadt wird wachsen
© Franz K. - pixelio.de

FREIE WÄHLER

Kommentare/Meinungen


Der 23. Januar 2012 wird als ein markantes Datum in die Stadtgeschichte Frankfurts eingehen, es war dazu ein glücklicher Tag für die FREIEN WÄHLER. Denn mit der Grundsteinlegung für die Neue Altstadt samt etlichen Rekonstruktionen der 1944 im Feuersturm der Bombardierung zerstörten Häuser wird Realität, was die FREIEN WÄHLER Mitte 2005 als zwar ungewöhnlichen, interessanten Antrag an die Stadtverordneten formulierten, allerdings – so sah es aus -  ohne jede Erfolgsaussicht, weil alles schon in eine ganz andere Richtung wies.     

Dieser Antrag, der Ende August 2005 in die parlamentarische Beratung kam, wurde auch prompt in der 47. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 22. September 2005 gemeinsam von CDU, SPD, Grünen sowie den Linksextremisten abgelehnt, nur die antragstellenden FREIEN WÄHLER sowie die Flughafenausbaugegner und die Republikaner stimmten der Vorlage zu. In der öffentlichen Meinung war jedoch schon längst eine ganz andere Abstimmung in Gange, nämlich jene für den Inhalt des Antrags. Es ist notwendig, diesen noch einmal vollständig in Erinnerung zu bringen, um zu begreifen, wie vollständig die einst im Römer gescheiterte historische Initiative der damaligen Ein-Mann-Fraktion der FREIEN WÄHLER nun in die Tat umgesetzt werden wird:

 
Betreff:  Technisches Rathaus: Den Abriss als Chance nutzen!

Der nicht mehr strittige Abriss des Technischen Rathauses bietet eine unwiederbringliche Chance für Frankfurt. Denn damit wird ein Areal von großer geschichtlicher Bedeutung und Tradition frei für eine städtebauliche Neugestaltung im Geist der Rückbesinnung: Planung und Realisierung der künftigen Gestaltung sollen sich am Erscheinungsbild dieses Bereichs der Altstadt vor der Zerstörung im 2. Weltkrieg orientieren.

Historisch wertvolle Gebäude im Bereich des ehemaligen „Hühnermarkts“ und des „Krönungswegs“ wie die „Goldene Waage“, „Rotes Haus“ oder das einst von Goethe bewohnte, in seinen Werken verewigte „Haus der Tante Melber“ sollen deshalb als architektonische Leitbauten rekonstruiert werden.

Die Stadtverordnetenversammlung möge deshalb beschließen, dem Magistrat aufzuerlegen:

- Die künftige Straßen-/Gassenführung soll sich wieder an dem über Jahrhunderte gewachsenen Vorbild orientieren

 - Die bebauten Parzellen sollen an das kleinteilige historische Vorbild angelehnt sein.

 - Die Architektur soll der Vorkriegsbebauung optisch verpflichtet sein. Die Fassaden einiger besonders markanter Gebäude und der Platzcharakter des „Hühnermarkts“ mit dem Stoltze-Denkmal werden stilecht rekonstruiert. Althergebrachte Baustoffe und Dachformen sollen Verwendung bringen. Innenbereiche sind nach modernstem Stand zu fertigen.

- Der Straßenbelag wird einheitlich aus historisch stimmigen Pflastersteinen gestaltet.

- Der jetzige „Archäologische Garten“ bleibt - ähnlich wie das „Museum Judengasse“ am Börneplatz - als Kellergeschoss der künftig darüber entstehenden Gebäude erhalten.

Begründung:

Auf dem Areal des zum Abriss bestimmten Technischen Rathauses sowie um dieses herum befindet sich die Keimzelle der historischen Stadt. Hier lag über Jahrhunderte ihre Seele. Die endlich möglich werdende Entwicklung eines besonderen städtebaulichen Bereichs, der bis 1944 zum Zentrum Frankfurts gehörte, verlangt eine sehr sensible Behandlung.    

Das Areal zeichnete sich durch hohe Wohndichte und lebendige Urbanität aus. Bestimmte Bautypen - es waren in der Regel schmale, hohe Giebelhäuser - dominierten die mittelalterliche Altstadt bis zu den verheerenden Bombenangriffen 1944: Gotische Massivbauten mit Treppengiebeln (ähnlich dem Römer), Fachwerkbauten, oft mit massivem Untergeschoß, sowie eingestreute dreigeschossige Patrizierhäuser, oft aus der Barockzeit.

Die unveränderte Beliebtheit der beiden markantesten historischen Nachkriegs-Rekonstruktionen in Frankfurt - Alte Oper und Ostzeile des Römerbergs - belegen das Bedürfnis der Bürgerschaft nach sinnlich erfahrbarer Einbettung der Vergangenheit in die Gegenwart. Bevölkerung wie Besucher suchen mehr denn je nach Orten, die ihnen Geborgenheit und Schönheit vermitteln.

Das Wiedererstehen eines zerstörten Altstadtbereichs als Teil städtebaulicher Wiederbesinnung bietet Möglichkeiten für Frankfurt, die ein weiterer architektonisch austauschbarer Hotel- und Bürokomplex wohl endgültig verspielen würde.

Die historische Lösung der Neugestaltung bietet eine bessere Identifikation der Bürger mit ihrer geschichtlich bedeutenden und traditionsreichen Stadt, also eine nicht zu überschätzende Integrationsfunktion. Diese Lösung bietet auch langfristigen wirtschaftlichen Nutzen durch Steigerung der touristischen Anziehung.

Die historische Neugestaltung des Areals ist gewiss wesentlich aufwendiger – finanziell wie technisch. Aber dieser Mehraufwand rechnet sich bereits mittelfristig: Denn nur eine außergewöhnliche Lösung macht für Geschäfte, Restaurants, Cafés und Büros die Anmietung in einem Bereich reizvoll, der bisher keineswegs zu den geläufigsten Einkaufswegen der Innenstadt gehört. Zudem werden hier Touristen aus aller Welt angezogen, ohne sich, wie bislang, zwischen Römerberg und Dom durch eine städtebauliche Wüste bewegen zu müssen.  

Die Probleme mit der ähnlich etwas abseits gelegenen „Frankfurter Welle“ geben Hinweis darauf, dass es besonderer Attraktionen bedarf, um das einheimische wie auswärtiges Publikum anzulocken. Diese Attraktionen wären geboten: Malerische Gassen, durch die Besucher wie Frankfurter gerne schlendern. Wohlige Speisengerüche, die aus Restaurants und Cafés in die Luft steigen. Begehrter innerstädtischer Wohnraum in den Obergeschossen der Häuser. Ateliers und Galerien zur Bereicherung des kulturellen Lebens.

Dieser Teil der Frankfurter Altstadt soll ein pulsierendes, gastronomisch und kulturell lebendiges Quartier werden, das positiv ausstrahlt in die umliegenden, heute noch weitgehend im Dornröschenschlaf weilenden Straßen.

Fazit: Die hiermit angestrebte Lösung für die Neugestaltung respektiert die Stadt- und Baugeschichte Frankfurts, verspricht hohe Popularität, ist ein wichtiges Stück Stadtheilung und historischer Brückenschlag zwischen den Epochen. Nicht zuletzt ist diese Lösung ein rentables Projekt für Investoren, die damit zugleich einen unschätzbaren Beitrag zur Zukunft der Stadt und des Standorts leisten könnten.


Es war nicht zu erwarten, dass bei der feierlichen Grundsteinlegung  einer der  Redner auch nur ein Wort über diesen Antrag verlieren würde. Soviel Format besitzt weder die Oberbürgermeisterin, die dem ganzen Projekt stets mit kalter Distanz begegnete und das bei der Feier abermals unter Beweis stellte, noch der scheidende Planungsdezernent, der seinerzeit alles andere als begeistert von der Idee war, im Krieg zerstörte Bauten zu rekonstruieren. Doch der große Andrang rund um die Grundsteinlegung bewies einmal mehr: Der Erfolg hat stets überraschend viele Mütter und Väter, darunter jede Menge solcher, die ihn früher fast um jeden Preis verhindern wollten.

Das zu beklagen wäre lebensfremd und nebenbei so kleinlich, wie es jene sind, die nicht über die entscheidende Initialzündung für die Neue Altstadt reden wollen, weil sie von politisch ungeliebter Seite kam. Vielmehr muss beklagt werden, dass die geistige Dimension des Konflikts um die Bebauung des Areals zwischen Dom und Römer fast vollständig ausgeklammert wurde.

Wie lustlos die amtierende Oberbürgermeisterin mit diesem gerade bei jenem Projekt unverzichtbaren Aspekt umging, war deprimierend und macht den baldigen Abschied von ihr gewiss leichter. Auch der Planungsdezernent streifte die in der Anfangsphase seitens der Rekonstruktionsgegner erbittert und ideologisch-polemisch geführte Debatte nur oberflächlich. Immerhin gebührt ihm der Verdienst, großen Anteil am Abriss des monströsen Technischen Rathauses zu haben, auch hat er eine mögliche Neubebauung mit einem riesigen Hotelbetonklotz verhindert.

Doch wäre es nach ihm, der Oberbürgermeisterin und nach dem Willen aller 2005 regierenden Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP gegangen, dann wäre am historischen Ort ein weiteres gesichtsloses Viertel der schon lange erschöpften architektonischen  Moderne entstanden, absurd garniert mit historischen Gassenbezeichnungen. Dem haben die FREIEN WÄHLER damals nur deshalb ein ganz anderes Konzept entgegengesetzt, weil sie das aus einem ganz anderen Geist und auch einem anderen Verständnis von Geschichte und Tradition getan haben. Der Verfasser dieses Textes musste sich dafür als „Geschichtsrevisionist“ (das kommt gleich nach „Holocaust-Leugnung“) und ähnlichen Unterstellungen schmähen lassen.

Aber so ist das oft in der Stadt von Habermas und Adorno: Wer nicht strikt entlang des politisch-korrekten Weges läuft, der darf keinen fairen Diskurs erwarten, sondern wird in die „rechte“ Ecke gestellt, wird stigmatisiert. Im Falle der Bebauung des Dom-Römer-Areals ist das allerdings an der sich rasant entwickelnden öffentlichen Sympathie für den Inhalt des Antrags der FREIEN WÄHLER gescheitert. Das ist gut für Frankfurt: Die Neue Altstadt wird mit Gewissheit eine wertvolle Perle, eine große Attraktion dieser unruhigen, spannenden Stadt am Main werden.

Der Kampf hat sich also überaus gelohnt. Es sind viele, die dafür gekämpft haben. An eine sei gerade anlässlich der Grundsteinlegung besonders erinnert: An Heidrun Christensen, die im Frühherbst 2010 so plötzlich und viel zu früh verstorbene Vorsitzende des Vereins „Pro Altstadt“. Diese leidenschaftliche Wahl-Frankfurterin hat ihre ganze Lebenskraft in dieses Projekt gegeben. Sie hätte bei der Feier jene Tränen der Freude vergossen, die dem Ereignis keineswegs unangemessen gewesen wären. Jedes rekonstruierte Haus, das demnächst zwischen Dom und Römer wächst, wird auch an diese ungewöhnliche Frau erinnern, die mit einem Wort zu würdigen jedem der Redner so gut angestanden hätte.


Wolfgang Hübner, 24. Januar 2012  

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