Gedenkfeier für die Mordopfer des "NSU" ("Nationalsozialistischer Untergrund")

Fremdschämen

Gedenkfeier für die Mordopfer des "NSU" ("Nationalsozialistischer Untergrund")
© S. Hofschlaeger - pixelio.de


Letzte Woche sah ich im "heute journal" die Gedenkfeier an die Mordopfer des "NSU". Eine bewegende Sache, fand ich. Allerdings weniger wegen der Reden der Betroffenheitsprofis aus Politik und Gesellschaft, sondern wegen einiger weniger Momente, wo die Trauer der Angehörigen, die Scham darüber, das man die Opfer zu Unrecht verdächtigt hatte, selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein, greifbar wurde. Als die Töchter der Opfer von ihren Vätern sprachen, hätte man schon aus Stein sein müssen, um nicht aufrichtiges Mitleid zu empfinden.
 
Unwohl wurde mir aber beim Beobachten der Inszenierung des Gedenktages, die mit ihrem falschen Pathos die Grenze des Lächerlichen mehrmals zumindest streifte. Das machte es für mich glaubhaft, dass die Idee dazu von unserem ehemaligen Bundespräsidenten Wulff höchst selbst stammen sollte, um sich wieder zu profilieren.

Noch unwohler wurde mir, als ich merkte, dass sich das staatlich verordnete Gedenken bis in den Alltag, bis in alle Lebensbereiche zog. Als ich mittags mein Büro verließ, um zu meiner Essensverabredung zu fahren, sah ich auf den Fahrplananzeigen der VGF, an denen sonst Weihnachtswünsche und ähnliche Mitteilungen gemacht werden, fortlaufend die Nachricht, dass um Punkt zwölf der Betrieb still stehen werde, um in einer Gedenkminute der „Nazi-Opfer“ zu gedenken. Ich war verwirrt und fühlte mich auch abgestoßen, weil mir das dann doch übertrieben schien. Ich dachte, jetzt müsste ich mich auch kollektiv mitschämen, wegen dieser Verbrechen, die noch nicht aufgeklärt sind, und in der die Justiz das letzte Wort noch nicht gesprochen hat.

Eher kam bei mir aber ein Gefühl des Fremdschämens auf für die Politik und die Gesellschaft, die mir vorschreibt, mich für etwas zu schämen, für das ich nichts kann und mit dem ich auch nichts zu tun habe. Und warum soll ich mich schämen? Weil ich deutsche Staatsbürgerin bin und nicht zu dem Bevölkerungsteil gehöre, der türkische Wurzeln hat, die Opfer aber Türken waren. Und was ist mit den Opfern von Morden an Deutschen, Italienern, Russen, Chinesen oder an Angehörigen anderer Nationalitäten, oder den Morden von Angehörigen dieser Nationalitäten untereinander oder an Deutschen, oder gar Opfer von Morden von Türken an Deutschen? Ist nicht jedes Mordopfer eins zuviel, das unser aller Mitleid verdient, genauso wie die Angehörigen der Opfer unser Mitgefühl verdienen? Ist nicht jeder Mord widerwärtig und verabscheuungswürdig, aus welchen Motiven auch immer?

Der Gerechtigkeit halber rege ich Gedenktage für alle Opfergruppen an, auch für die Deutschen, die von Angehörigen anderer Nationalitäten ermordet wurden.


Alexandra Gerecht-Mahr

Leserkommentare (1)

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Ich schliesse mich der Meinung von Frau Gerecht-Mahr eindeutig an. Alle Menschen sind gleich, egal welche Rasse oder Religion sie haben. Dies sollte im Besonderen für alle zutreffen, die durch Dritte zu Tode kamen oder gebracht wurden.
Also entweder wird allen ausdrücklich gedacht, oder keinem. Das Hervorheben einzelner Gruppen, halte ich für höchst befremdlich.