Der politische Prüfstein heißt Sarrazin
Eine kritische Gesellschaftsanalyse ist notwendig, um politisch bestehen zu können

Nichts hat die grünen, roten und linksliberalen Menschheitsbeglücker so verunsichert, aber auch so aggressiv gemacht wie der überwältigende Erfolg von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Zwar ist die brisante gesellschaftskritische Analyse des prominenten SPD-Mitglieds inzwischen aus den Bestsellerlisten verschwunden, doch nach wie vor scheiden sich an der Wertung des Buchinhalts die Geister.
Erneut haben das verschiedene Reaktionen nach der Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten eindeutig bewiesen: Sofort wurde aus den hinlänglich bekannten Kreisen - vom altlinksgrünen RAF-Anwalt Ströbele bis hin zu der gewohnt anmaßend auftretenden türkischen Einwandererlobby – der Ruf laut, nun müsse sich Gauck aber ganz schnell von positiven Äußerungen distanzieren, die der künftige Bundespräsident in der Vergangenheit über Sarrazins Analyse gemacht habe.
Gewiss kann man sich ärgern oder gar aufregen ob solcher Unverfrorenheit der in den Medien auffallend lautstark zu Wort kommenden Blockwarte der „Politischen Korrektheit“. Aber wäre das nicht nur einmal mehr verschwendete Zeit und Energie? Bedeutsamer dürfte doch sein, welch aufschlussreichen Fingerzeig diese Reaktionen all denen geben, die sich in Deutschland darum bemühen, eine umfassende Alternative mit bürgerlich-wertkonservativem und patriotischem Charakter zum System des geistig, moralisch und ordnungspolitisch verwahrlosten Allparteienblocks zu bilden.
Sarrazin hat in seinem Buch die Gefahren für das Fortbestehen des deutschen Volkes, die Defizite seiner demokratischen Grundordnung und die Bedrohung des Wohlstands in Deutschland ebenso nüchtern wie wissenschaftlich-statistisch nahezu unanfechtbar analysiert. Das musste und muss selbstredend all jene in Alarm, ja Wut und Hysterie versetzen, die für die von Sarrazin aufgezeigten Fehlentwicklungen und Missstände verantwortlich waren bzw. sind, sich darin aber bestens eingerichtet haben.
Hingegen musste es diejenigen elektrisieren und motivieren, die schon lange besorgt sehen, auf welch abschüssige Bahn Deutschland geraten ist. An Sarrazins Buch scheiden sich jedoch nicht nur die Geister, sondern am Verhältnis zum trotz aller Schmähkritik realitätsgerechten Inhalt der Analyse des früheren Berliner Finanzsenators verläuft die Frontlinie zwischen Verursachern und Profiteuren der jetzigen Situation in Deutschland auf der einen Seite und den Verteidigern der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite.
Deshalb gilt: Nur wer sich so fundamental wichtiger Themen wie Euro-Krise, Bevölkerungsentwicklung, Integrationsversagen, Islamisierung und Sozialstaatsüberforderung annimmt, sich diesen Problemen stellt, dazu Lösungen abseits und ungeachtet der des faktisch in Deutschland herrschenden „politisch korrekten“ Meinungskonformismus formuliert – nur der wird zwischen Flensburg und Konstanz zusätzlich und alternativ zu den etablierten Kräften politisch gebraucht.
Wer diese Themen hingegen scheut, wird im Umkehrschluss nicht gebraucht. Dabei spielt es keine Rolle, aus welchen Gründen diese Themen gescheut werden – es müsse übrigens keineswegs die schlechtesten Gründe sein. Aber für jeglichen noch so verständlichen Unwillen, sich den wahren fundamentalen Herausforderungen Deutschlands zu stellen, bleibt schon deshalb keine Zeit mehr, weil die sich bereits deutlich abzeichnenden ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen beim künftigen Scheitern der Euro-Kunstwährung alle Herausforderungen noch dramatischer gestalten werden als ohnehin schon.
Daran muss mit gebotener Deutlichkeit auch und gerade deswegen erinnert werden, weil sich derzeit bundesweit die Parteigründung der FREIEN WÄHLER (FW) vollzieht. Diese geschieht mit dem inhaltlichen Anspruch, sich bürgerlich-wertkonservativ im politischen Spektrum zu positionieren. Dieser Anspruch bedarf allerdings auch entsprechend glaubwürdiger Programmatik, die allein mit lobenswerter Euro-Kritik keineswegs schon einzulösen ist.
Die FREIEN WÄHLER in Frankfurt haben im Kommunalwahlkampf 2011 für einiges Aufsehen und auch Aufregung gesorgt mit einem Plakat, auf dem zu lesen war: „Damit Frankfurt Sarrazin beherzigt“. Ob dieses Plakat zusätzliche Wählerstimmen gewonnen oder im Gegenteil Stimmen gekostet haben mag, wird im Nachhinein nicht zu klären sein. Das ist auch letztlich unwichtig. Denn der Plakattext sollte vor allem eine politische Standortbestimmung vermitteln: Die gesellschaftspolitische Position der FREIEN WÄHLER in Frankfurt.
Die politischen Gegner der FREIEN WÄHLER vor Ort, von den Grünen über die Jungsozialisten bis hin zu diversen Linksextremisten, haben seinerzeit die Botschaft sehr wohl verstanden und entsprechend gereizt reagiert. Das war alles andere als verwunderlich, stellt doch Sarrazins kritische Analyse sowohl für die etablierten Parteien bis hin zu den Linksextremisten die denkbar größte Provokation dar.
Befremdlich allerdings ist es, dass Teile der FREIEN WÄHLER im Bund und Hessen ängstlich und krampfhaft um „politische Korrektheit“ bemüht sich von Sarrazin distanzieren zu müssen glauben. Damit verweigern sie sich aber den aufklärerischen Analysen in „Deutschland schafft sich ab“ ebenso wie den gerade in Großstädten und Ballungsgebieten notwendigen Folgerungen daraus. Und natürlich wird diese Distanzierung als Unterwerfungsgeste angesehen werden, die gerade in der sehr wichtigen und großen Gruppe politisch heimatlos gewordener wertkonservativer, nationalkonservativer und bekennend christlicher Wähler kein Vertrauen gewinnen wird.
Die FREIEN WÄHLER, die 2013 im Bund wie in Hessen und auch anderen Bundesländern zur neuen politischen Kraft mit bürgerlich-wertkonservativem Anspruch werden wollen, sollten noch rechtzeitig begreifen: Das Bekenntnis zur gesellschaftskritischen Analyse von Thilo Sarrazin ist die unverzichtbare Prüfung, die es zu bestehen und trotz aller Angriffe der politischen Gegner und ihrer zahlreichen Unterstützer in den Medien zu durchstehen gilt.
Wer sich dieser Prüfung nicht stellt, sie verweigert oder sie in Ermanglung von Mut und Substanz weder besteht noch durchsteht, der mag in Deutschland vielleicht von der üppigen Parteienfinanzierung demnächst anteilig profitieren, wird aber für die wertkonservative, gesellschaftspolitische und freiheitliche Erneuerung unsers Landes schlichtweg nicht gebraucht.
Wolfgang Hübner, 5. März 2012