Die modernen Barbaren
Christliche Feiertage im Fadenkreuz der Spaßgesellschaft

Muss man Christ sein, um die christlichen Fest- und Feiertage zu respektieren? Muss man Christ sein, um an diesen Tagen ein Verbot von öffentlichen Tanzveranstaltungen hinzunehmen? Muss man Christ sein, um zu verstehen und zu akzeptieren, dass die geistliche, geistige und sittliche Prägung Deutschlands sowohl historisch wie egenwärtig noch immer vorrangig eine christliche Prägung ist? Meine Antwort ist ein dreifaches Nein: Denn man muss zu alldem kein Christ kein, man muss dazu nur kein moderner Barbar sein.
Seitdem der ehemalige Frankfurter Ordnungsdezernent Volker Stein zur allgemeinen Überraschung, aber auch vereinzelter Bewunderung 2011 erstmals seit vielen Jahren das gesetzliche Verbot von öffentlichen Tanzveranstaltungen durchsetzen wollte und auch entsprechend gehandelt hat, laufen Grüne, Linke und nun auch die angeblich so ideologiefreien Piraten Sturm gegen das aus dem Jahr 1952 stammende Gesetz. In dem Gesetz werden an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen öffentliche Tanzveranstaltungen von 4 Uhr früh bis Mitternacht untersagt.
Ein Gesetz, das nicht kontrolliert wird, kümmert im Laufe von Jahrzehnten niemand mehr, also wurde und wird an Sonntagen und auch an den meisten gesetzlichen Feiertagen in der Stadt längst öffentlich getanzt. Umso größer war im vergangenen Jahr der Schock in bestimmten Kreisen, als der FDP-Politiker im Magistrat nachdrücklich auf der Einhaltung dieses geltenden Gesetzes pochte. Prompt fand in Frankfurt am Karfreitag 2011 eine von Grünen und linken Gruppen organisierte „Tanz-Demo“ statt, bei der - ganz nebenbei - die Prozession der in Frankfurt lebenden kroatischen Katholiken rücksichtslos gestört wurde.
In provozierender Weise zog die „Tanz-Demo“ an jenem Karfreitag durch die fast leeren Straßen Frankfurts – für kritische Augenzeugen ein beklemmender Narrenzug herumzuckender Leiber im Rhythmus aufpeitschender Musik aus den von fast allen Teilnehmern mitgeführten Kopfhörern ihrer MP3-Playern. Nie zuvor in meinem schon ziemlich langen, an Demonstrationserlebnissen nicht armen Leben stieg mir beim Anblick dieses sogenannten „Flashmobs“ ein ähnliches Ekelgefühl hoch: Da liefen materiell bestens versorgte, halbwegs intelligente, jedoch kulturell verwahrloste Kinder unserer Gesellschaft und bildeten sich ein oder gaben vor, in ihrer Freiheit davon beschnitten zu werden, weil sie an dem Tag, an dem Jesus Christus ans Kreuz geschlagen wurde, nur privat, aber nicht öffentlich tanzen dürfen!
Kaum ein anderes Ereignis hat mir so drastisch, so unmittelbar sinnlich vermittelt, mitten in Frieden und Wohlstand von einer ganz neuen Barbarei bedroht zu sein – der modernen Barbarei der Glaubensverächter und Orientierungslosen, die bedingungslose Toleranz predigen, tatsächlich aber intolerant bis in die Haarspitzen sind.
Nicht nur mir dürfte klar sein, dass die modernen Barbaren nicht ruhen und rasten werden, bis auch die letzten Bastionen von gewachsener Sitte und Moral geschliffen sind, bis auch der letzte Respekt vor dem geistlichen und geistigen Erbe unserer Kultur zur Kapitulation gezwungen worden ist. Aber ebenso klar ist nicht nur mir, genau das mit allen gebotenen legalen Mitteln verhindern zu müssen. Denn es geht den modernen Barbaren keineswegs darum, ein in der Praxis kaum noch beachtetes Gesetz zu reformieren oder zu streichen. Das könnten sie nämlich auf parlamentarischem Weg betreiben und vielleicht sogar erreichen, die Aussichten dafür sind sogar gut, der Zeitgeist diesem Ansinnen mehr als geneigt.
Vielmehr haben die angeblichen Freunde des öffentlichen Tanzes an Karfreitag oder Pfingstmontag anderes im Sinn, nämlich die aggressiv betriebene Relativierung, ja Vernichtung traditioneller Werte. Sie sind dabei raffiniert genug, nicht die Feiertage oder gar den Sonntag als arbeitsfreie Tage in Frage zu stellen, was eigentlich nur konsequent, aber alles andere als populär wäre. Vielmehr wollen auch sie ganz selbstverständlich diese besonderen christlichen Tage in Muße verbringen, den religiösen Anlass dafür aber schlicht ignorieren und missachten.
Alles bekommen, alles genießen, aber nichts dafür bezahlen – das ist das Motto dieses militanten Teils der Spaß-Gesellschaft, zu denen sich nun auch die multimedial hochgespielten Piraten mit ihrer eigentumsfeindlichen „Alles-Umsonst“-Gesinnung sowie tiefer Unkenntnis über die Bedeutung der von ihnen reklamierten Säkularität des Staates gesellt haben. Es findet sich eben stets zusammen, was zusammen gehört.
Der Widerstand der christlichen Kirchen dagegen ist eher schwächlich und verzagt. Das Tanzverbot an Sonntagen will der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, schon gar nicht mehr verteidigen, nur die „stillen Feiertage“ sollen noch geschützt werden vor den Tanzwütigen. Wie abwiegelnd sich Jung in einem Interview zu den Grünen äußert, die im Vorjahr immerhin treibende Kraft bei dem Frankfurter „Flashmob“ waren, lässt wenig Hoffnung auf die Widerstandskraft der etablierten christlichen Kräfte setzen.
Immerhin hat die evangelische Amtskirche jetzt eine Aktion gestartet, in der sie mit einem drastisch gestalteten Plakat, auf dem eine blutend durchbohrte Hand mit der kryptischen Aufschrift „Opfer?“ zu sehen ist, eine – allerdings schwer erkennbare - Gegenoffensive wagt. Welchen Erfolg das zeitigen wird, muss abgewartet werden.
Doch wie schon gesagt: Man muss keineswegs Christ sein, um die Feiertagsruhe in Diskotheken und Tanzsälen zu respektieren – es reicht schon, kein moderner Barbar, sondern zivilisiert und respektvoll zu sein. Das setzt allerdings eine kulturelle und sittliche Bildung voraus, die in keinen Lehrplänen enthalten waren, die all die jungen Grünen, Linken und Piraten absolviert haben.
Wolfgang Hübner, 4. April 2012