Das Elend der Frankfurter CDU
Das Zappeln in der grünen Mausefalle

Schlimmer als eine Niederlage ist eine Niederlage, deren Gründe der Verlierer nicht verstehen will. Und noch schlimmer ist es, wenn der Verlierer diese Gründe schon deshalb nicht verstehen will, weil er befürchtet, daraus unliebsame Konsequenzen ziehen zu müssen. Die Frankfurter CDU ist aber offenbar zu solch maximaler Uneinsichtigkeit nach der schweren Niederlage bei der Oberbürgermeister-Wahl entschlossen. Davon zeugt ein aktuelles Zeitungsinterview mit ihrem Parteivorsitzenden Uwe Becker, der zugleich Mitglied des Magistrats und Kämmerer ist.
Was sagt nun Becker, der selbst Ambitionen auf die Kandidatur hatte, zu der Niederlage seiner Partei und seines Parteiamtsvorgänger Boris Rhein? Das sagt Becker: „Der 25. März war ein herber Schlag für die Frankfurter CDU, einer der schwärzesten Tage in den letzten Jahren… Genauso klar ist trotz allem Schmerz, dass jetzt der Blick nach vorne geht. Wir haben den Anspruch, die führende politische Kraft in Frankfurt zu sein und werden dies auch in den nächsten Jahren inhaltlich unter Beweis stellen.“
Der CDU-Vorsitzende riskiert mit dem letzen Satz den gar nicht ironischen Hinweis, dass seine Partei und ihr Kandidat nie und nimmer gegen den eher farblosen SPD-Linken Peter Feldmann verloren hätten, wenn die „führende politische Kraft“ dies „inhaltlich“ auch schon in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt hätte. Es muss Becker ein Besorgnis erregender Realitätsverlust attestiert werden, nicht wahrnehmen zu können, wer in der seit 2006 bestehenden Koalition der CDU mit den Grünen die treibende, inhaltlich dominierende Kraft gewesen und noch immer ist: Doch ganz bestimmt nicht die CDU!
Vielmehr hat sich Beckers Partei mit ihrer politisch irrlichternden Noch-Oberbürgermeisterin Petra Roth seit Jahren geradezu hündisch in Abhängigkeit von den Grünen begeben, die inzwischen fast alle Schlüsselressorts des Magistrats personell wie inhaltlich unter Kontrolle gebracht haben. Das hat im fernen Münster ihr ehemaliger Frankfurter Fraktionsvorsitzender Bernhard Mihm genau registriert, wenn er in einem Leserbrief kürzlich feststellte: „Wirft sie (CDU) sich anderen, zwar meinungsstarken und meinetwegen intellektuell interessant erscheinenden, dennoch aber marginalen Gruppen in die Arme, steht sie auf verlorenem Posten.“
Auf welch verlorenem Posten die Frankfurter CDU steht, wurde ihr spätestens bei der Stichwahl am 25. März demonstriert: Die Wähler ihres Koalitionspartners entschieden sich mit überwältigender Mehrheit nicht für Boris Rhein, sondern für seinen SPD-Konkurrenten. Was aber nicht weniger zählt, war die Weigerung der Grünen, sich nach der ersten OB-Wahlrunde für den CDU-Kandidaten auszusprechen. Mihm folgert ganz richtig daraus: „Schwarz-Grün ist allemal ein Projekt politischer Insider ohne Verwurzelung an der Basis beider Seiten.“
Das allerdings sieht Becker ungeachtet der jüngsten Ereignisse nach wie vor anders: „Die Akteure der Koalition haben sehr schnell nach der Wahl erklärt, dass es ein enges Festhalten an der Koalition gibt“. Damit wissen wir auch schon, was Beckers „Blick nach vorne“ bringen wird: Weiter so wie bisher! Doch das wird schon deshalb nicht möglich sein, weil ab dem 1. Juli, also dem Amtsantritt Feldmanns, aus dem schwarz-grünen ein schwarz-grün-roter Magistrat wird. Damit ist die SPD mit im Spiel, mag der CDU-Vorsitzende auch grummeln: „Es stellt sich… nicht die Frage, die SPD mit an Bord zu nehmen.“
Abgesehen davon, dass sich Fragen nicht selbst stellen, sondern stets nur von irgendwem gestellt werden können: Selbstverständlich ist ab dem 1. Juli 2012 die SPD mit an Bord – oder glaubt die CDU ernsthaft, Feldmann würde sein Amt nur als als Präsentieraugust für die Eröffnung der Dippemess oder für Küsschen von Karnevalsprinzessinen nutzen? Was Becker praktiziert, ist das verzweifelt sich selbst Mut machende Pfeiffen eines Politfunktionärs im sehr dunklen Wald. Denn dass die CDU jegliche Orientierung verloren hat, ist ja nicht erst seit der missglückten OB-Wahl so. Schon bei der Kommunalwahl 2011 hatte die Partei herbe Verluste hinnehmen müssen, derweil die Grünen auch davon kräftig profitierten.
Es war deshalb beklemmend zu verfolgen, wie die CDU diese massiven Stimmengewinne des Partners nicht als eigene Schwächung wahrnehmen wollte, sondern als Stärkung der Koalition schönredete. Und noch beklemmender war es, wie der OB-Kandidat der CDU im gesamten Wahlkampf die Botschaft unters Volk bringen musste: Ich bin doch gar nicht Boris Rhein, dieser unverbesserliche Jungkonservative für Recht und Ordnung, sondern ich bin eigentlich viel eher die spät ergrünte Petra Roth!
Rhein ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass er keine Statur mit Ecken und Kanten zeigte, weil er das im Hinblick auf die empfindsamen Grünen und dem CDU-spezifischen Wahn, um jeden Preis eine „moderne Großstadtpartei“ zu sein, auch nicht sollte und durfte. Genutzt hat diese Selbstverleugnung überhaupt nichts. Denn es wurde damit gerade jene Wähler vergrault, die laut dem knorrigen Altkonservativen Mihm „Normen bejahen, normal leben und Normalität schätzen.“
Das sind zum Beispiel jene Bürgerinnen und Bürger, die vor Jahren in Hausen dagegen protestiert haben, dass in ihrem kleinen Stadtteil bereits die dritte Moschee gebaut werden sollte. Bekanntlich hat sich CDU-Oberbürgermeisterin Roth unter dem Beifall grüner, linksliberaler und auch linksextremer Kreise offensiv für den Moscheebau erklärt und damit viele jener vor den Kopf gestoßen, die oft schon ein ganzes Leben ihr Kreuz bei der CDU gemacht haben. Diese Wähler, so hat es den Anschein, interessieren jedoch die „moderne Großstadtpartei“ in Frankfurt immer weniger, gelten sie doch, wie Mihm so treffend schreibt, „in gewissen intellektuellen oder kreativen Szenen… als bieder, spießig und graue Mäuse“.
In einer Demokratie haben jedoch auch „graue Mäuse“ am Wahltag eine gewisse Macht und können durch Stimmverweigerung selbst eine graue SPD-Feldmaus namens Feldmann zum Oberbürgermeister machen. Es gibt allerdings Grund zur Annahme, dass die Frankfurter CDU daraus nicht die richtigen Lehren ziehen wird, sondern weiter in der grünen Mausefalle zappeln und dort als gestaltende politische Kraft Frankfurts auch irgendwann kläglich verenden wird.
Zwar betont Becker in dem Interview: „Wir müssen inhaltlich deutlich Position beziehen, durchaus auch in einer kritischen Diskussion mit dem Koalitionspartner.“ Doch auf die Frage, ob sich die CDU dann nicht nach allen Seiten zerreißen müsse, flüchtet sich der CDU-Vorsitzende einmal mehr nur in beschwörende Textbausteine, in denen die Häufigkeit des Wortes „klar“ im deutlichen Kontrast steht zu der Unklarheit seiner Aussage: „Man muss sich nicht zerreißen, wenn man ein klares Werte-Fundament und einen klaren Kompass hat. Wenn man nur aus dem Tagesaktuellen heraus Politik gestaltet, dann geht das nicht. Ich werde die CDU so führen, dass uns ein klarer Kurs gelingt.“
Im August 2011, als Becker sich noch berechtigte Hoffnungen auf die Nachfolge seiner Förderin Petra Roth machen konnte, legte der Politiker unter dem Titel „Mehr Christdemokratie wagen“ ein Positionspapier vor, das ihn profilieren sollte. Ich habe damals den knapp 13-seitigen Text analysiert. Schon der Titel verriet, dass Becker zufolge die CDU in Frankfurt unter ihren Möglichkeiten bleibt und deshalb mehr Mut zu eigenen Standpunkten haben sollte. Die verräterische Wahl des Wortes „wagen“ lässt darauf schließen, wie kleinmütig in der Defensive sich die Partei in einer über lange Jahre von ihr mit absoluten Mehrheiten beherrschten Stadt fühlt.
Der Inhalt des Positionspapiers war übrigens eine einzige Enttäuschung, denn Becker benannte viel zu oberflächlich und zaghaft die Probleme, vor denen nicht nur, aber in besonderer Weise die CDU steht. Ich schrieb damals am Ende meiner Analyse: „Und wem es schon bei der Benennung an Klarheit und Mut mangelt, wieso sollten dem die richtigen, entschlossenen Lösungen der Probleme in den kommenden Krisen zugetraut werden?“ Das aktuelle Interview des Frankfurter CDU-Vorsitzenden Uwe Becker beweist, dass diese Zweifel berechtigter denn je sind.
Das Elend der CDU, daran werden auch besorgte Leserbriefe eines verdienten Veteranen aus Münster nichts ändern, wird bleiben, ja noch größer werden, so lange sich die Partei nicht aus der babylonischen Gefangenschaft der Grünen befreit und sich zugleich darauf besinnt, wer sie früher gewählt hat und sie künftig wieder wählen könnte. Aber dazu bedarf es einer ergebnisoffenen internen und öffentlichen Diskussion, die qualitativ himmelweit entfernt sein muss vom Routineappell, nun mal wieder den „Blick nach vorne“ zu richten. Denn was bringt der „Blick nach vorne“, wenn er in die Leere geht?
Wolfgang Hübner, 18. April 2012