Viel Transparenz und ein bisschen Sexismus
Beobachtungen auf dem Kreisparteitag der Frankfurter Piraten

Eine schöne Sache, diese Transparenz bei den Piraten: Auch dieser Parteitag am Sonntag, 15. April im Saalbau Nied wurde von 11 bis 17.30 Uhr live übertragen: Die Internet-Adresse für den Livestream stand in jeder Zeitung.
Stolz wurde ziemlich zu Anfang vom Versammlungsleiter bekannt gegeben, dass die Beitrittswelle anhalte und der Kreisverband Frankfurt nunmehr 240 Mitglieder habe. Zum Parteitag musste man sich zuvor akkreditieren. So waren 42 gekommen und noch einmal 40 Interessierte verfolgten den Livestream.
Erfrischend, wie die Gebräuche parteiinterner Demokratie praktiziert wurden: Anträge, ob zur Satzung oder zur Geschäfts- oder Tagesordnung; dazu Rede und Gegenrede, Schluss der Rednerliste, Abstimmung – natürlich mit pirat-orangen Stimmkärtchen. Und das alles in guter Disziplin. Nicht wie damals bei den frühen Grünen, wo zeitzehrendes Diskussionschaos an der Tagesordnung war. So wies der Versammlungsleiter der Piraten darauf hin, dass Wiederholungen bei Redebeiträgen „nicht erlaubt sind“ und man sich kurz fassen solle.
Mit Mehrheit ging der Antrag durch, Gästen Rederecht zu gewähren, wenn dies von auch nur einem anwesenden Mitglied befürwortet wird. Neu ist, dass per Abstimmung durch das Plenum ein Meinungsbild zu Entscheidungen gemacht wird, an das sich der Vorstand halten muss.
Bei nunmehr 240 Mitgliedern allein in Frankfurt stand die Gründung von Ortsverbänden in den Stadtteilen auf der Tagesordnung. Die Abstimmung ergab, es diene der Effektivität, wenn diese von 10 statt 5 Mitgliedern gegründet werden können, wiewohl mal der hessische Landesverband mal mit 7 Mitgliedern gegründet wurde, wie ein Pirat aus dem Plenum anmerkte. Und wie oft soll der Kreisparteitag durchgeführt werden? Statt monatlich auf Vorschlag einer Piratin drei- bis viermal Jährlich, sonst kämen zu wenige. Auch dies wird mit Mehrheit abgelehnt. Es bleibt bei jährlich.
Neu bei den Piraten auch einige Begriffe: Missfallen im Saal ist ein „shitstorm“! Allerdings wurde vom Versammlungsleiter die Äußerung einer Piratin „Da kann ich Dein Ego nicht boosten“ gerügt. Man redete sich grundsätzlich mit „Du“ und Vornamen an.
Vorstandswahlen
In den 20 Minuten Mittagspause das Piratenlied im Reggae-Sound, ebenso bei den Auszählungen: Vorstandswahlen, wobei auch Kandidatenvorschläge aus dem Netz per Wiki berücksichtigt wurden. Dann eine ordentliche Kandidatenbefragung. Sehr schön die Antwort des Kandidaten Thorsten Wirtz: „Ich werde bald Papa, kann aber auch mit Kind auf dem Arm über die Medien in die Piratenpartei hinein wirken.“ Matthias Heinz, Pirat seit 2009: „Ich gebe gerne meine Freizeit auf für die Vorstandsarbeit“. So machte er mit 26 zu 18 Stimmen (man konnte auch beide zugleich wählen) das Rennen.
Stadtverordneter Martin Kliehm in seinem Rechenschaftsbericht: Obwohl die Piraten mit zwei Abgeordneten nur 3,5 Prozent von allen stelle, habe man mit über 20 bisher 8,4 Prozent aller Anträge gestellt, einen zusammen mit der SPD. Die kurze Zusammenarbeit mit Jutta Ditfurth in der Vierer-Fraktion der „Bunten“ sei an unüberwindlichen Differenzen gescheitert, doch mit Luigi Brillante (Europäische Liste Frankfurt) mache sich die Dreier-Fraktion ELF-Piraten „ganz schön mächtig“ bemerkbar. Man könne auch mit den Linken zusammenarbeiten. „Die Zusammenarbeit mit den Grünen klappt nicht so, weil die mit den Schwarzen zusammen sind.“
Kliehm zur praktizierten Basisdemokratie: Auch Vorstands- und Stadtverordneten-Fraktionssitzungen werden für alle per Livestream übertragen, wobei jede/r per Wiki Anträge und Entscheidungen kommentieren könne. Dazu gebe es im „Pulse“ in der Bleichstraße 38a montags ab 20 Uhr den wöchentlichen Piraten-Stammtisch. Und mehrere Arbeitsgemeinschaften, wo man sich in die Thematik einarbeiten und Ziele formulieren könne, besonders wichtig hier der AK Finanzen. Am 8. Mai gebe es ein Open Data Hack Evening. Und am Schluss: „Wir sind die einzige Fraktion, die am Girls-Day teilnimmt!“
Alexander Schnapper als Kandidat für den Gensek (so Piratensprech für Generalsekretär): „Ich will Wissen nicht Einzelnen überlassen, sondern sharen“ (teilen). Allerdings auf die Frage: „Stellst Du Deine christlichen Werte über die Ideologie der Partei?“ „Diese Frage werde ich nicht beantworten.“ Lennart Mirbach, ( „Ich sehe den Gensek als Verwaltungsposten“) wurde mit 20 zu 25 Stimmen (wieder konnte man auch beide zugleich wählen) zum neuen Gensek gewählt. Er löst Herbert Förster ab, der kürzlich für das Amt des Oberbürgermeisters kandidierte und sich nun auf den Fraktionsvorsitz im Römer konzentrieren möchte.
Zum Schatzmeister gab’s nur einen Kandidaten, Alexandros Zachos. Er bekannte ehrlich: „Ich habe nur am Wochenende Zeit“: 37 Mal ja. Immerhin setzte sich für eine der beiden Beisitzer mit Mirjam Dagatz eine Frau durch. Die Satzung sah sechs Beisitzer vor. Zwei Frauen und drei Männer bewarben sich und die Abstimmung ergab, dass es zwei Beisitzer sein sollten. Zuvor Kandidatin Kathrin Hilger: „Es sollte mindestens eine Frau im Vorstand sein“. Darauf ein Kandidat: „Das ist sexistisch!“ Worauf er von Hilger einen herzhaften Tritt in den Allerwertesten bekam!
Vorsicht vor Facebook
Antrag 1 zur Piraten-Webseite: Wer darf veröffentlichen, wer legitimieren? Bisher darf jeder schreiben, der einen Zugang hat. Und den bekommt jeder. Der neue Vorstand präferiert ein Redaktionsteam. Es gibt bereits den Tag (Blog) „Piratengedanken“, der für alle, die nicht Mainstream sind, frei ist. Da sollte man aufpassen, dass hier „nichts passiert“. Da denkt D. Schreiber an OB-Kandidat Boris Rheins Facebook, wo er die von einem ausgewiesenen Neonazi angetragene Facebook-Freundschaft akzeptierte! Dieser Antrag wird zurückgezogen.
Zwei Dringlichkeitsanträge zur Teilnahme und einen Stand beim CDS (Christopher Street Day): Da wurden die Gebühren für einen Stand um 800 Prozent erhöht! Aus dem Plenum mit herzhafter Offenheit: „Letztes Jahr schon zogen wir im Umzug mit einem Bollerwagen statt mit einem LKW mit. Der wäre zu teuer gewesen. Und dazu mussten wir schon einen Quotenschwulen aus Darmstadt importieren!“ Beide abgelehnt.
Ein weiterer Dringlichkeitsantrag (und wieder wurde die Dringlichkeit in Abstimmung vom Plenum befürwortet) gegen die Gewalt bei der Antikapitalismus-Demo am 31.3.: Freibeuter (Piraten-Sprech für Sympathisant) Daniel Kleber lehnt dazu einen von den Piraten organisierten Runden Tisch von CDU bis Antifa ab. Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Am Schluss sind die Piraten original grün: Der Vorstand bittet, die ausgegebenen Stimmkarten zurückzugeben, was abgelehnt wird. Darauf der Versammlungsleiter: „Dann eben mehr toter Baum!“
D. Schreiber