Olaf Henkel zu den Wahlen in Frankreich und Griechenland
Die Folgen könnte Frankfurt spüren

Folgender Kommentar unseres FW-Mitstreiters Hans-Olaf Henkel, der in der heutigen Ausgabe des "Handelsblatt" abgedruckt ist, wird hiermit weiter verbreitet. Da Frankfurt Sitz der EZB und vieler wichtigen Finanzinstitutionen ist, haben die Folgen der Wahlen in Frankreich und Griechenland unmittelbare Bedeutung für die Einnahmesituation Frankfurts, die ja besonders abhängig ist vom Gewerbesteueraufkommen. Frankfurt hat allen Grund, sehr in Sorge zu sein über die eskalierenden Turbulenzen in der Euro-Zone. Die jüngsten Ereignisse lassen diese Sorgen noch größer werden.
Wolfgang Hübner
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Die Ergebnisse der gestrigen Wahlen in Frankreich und Griechenland haben es in sich: nun müsste auch dem letzten Euroromantiker im Bundestag, in den Vorstandsetagen der deutschen Industrie, den Redaktionsstuben deutscher Wirtschaftsmedien und den Büros deutscher Wirtschaftsprofessoren klar sein: der Fiskalpakt ist erledigt. Er war von Anfang an nichts anderes als ein von Kanzlerin Merkel und ihrem Finanzminister Schäuble verabreichtes Schlafmittel zur Beruhigung der deutschen Bevölkerung. Nachdem beide im Mai 2010 mit dem ersten Rettungspaket für Griechenland die Brandmauer zwischen dem deutschen Steuerzahler und ausgabefreudigen Politikern anderer Länder („no-bail-out-Klausel“) eingerissen hatten, taten sie so, als hätten sie uns mit dem Fiskalpakt vor den Folgen des Schuldenmachens anderer Länder geschützt. Großbritannien und Tschechien haben das längst durchschaut und diesen Vertrag gar nicht erst unterschrieben.
Gestern hatten sich über 50 Prozent der Griechen für eine Beendigung der Sparpolitik entschieden. Dass Griechen gut türken können, ist nichts Neues. Selbst griechische Politiker, die im Gegenzug früherer Rettungsmilliarden noch Sparschwüre abgegeben hatten, haben von diesen im Wahlkampf nichts mehr wissen wollen. Man darf das dritte Rettungspaket für Griechenland schon jetzt getrost schnüren.
Auch in Frankreich haben sich über 50% der Wähler für einen Präsidenten entschieden, der nie einen Hehl daraus machte, die im Fiskalpakt festgeschriebenen rigiden Sparbemühungen zu umgehen. Vor allem hat er versprochen, den zentralen Pfeiler des Spargebäudes zum Einsturz zu bringen: die Schuldenbremse wird nun nicht mehr, wie von Sarkozy versprochen, in die französische Verfassung aufgenommen. Es war vor allem die Schuldenbremse, die Merkel, Schäuble & Co. uns als „deutsche Stabilitätserfindung“ verkauften, um im Bundestag die Zustimmung zu Rettungsmilliarden für deutsche Bürgschaften, Kredite und Einzahlungen zu erhalten. „Europa spricht deutsch“ verkündete CDU-Fraktionschef Kauder ebenso undiplomatisch wie stolz.
Jetzt werden wir erfahren, dass auch im nächsten Akt des Stücks “Rettet den Euro“ zwar deutsch gesprochen, aber französisch gehandelt wird. Mag der Souffleur Schäuble sich weiterhin bemühen, den Akteuren auf der Bühne Texte in deutscher Sprache zuzuflüstern, diese sind sowieso nur fürs deutsche Publikum gedacht. Auf der Bühne kommt dagegen ein neues französisches Stück zur Aufführung, in dem das deutsche Publikum wieder einmal zuschauen darf, wie eine weitere - vorher von Schäuble gezogene - rote Linie überschritten wird; natürlich, „um den Euro zu retten“. Die vorher so arg gepriesene Schuldenbremse wird Präsident Hollande gar nicht erst der Nationalversammlung zur Abstimmung vorlegen.
Anstatt diese eklatante Verletzung des Fiskalpakts zum Anlass zu nehmen, jetzt die Interessen der deutschen Steuerzahler in den Vordergrund zu rücken und das Projekt „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ (ESM) abzubrechen und (ggf. mit anderen „Gleichgesinnten“) die Eurozone zu verlassen, wird unsere Bundesregierung auch die Aufgabe der Schuldenbremse durch die Franzosen schlucken; so wie sie vorher schon das Abwracken des Vertrages von Maastricht, die über 60 Verletzungen der Stabilitätskriterien in der Eurozone, die regelwidrigen Aufkäufe der Schuldentitel von Südländern durch die EZB, die gebrochenen Reformversprechen Italiens, Spaniens, Portugals und Griechenlands - kaum dass sie im Gegenzug für unsere Rettungsmilliarden abgegeben wurden - auch geschluckt hat.
Die Verlierer der Wahlen in Frankreich und Griechenland sind nicht die Franzosen und die Griechen, es sind die Deutschen.
Hans-Olaf Henkel, geboren 1940 in Hamburg, ist Autor und Honorarprofessor an der Universität Mannheim. Bekannt wurde der langjährige IBM-Manager vor allem als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).