Die „Kapitalismuskritiker“ kommen!

Frankfurt bereitet sich auf viel Besuch vor

Die „Kapitalismuskritiker“ kommen!



In den guten alten Zeiten des Kalten Krieges gab es hier zu Lande noch Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Syndikalisten, Marxisten, Trotzkisten, Maoisten und vieles mehr aus dem gutsortierten Angebot der radikalen politischen Linken. Nach dem ruhmlosen, doch wenigstens recht unblutigen Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums gab es das alles zwar immer noch, aber etliche Jahre nur eher verschreckt, verzagt und versteckt. Seit der sogenannten Finanzkrise, die in etlichen Ländern längst auch eine ökonomische Krise ist, treten die Akteure der Systemveränderung nun unter der neuen, derzeit vielgebrauchten Bezeichnung „Kapitalismuskritiker“ in Erscheinung. Da Frankfurt die nächsten Tage massenhaft Besuch von diesen Akteuren erwartet, sei die Frage erlaubt: Was ist das eigentlich, ein „Kapitalismuskritiker“?

Was ein Literatur- oder Filmkritiker ist, weiß jeder, nämlich ein Mensch, der Bücher liest oder ins Kino geht und davon in den Medien anderen Menschen mal wohlwollend, mal abratend berichtet. In der Regel unterzeichnet dieser Kritiker seine Berichte namentlich. Umso bekannter der Namen ist, desto mehr hat das Kritikerurteil Gewicht, Fehlurteile sind jedoch nie ausge-schlossen. Da der Kapitalismus weder Literatur noch Film ist, sondern eine bestimmte, historisch entstandene, überaus erfolgreiche und sehr reale Art und Weise des Wirtschaftens, kann er zwar kritisiert, aber unmöglich  gemieden werden. Das ist der Unterschied zu Büchern oder Filmen, denn die kann man meiden, wenn Kritiker des Vertrauens ein negatives Urteil gefällt haben.

Um jedoch den Kapitalismus zu meiden, muss er ganz praktisch durch ein anderes System des Wirtschaftens ersetzt werden. An Versuchen hat es bekanntlich nicht gefehlt, an bestimmten Erfahrungen allerdings auch nicht. Deshalb wollen keineswegs alle „Kapitalismuskritiker“ den Kapitalismus in ein anderes System, zum Beispiel den Kommunismus oder den Anarchismus, überführen, sondern kritisieren nur bestimmte Deformationen oder Härten dieser an Anforderungen und Zumutungen durchaus nicht armen Art und Weise menschlichen Wirtschaftens.

Und dazu geben die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte durchaus reichlich Anlass. Deshalb ist diese „Kapitalismuskritik“ also notwendig und dürfte gerade bei den ehrlichsten Befürwortern des Kapitalismus, der in Deutschland übrigens Marktwirtschaft heißt, aufmerksames Gehör finden.

Leider ist es so, dass ausgerechnet diese konstruktiven „Kapitalismuskritiker“ nicht zu den Besuchern gehören werden, die in den nächsten Tagen nach Frankfurt kommen. Vielmehr werden in der deutschen Finanzmetropole jene „Kapitalismuskritiker“ mit Bangen erwartet, die den real existierenden Kapitalismus nicht korrigieren oder reformieren wollen, sondern nichts lieber wünschen, als diese Art und Weise des Wirtschaftens auf den Müll der Geschichte zu befördern, um in selbiger ein ganz neues Kapitel aufzuschlagen. Verboten ist das nicht, spannend klingt das auch – doch wie soll der Text dieses neuen Kapitels lauten?

Denn auch das ist der Unterschied zwischen einem Literatur- oder Filmkritiker und einem radikalen „Kapitalismuskritiker“: Der erstere kann es dabei belassen, ein fremdes Werk für gut oder schlecht zu befinden. Kein vernünftiger Leser verlangt von dem Kritiker, er möge gefälligst ein besseres Buch oder einen unterhaltsameren Film machen, um glaubwürdig zu bleiben. Wer hingegen den Kapitalismus kritisiert, weil dieser als unerträglich empfunden wird, der muss auch zwingend sagen, welche andere Art und Weise des Wirtschaftens an seine Stelle treten soll. Und gesagt werden muss selbstverständlich auch, wie sich diese andere Art und Weise des Wirtschaftens mit der Eigentumsgarantie nach Artikel 14 des Grundgesetzes verträgt.

Wer das überzeugend, zumindest aber anregend, also auf einem diskutablen Niveau zu formulieren weiß, ist auch als radikaler „Kapitalismuskritiker“ in den nächsten Tagen in Frankfurt willkommen. Bei wem sich die „Kapitalis-muskritik“ jedoch darin erschöpft, extremistische Sprüche abzusondern, Bankangestellte an der Arbeit zum hindern, den Großstadtverkehr lahm zu legen, Polizisten anzugreifen und Fensterscheiben einzuschlagen, der wird nicht nur den Kapitalismus nicht in Gefahr bringen, sondern auch in Frankfurt nur bei denen willkommen sein, die „Kapitalismuskritik“ so wenig ernst nehmen wie sie in der Regel eine Buch- oder Filmkritik ernst nehmen.  

Denn für viele der neuen Sympathisanten der „Kapitalismuskritik“ ist selbige  tatsächlich nur ein  prickelndes Unterhaltungsprogramm mitten in einem Kapitalismus, dessen vielfältige Annehmlichkeiten und soziale Vorteile kaum einer von ihnen missen möchte. Da aber das Unterhaltungsangebot in Frankfurt an Vielfalt wenig zu wünschen übrig lässt, sei nicht nur den in Frankfurt lebenden Sympathisanten der „Kapitalismuskritik“ empfohlen, sich entweder dessen zu bedienen oder sich an die mühevolle Arbeit für eine reale Alternative zum Kapitalismus zu machen.

Für letztere braucht es allerdings Ruhe, Konzentration und einen klaren Kopf – also alles, was die Organisatoren und Aktivisten von „Blockupy“ ganz und gar nicht im Sinn haben. Aber wer hat denn auch gesagt, dass ein seriöser „Kapitalismuskritiker“ sein zu wollen, nicht anstrengender wäre als nur ein 72-stündiger militanter Abenteuerurlaub am Main? Der wird übrigens aller Voraussicht nach mit einer breiten Spur von Sachbeschädigungen enden, deren Beseitigung am Ende mal wieder nur einem nutzt, nämlich dem real existierenden Kapitalismus – wem denn auch sonst!

 

Wolfgang Hübner, 15. Mai 2012

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