Frankfurts Planungsdezernent gegen Romantisierung

Der Grünen-Politiker Olaf Cunitz und die Altstadt

Frankfurts Planungsdezernent gegen Romantisierung



Seit März 2012 hat der Grünen-Politiker Olaf Cunitz als Frankfurter Bürgermeister die Nachfolge seiner Parteifreundin Jutta Ebeling übernommen. Mit der Bürgermeisterwürde übernahm er auch den Posten des Planungsdezernenten vom ausscheidenden Edwin Schwarz (CDU). Das macht es gerade angesichts der weiteren Altstadt-Entwicklung wichtig, etwas genauer auf Cunitz´ Positionen zu blicken.

Der neue Planungsdezernent entstammt einer Gewerkschafter-Familie, denn der Vater arbeitete in der IG Metall. Cunitz studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Geschichtswissenschaften und betätigte sich in den 90er Jahren bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Erst 1999 trat er den „Grünen“ bei, fungierte von 2001 bis 2007 als Sprecher des Kreisvorstands. Im April 2006 wurde er zum Stadtverordneten gewählt und stieg im Juli 2006 rasch zum Fraktionsvorsitzenden auf.

Wer Cunitz´ Vorstellungsansprache bei der letzten Sitzung des „Dom-Römer“-Sonderausschusses am 10. Mai aufmerksam verfolgt hat, erkannte einen Mann, der sich zweifellos mit der Geschichte der Frankfurter Altstadt auseinandergesetzt hat, somit ein gewisses - und durchaus nicht selbstverständliches - Maß an Sensibilität für den Bereich zeigt. Dies überrascht nicht, wenn man weiß, dass Cunitz´ 1996 eingereichte Magisterarbeit den Titel „Stadtsanierung in Frankfurt am Main 1933-1945“ trägt. Hier kennt sich also jemand grundsätzlich mit der Materie aus, was für den Bereich, dem Cunitz nun vorsteht, sehr begrüßenswert ist.

Gleichwohl konnte man bei besagter Ansprache erkennen, dass der „Grüne“ keinesfalls ein entschiedener Freund von Rekonstruktionen ist, also von einer Wiederherstellung wichtiger Teile der im zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit verloren gegangenen Frankfurter Altstadt. Auf die Fragen des Vertreters der „Piraten“, wie weit es um eine Machbarkeitsstudie zur Wiederherstellung der Dachstruktur des Rathausturmes „Langer Franz“ und des Kämmerei-Daches bestellt ist, reagierte Cunitz ausweichend, verlegen. Und er zog sich auf die Position zurück, nur kleine, kostengünstige Maßnahmen durchführen zu wollen, um den Umfang der einstigen Altstadt etwas sichtbarer zu machen. Statt der notwendigen Wiederherstellung des „Langen Franz“ also nur ein bisschen Gartenarbeit und Lightshow vor kleinen Mauerresten?

Sparsamkeit ist eine gute Tugend. Möglichenfalls aber gibt es auch ganz andere, tiefer liegende Motive, die die Skepsis des „Grünen“ gegenüber Rekonstruktionen begründen.

Zwar ist von Cunitz bekannt, dass seine Liebe der Punk-, Wave- und Heavy Metal-Musik gilt. Ein Blick in seine wissenschaftlich saubere Magisterarbeit zeigt aber in deren wertenden Äußerungen einen deutlich antiromantischen Zug.

Auf Seite 43 bezeichnet er die Vorläufer des „Bundes tätiger Altstadtfreunde“ (Photographischer Club Frankfurt, Heimatschutzverein) am Anfang des 20. Jahrhunderts als einer „konservativen, rückwärtsgewandt-romantisierenden Ausrichtung“ verhaftet. Der „Bund tätiger Altstadtfreunde“ wiederum sei Teil „der starken antimodernistischen Bewegung in der Weimarer Republik“ gewesen.

Zwar seien die späteren Stadtsanierungen kein eigener Programmpunkt der Nationalsozialisten gewesen, doch hätten sich hier „großstadtfeindliche Kreise“ zusammen mit (nicht näher benannten) „Vertretern einer `Blut und Boden´-Ideologie, einer rassistisch eingefärbten Agrarpolitik“ angeblich „besonders lautstark“ hervorgetan, auch wenn sie sich letztlich nicht durchsetzen konnten. (S.50) Cunitz legt allerdings im Verlauf seiner Arbeit dar, dass die Altstadtsanierung in der Zeit des Nationalsozialismus vor allem aus einigen Abrissen bestand, bei denen es um die Verbesserung von Lichtverhältnissen und um die Stärkung des Verkehrsflusses ging, ansonsten aber nur wenig spezifisch Ideologisches feststellbar ist. Cunitz erwähnt die in der NS-Zeit gelegentlich in diesem Zusammenhang betonten (und offenbar unbegründeten) Feindbilder der Kommunisten und „asozialen Elemente“ als „kleinbürgerliche Bedrohungsvorstellungen“.

Die einstigen Bemühungen, Altstadt-gerechte Neubauten in den Sanierungsgebieten zu schaffen (Reste findet man in der Weißadler- und der Fahrgasse), finden indes wenig Gefallen bei Cunitz. Es handle sich um „reactionary modernism“ (Jeffrey Herf), also „ein fortschrittsorientiertes Verkehrskonzept, das seine bauliche Ausgestaltung in einer romantisierend-altertümelnden Form erfuhr.“ (S.108)

Noch einmal begegnet dem Leser die „Romantisierung“ in negativem Zusammenhang. Man kann an diesen Äußerungen erkennen, dass Cunitz sich nicht so sehr an einem „fortschrittsorientierten Verkehrskonzept“ stört, wie es etwa auch der in der Arbeit nicht abwertend erwähnte Ernst May ebenfalls vertrat. Cunitz stört sich nur an der „romantisierenden“ Form der baulichen Gestaltung, die für ihn als „rückwärtsgewandt“ und (unter Missverständnis des Begriffs) „altertümelnd“ bezeichnet wird.

Das lineare Geschichtsbild kennt also ein „Vorwärts“, das womöglich im Bereich des „Neuen Bauens“ oder anderer moderner Strömungen liegt, „welche mit alten Traditionen radikal brachen“ (S. 44). Und sie kennt ein „Rückwärts“, das einst in Versuchen bestanden hat, ein möglichst bruchloses Einfügen von Neubauten in den Altstadtbereich zu versuchen. Und das heute - so kann man den Faden weiterspinnen - in der Rekonstruktion oder baulichen Wiederherstellung einstiger Altstadthäuser liegen mag.

Die Romantik wurde von Geisteswissenschaftlern nicht ganz zu Unrecht als eine Ausdrucksform der deutschen Seele interpretiert. Richtet man sich also wie Cunitz so deutlich gegen „romantisierende“ Vorstellungen, dann könnte sich dahinter auch ein gebrochenes Verhältnis zum eigenen Land verbergen, eine innere Verletzung, die man zu bekämpfen versucht, indem man sich gerade erhaben gibt über die Tiefenschichten der eigenen Kultur. Ganz ungewöhnlich für einen „Grünen“ wäre das keinesfalls.

Über solch persönliche Beweggründe kann man nur spekulieren, aber gleichwohl werden die für die Frankfurter Altstadt sensibilisierten Bürger dem neuen Planungsdezernenten klar machen müssen, dass es nicht reicht, ein paar Gartenarbeiten zu tätigen, einige Lichtstrahler aufzustellen, um das Areal attraktiv weiter zu entwickeln. So anerkennenswert auch kleine Verbesserungen sind, es bedarf weiterer größerer Schritte, um die Frankfurter Altstadt aufzuwerten. Hierzu gehören unzweifelhaft auch die vollständige Wiederherstellung des „Langen Franz“ und des Kämmereidaches als wertvolle Zielpunkte in der Blickachse der Braubachstraße.

 

Marlis Lichtjahr

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