Die Stummen von Warschau

Gedanken zur deutschen Fußballniederlage

Die Stummen von Warschau
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Wieder einmal ist die „DFB-Elf“, wie die deutsche Nationalmannschaft mittlerweile gerne genannt wird, an der „Squadra Azzurra“ aus Italien in einem Halbfinale gescheitert. Der Traum vom ersten Titel seit 16 Jahren ist geplatzt, das „deutsche Sommermärchen“ ist genauso wie das Spiel nicht in die Verlängerung gegangen.

Dabei sah es in den ersten Minuten so gut aus, das deutsche Spiel! Doch woran lag es, dass die Mannschaft, die 15 Spiele in Folge gewann und solche harten Brocken wie Holland und Portugal schlagen konnte, nicht siegreich aus diesem Halbfinalspiel gehen konnte? Mit Sicherheit nicht an der Statistik, denn auch wenn diese wieder einmal bestätigt wurde und Deutschland weiterhin in einem Pflichtspiel gegen Italien nicht gewinnen konnte, bleibt dies nur eine Statistik, keine Determinante.

Auch die eifrig „Sieg!“ rufenden deutschen Fans, gegen die Innenminister Friedrich erst kürzlich wetterte („Als deutscher Patriot schäme ich mich, wie diese Leute unser Ansehen in Europa und der Welt versuchen zu beschädigen“) sind wohl nicht schuld daran, dass sich die deutsche Siegessträhne in Luft auflöste. An dieser Stelle muss man sich allerdings fragen, welches Wort die Fans in Zukunft sonst rufen sollen, um nicht politisch inkorrekt anzuecken und dennoch ihre Freude über ein gewonnenes Spiel äußern können.

Nach typisch deutscher Manier wird nach dem Spiel analysiert was das Zeug hält. Die Spielfehler sind schnell aufgedeckt und die Schuldigen ausgemacht. In der Tat – Italien hat das bessere Spiel gemacht. Trainer Löw muss Fehler in der Anfangsaufstellung einräumen, die Korrektur in der 2. Halbzeit kam zu spät. Natürlich lässt sich so ein Spiel auch völlig rational erklären: Deutschland hat verloren, weil diverse spielerische Faktoren zu Fehlern und damit zum 2:0 geführt haben.

Aber es gibt noch eine andere Ebene, die nicht rein rational beschrieben werden kann: Der Wille zum Sieg, also der Wille, für jemanden oder etwas zu gewinnen. Konzentriert man sich auf diesen Willen, war schon vor Anpfiff klar, wer bei dieser Partie als Sieger hervorgehen würde: Während die italienische Mannschaft geschlossen aus vollen Kehlen ihre Hymne mitsang, blieben fünf von elf „DFB“-Mündern fest verschlossen. Die restlichen sechs Spieler, aber auch die auf der Bank samt Trainerstab, wirkten verlegen, beschämt oder taten vielleicht nur so als würden sie mitsingen.

Ich frage mich, was die einen dazu veranlasst nicht zu singen und wieso die anderen sich damit so schwer tun. Am Text unserer Hymne kann es doch wohl nicht liegen:


Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand:
Blüh im Glanze dieses Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!

 
Diese Text der deutschen Nationalhymne enthält nichts, aber auch gar nichts, was die mit einem deutschen Pass und der Sympathie von Millionen zwischen Lübeck und Konstanz ausgestatteten Fußballspieler Khedira, Özil, Podolski, Boateng und Gomez dazu bewegen könnte, nicht mitzusingen. Vielmehr ist diese Hymne eine einende, Zusammenhalt fördernde, ja sogar integrative Hymne, die jeder aus Überzeugung mitsingen kann.

„Einigkeit und Recht und Freiheit“ – sind dies etwa Werte, die diese fünf Spieler als nicht erstrebenswert ansehen? Dabei sind doch zumindest Recht und Freiheit die Basiswerte einer demokratischen Gesellschaft! Kein Grund also, diese abzulehnen – denn eben das Recht und die Freiheit schützen auch Fußballspieler wie Mesut Özil vor Verunglimpfungen wegen  seiner türkischstämmigen Herkunft.

Besonders kritische Zeitgenossen werden sich vielleicht an dem zweiten Vers aufhängen: „für das deutsche Vaterland“ – doch auch hier heißt es nicht „(nur) für das deutsche Volk“ oder die „Biodeutschen“ wie Deutsche mittlerweile genannt werden, sondern für das „deutsche Vaterland“ – und darin leben schließlich auch unsere Nationalspieler.

Aber die deutsche Nationalhymne setzt noch einen drauf. Nach diesen durch und durch positiven Werten sollen nicht nur die Deutschen streben, sondern wir alle und das auch noch brüderlich mit Herz und Hand. Fußball integriert, heißt es vom Deutschen Fußball Verband. Von dieser Integration blieb nicht nur vor dem Spiel gegen Italien wenig zu sehen.

Italien hat nicht nur gewonnen, weil die Spieler aus dem Süden das bessere Spiel gemacht haben, sondern weil sie eindrucksvoll bewiesen haben, dass sie nicht nur für sich selbst, des Gewinnens willen, als Sieger hervorgingen, sondern weil sie für einen höheren Zweck, nämlich für die Ehre und Freude ihrer Nation gewonnen haben. Und deshalb war die einzige Blamage, die in Warschau zu beobachten war, keinesweg die sportliche Niederlage, sondern waren es die stummen Münder von fünf deutschen Spielern und die sichtliche Verlegenheit im Rest des Teams, das nun ohne den ersehnten Titel die Heimreise antreten muss.

 
Sebastian Neuer

Leserkommentare (1)

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Ein guter Kommentar, der das ganze Dilemma der deutschen Psyche offenlegt. Denn nicht nur das Singen, auch das bewusste Nicht-Singen ist eine klare symbolische Aussage. Niemand zwingt einen Özil, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen. Er könnte es auch lassen, hat sich dafür aber allein aus persönlichen wirtschaftlichen Erwägungen entschieden. Ohne allerdings den nötigen Respekt als Bringschuld zu erweisen. Hier zeigt sich die Schwäche der deutschen Integrationspolitik exemplarisch.