Die Kanzlerin ohne Schwurhand

Angela Merkel und der Amtseid

Die Kanzlerin ohne Schwurhand
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„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Gemäß Artikel 64 des Grundgesetzes hat Bundeskanzlerin Angela Merkel schon zweimal diesen Eid vor dem Deutschen Bundestag mit der in Artikel 56 festgelegten Formulierung geleistet – 2005 mit erhobener Schwurhand, 2009 jedoch ohne diese. 

Ob die Bundeskanzlerin bei der zweiten Vereidigung die Hand absichtlich nicht hob, wird nur sie selbst wissen. Vorgeschrieben ist die bedeutungsschwere Geste nicht, aber vertrauenserweckende Sitte schon. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Frau Merkel in einem solch bedeutsamen Moment einfach nur zu nervös oder unbedacht war, dem Beispiel ihrer Vorgänger, ja ihrer eigenen ersten Vereidigung zu folgen. Es spricht vielmehr einiges für eine andere Vermutung: 2005 hatte die Politikerin noch nicht die Erfahrungen von Entscheidungen gemacht, die sie in der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise der kommenden Jahre treffen würde.

2009 aber wusste die Bundeskanzlerin nur zu gut, wie wenig das Wohl des deutschen Volkes mit den Interessen derer harmonierte, die sie, eine ehemalige loyale DDR-Bürgerin, in die allererste Reihe, ja sogar an die Spitze  der in Europa ökonomisch dominierenden Bundesrepublik beförderten. Es waren, was unter den Vorzeichen der nicht endenden Euro-Krise viel deutlicher geworden ist, nicht nur die mächtigen Medienkonzern-Damen wie Friede Springer und Liz Mohn von Bertelsmann.  

Spätestens seit dem 28. Juni 2012 wird kein kritischer Kopf mehr bestreiten können, wem Angela Merkel und fast die gesamte politische Klasse in Deutschland tatsächlich verpflichtet sind, wessen Wohl sie ihre Kraft tatsächlich widmen, wessen Nutzen sie tatsächlich mehren, von wem sie tatsächlich Schaden wenden wollen: Nämlich von den großen deutschen DAX-Konzernen, deren Aktien zu über 50 Prozent in ausländischem Besitz sind. Niemand hat größere Interessen und größere Vorteile an der weiteren Existenz von Euro-Währung, Schuldenunion und Entdemokratisierung als die Lenker und Profiteure dieser global handelnden Industrie-, Medien- und Finanzkonzerne. Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Siemens, Metro, Eon, Allianz, Hochtief und all die anderen – die Namen klingen vertraut, doch die in vielen Fällen international geprägten Eigentümer vertreten mit ihren angestellten Managern keine nationalen Interessen, sondern sind ausschließlich auf wirtschaftlichen Erfolg für den Profit einer kleinen reichen bis superreichen Schicht orientiert.

Das ist allerdings in marktwirtschaftlichen Ordnungen kein strafwürdiges Vergehen. Nur hat der wirtschaftliche Erfolg der DAX-Konzerne in der Euro-Schuldenunion einen Nachteil, den viele Millionen einfache Steuerzahler über kurz oder lang unter schmerzlichen Umständen werden begleichen müssen: „Für Volker Grossmann, Makroökonom an der Universität Freiburg in der Schweiz, ist es nur logisch, dass die Großunternehmen für das Bestehen der Eurozone kämpfen. Denn die Europäische Zentralbank finanziert ihnen bereitwillig die Kredite, mit denen ihre Produkte gekauft werden. Wegen eines ‚institutionellen Fehlarrangements‘ könnten die Konzerne in großem Stil in die Südländer exportieren, sagt Grossmann. Denn die Notenbanken der Krisenländer können ihren Geschäftsbanken und damit deren Kunden ‚praktisch unbegrenzt Geld aus der Notenpresse der EZB leihen‘. Das ermögliche den Ländern Importe, die sich normalerweise längst nicht mehr leisten könnten. Die Profiteure sind die Großunternehmen, die mit einem ‚Exportboom auf Pump‘ beschenkt werden.“   

Mit anderen Worten: Die „deutsche“ Exportindustrie in internationalem Eigentum finanziert ihren Absatz in hochverschuldete Länder mit virtuellem Geld, für das aber ganz real der deutsche Staat und damit die deutschen Steuerzahler bürgen. Wird diese Bürgschaft – was unweigerlich künftig passieren wird - teilweise oder ganz in Anspruch genommen, dann wird es vorbei sein mit dem Wohlstand und dem Sozialstaat. Dann wird der im Amtseid  beschworene Nutzen des deutschen Volkes nicht gemehrt, der Schaden von ihm nicht abgewendet  – ganz im Gegenteil.

Angela Merkel hat sich längst entschieden, für wessen Interessen sie eintritt, nämlich für die der ökonomisch Mächtigsten. Sie hat das deshalb getan, weil sie mit großer Sicherheit nicht Bundeskanzlerin geworden wäre, hätte sie sich anders entschieden. Und sie konnte umso leichter diesen Weg wählen und weiter verfolgen, weil sie eine sichere Mehrheit dafür im Bundestag hat zusammen mit der scheinsozialen SPD und den antinational orientierten Grünen um deren Neu-„Bilderberger“ Jürgen Trittin. Noch einmal der Makroökonom Grossmann: „Dass selbst linke Volksvertreter eine Umverteilung zugunsten einheimischer Exporteure und Banken unterstützen, während die breite Bevölkerung schon heute als Verlierer feststeht, ist geradezu eine Ironie.“

Die Bundeskanzlerin kann sich auf die politische Klasse verlassen, die gemeinsam im Sold der Großkonzerne steht. Das hat sich bei der Abstimmung über ESM und Fiskalpakt am 28. Juni 2012 im Bundestag erneut bewiesen, auch wenn es der Stimmen der Pseudo-Opposition von SPD und Grünen bedurfte, um die erforderliche Mehrheit zu erhalten. Weit weniger verlassen kann sich Frau Merkel auf die in Teilen unruhig und besorgt gewordenen Deutschen. Die gehen, von einer bislang winzigen Minderheit abgesehen, zwar noch nicht auf die Straße. Noch hoffen die meisten, dass die Krise um die Währung irgendwie doch noch ein gutes oder wenigstens glimpfliches Ende haben wird. Und Merkel wie die gesamte politische Klasse können sich auf die Unkenntnis der allermeisten Deutschen über die Folgen von ESM, Fiskalpakt und die nun in Brüssel eingeleitete Gemeinschaftshaftung für die Banken im Euroraum verlassen. 

Das gelingt aber nur so lange, so lange ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger der (irrigen) Überzeugung ist, die Bundeskanzlerin kämpfe von Krisengipfel zu Krisengipfel nicht für die Interessen der mächtigen Konzerne, sondern für sie, die Steuerzahler. Es ist dem Kommentator Markus Sievers in der linksorientierten Tageszeitung ‚Frankfurter Rundschau‘ zu verdanken, am Tag nach dem Brüsseler Gipfel und der Abstimmung im Bundestag das üble Spiel der Kanzlerin erfreulich offen, wenngleich in keineswegs kritischer Intention, geschildert zu haben: „In dieser Woche haben wir die zwei Gesichter der Angela Merkel gesehen. Am Mittwoch im Deutschen Bundestag trat sie unnachgiebig und hart, bisweilen sogar rabiat und brutal auf. So will die Kanzlerin anscheinend in Deutschland wahrgenommen werden.“

Damit das auch bestens funktioniert, wird in den Massenmedien munter die Mär von der „unbeugsamen“ oder gar „eisernen“ Kanzlerin verbreitet, die unermüdlich die deutschen Interessen gegen den Rest Europas, ja sogar der ganzen Welt verteidigt. Demoskopisch ist das nicht ohne Wirkung, denn Angela Merkel zählt weiterhin zu den populärsten Politikdarstellern der Republik. Wenn es nach Herrn Sievers geht, soll das auch nach den letzten Ereignissen so bleiben: „Nach diesem Gipfel wird sich Merkel in der Heimat jede Menge Kritik anhören müssen. Sie wird der Vorwurf begleiten, sie täusche die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten. Gelegentlich sollten die Deutschen nachsichtiger mit ihrer Kanzlerin umgehen.“ Denn: „Für ihre Doppelzüngigkeit gibt es gute Gründe“. Und welche sind das? „Das doppelte Spiel war unverzichtbar, um im Inland die Euro-Reformen durchzubringen und im Ausland die Euro-Rettung voranzutreiben.“

Es soll an dieser Stelle nicht die journalistische Charakterlosigkeit des Herrn Sievers behandelt werden, der es unverfroren richtig findet, dass und wie die  Kanzlerin ihr Volk hinters Licht führt. Es reicht ja zu wissen, für wen er schreibt. Aber diese journalistische Charakterlosigkeit hat den Vorzug  unfreiwilliger Ehrlichkeit im Hinblick auf die tatsächliche Rolle, die Angela Merkel in dem politischen Drama „Euro-Rettung“ spielt. An dieser Stelle bedarf es eines Einschubs: Wir müssen uns nämlich näher betrachten, wie die reale Situation in Euro-Land aussieht. Dabei kann kein Verlass sein auf offizielle Regierungspropaganda, auf Parteiideologen oder die oft genug bodenlose Unkenntnis der ökonomischen Daten und Zusammenhänge in den Medien.

Vielmehr sei hier eine der neuesten Analysen des äußerst nützlichen Internet-Portals www.querschuesse.de dokumentiert. Die Analyse basiert auf offiziellen Zahlen und zeigt, auf welch unverantwortliches politisches und ökonomisches Abenteuer sich die Kanzlerin, ihre Regierung und die Mehrheit im Bundestag einlassen:

„Die folgenden Daten bedürfen keines langen Kommentars, denn sie offenbaren den kompletten Wahnsinn, mit welchem dem Steuerzahler die Maximierung der Haftung aufgezwungen wird und werfen den Blick auf die avisierte finale Sozialisierung der Verluste aus dem Kasinokapitalismus zur “Rettung” der Banken und der privaten Gläubiger.

Die Entwicklung der kumulierten Bilanzsumme der Bankensysteme, exklusive der NZBs, von Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien seit September 1997 mit damals 2,875 Billionen Euro auf 10,249 Billionen Euro im Mai 2012!

Die Entwicklung der kumulierten Bilanzsumme der nationalen Zentralbanken (NZBs) Portugals, Irlands, Italiens, Griechenlands und Spaniens seit Januar 1999 mit 348,106 Mrd. Euro bis Mai 2012 mit 1,547 Billionen Euro!

Die Entwicklung der kumulierten Bruttostaatsschulden von Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien seit Q1 2000 mit 1,902 Billionen Euro bis Q4 2011 mit 3,341 Billionen Euro im Chart.

Ermittelt man die potentiellen Risiken aus den kumulierten Bilanzsummen der MFIs, der NZBs und der Bruttostaatsschulden von Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, ergeben sich 15,138 Billionen Euro. Es war, ist und bleibt unverantwortlich Haftung für potentielle Schäden aus dieser Summe zu übernehmen, zumal auch weiterhin Kreditausfälle, Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite produziert werden und die Volkswirtschaften der Südperipherie immer weiter abgewirtschaftet werden, in Folge der bisherigen Strategie, die zu einer gnadenlosen Kontraktion der wirtschaftlichen Aktivität führte, wo Einkommen, Konsum, Investitionen und erzielte Wertschöpfung Hand in Hand sinken! Mit dem heutigen Tag und den Beschlüssen im Bundestag zum Fiskalpakt und zum ESM wird Deutschland untrennbar mit dem Niedergang der Südperipherie verkoppelt!"

Quellen Daten: Sdw.ecb.europa.eu/Datenbank EZB, Eurostat.ec.europa.eu/Datenbank Eurostat, Bilanzen der NZBs



Nichts von dem, was hier veranschaulicht wird, ist denjenigen unbekannt, die Beschlüsse von unabsehbarer Tragweite gefällt haben und das auch weiterhin tun. Sie spielen mit der Zukunft des deutschen Volkes ‚Russisch Roulette‘. Nur steckt nicht nur eine Patrone im sechsschüssigen Trommel-revolver, sondern stecken mindestens vier oder fünf darin. Doch längst sind die „Retter“ einer Währung, die schon deshalb keinerlei Vertrauen mehr verdient, weil sie eben ununterbrochen „gerettet“ werden muss, verzweifelt oder ratlos genug, um auch dieses unverantwortliche Risiko nicht zu scheuen.

Angela Merkel, das sei zu ihren Gunsten gesagt, hat diese Situation nicht geschaffen. Sie will sie aber auch nicht beenden – weder mit einer epochalen Entscheidung gegen den Rettungswahnsinn noch mit einem nicht minder epochalen Rücktritt unter Verweis auf den Amtseid. Niemand ist allerdings auch weniger geeignet für solche historischen Taten als das ehemalige FDJ-Mädchen, von dem keine einzige oppositionelle Handlung im DDR-Regime bekannt ist. Die heutige Bundeskanzlerin aus einem linksprotestantischen Pfarrhaus mit erstaunlichen Privilegien im Honecker-Staat hat sich mit dem kommunistischen System arrangiert, sie hat das mit der Wende getan, sie hat ganz schnell eine politische Karriere im vereinten Deutschland gemacht, die Spitze der CDU wie der von zwei Regierungskoalitionen erobert und laviert sich seit Jahren mit einer Mischung aus opportunistischer Wendigkeit und machtversessener Prinzipienlosigkeit durch die Krisen der letzten Jahre. Wer, wie Angela Merkel, keine Überzeugungen hat, kann auch keine verraten – den Vorwurf sollte man ihr nicht machen.

Umso berechtigter ist der Vorwurf gegenüber der Bundeskanzlerin, ihren Amtseid schon mehrfach zum Schaden des deutschen Volkes, wenngleich zum Nutzen der keineswegs mehr allzu deutsch geprägten exportorientierten Konzerne gebrochen zu haben. Angela Merkel mag das leugnen: Die Indizienlage ist jedoch überwältigend. Die jetzige Bundeskanzlerin ist eidbrüchig, weil sie die Kanzlerin mächtiger Interessengruppen, aber nicht die im grundgesetzlichen Eid verpflichtet Kanzlerin des deutschen Volkes ist.

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass es unter den gegebenen gesellschaft-lichen und ökonomischen Verhältnissen gar nicht möglich ist, zugleich Kanzler zu sein und die Interessen des Volkes zu vertreten. Doch es ist niemand gezwungen, mit einem Meineid das Amt auszuüben, auch Angela Merkel nicht. Die Schwurhand, die unten blieb, könnte davon gezeugt haben, dass der CDU-Politikerin das unbewusst bewusst war. Das deutsche Volk hat keinen Grund, dieser Kanzlerin zu vertrauen.     

Quellen: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 1. Juli 2012, Seite 29; Frankfurter Rundschau vom 30. Juni 2012, Kommentar „Die zwei Gesichter der Angela Merkel; www.querschuesse.de, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland


Wolfgang Hübner, 5. Juli 2012

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