Angriff auf Nation und Demokratie

Deutschlands politische Elite sucht den Fluchtweg

Angriff auf Nation und Demokratie
© Henrik G.Vogel - pixelio.de


Die endlose Krise der Euro-Währung und der EU hat in Deutschland ein neues Stadium erreicht: „Gebt Souveränität ab!“, so ist der ganzseitige Artikel von Ulrich Wilhelm in der FAZ vom 7. Juli 2012 übertitelt – ein vehementes Plädoyer für die Auflösung Deutschlands in einer europäischen Politischen Union. Wilhelm ist Intendant des Bayerischen Rundfunks, was schon als bemerkenswert genug gelten kann. Viel brisanter ist aber die Tatsache, dass Wilhelm zwischen 2005 und 2010 Sprecher der Bundesregierung und einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel war.

Die Vermutung, Intendant Wilhelm könnte den FAZ-Artikel im stillen Einverständnis, ja in Absprache oder gar im Auftrag der Kanzlerin verfasst haben, ist naheliegend. Denn je unlösbarer die Krise aus ökonomischer Sicht erscheint, desto offensiver wird seitens der Befürworter und Profiteure der Euro-Währung der Ruf nach noch mehr „Europa“, nach Vergemeinschaftung der Schulden, nach Aufgabe nationaler Selbstbestimmung und staatlicher Souveränität laut. Flucht nach vorn um jeden und zu jedem Preis – das ist die Devise der Schäubles, Junckers und der Brüsseler EU-Bürokratenkaste. Es ist anscheinend nun auch die Devise einer Bundesregierung um Kanzlerin Merkel, die am Gängelband der exportorientierten Konzerne und der Großbanken verzweifelt einen Ausweg aus der Krise sucht, bevor noch deren reale Auswirkungen mit aller Härte auch das bislang noch weitgehend verschonte Deutschland treffen.

Ein weiteres klares Indiz für die offene Hinwendung der Regierung zum Projekt der Politischen Union ist das jüngste Spiegel-Interview mit der Arbeitsministerin und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden von der Leyen. Auch sie lässt keinen Zweifel an der Zielrichtung und nennt auch den Grund: „Weil wir die großen Gewinner des Euro sind. Unser Wohlstand basiert auch auf unserem starken Export, der überwiegend nach Europa geht.“ Die in Brüssel geborene Politikerin spricht weiterhin Klartext: „Allein auf sich gestellt, wäre Deutschland außerdem in dieser globalisierten Welt ein kleines, zu vernachlässigendes Land. Stark sind wir nur mit einer gemeinsamen europäischen Stimme. Zerfällt Europa in viele kleine Staaten, kann man es vergessen – ökonomisch und politisch.“

In den Aussagen von Frau von der Leyen sind zwei Elemente, die in der Betrachtungsweise der derzeitigen deutschen Elite dominieren: Ein mehr oder weniger geschickt europäisch überschminkter Wirtschaftsimperialismus ebenso wie die fast schon panische Angst vor einer möglichen Re-Nationalisierung. Wilhelm, gelernter Journalist, formuliert das kaum anders, aber geschmeidiger: „In einer Welt mit acht Milliarden Einwohnern, mit einer entstehenden Weltöffentlichkeit, einer globalisierten Weltwirtschaft, großen Migrationsbewegungen, Rohstoffknappheit und weltumspannenden Technologien werden die Staaten Europas nur gemeinsam bestehen.“

Wie Europa ganz praktisch die vielfältigen Herausforderungen „gemeinsam bestehen“, wie es wohl mit einer „gemeinsamen europäischen Stimme“ sprechen könnte – diese Auskunft bleiben sowohl die Ministerin wie der Intendant schuldig. Darin unterscheiden sie sich aber mitnichten von allen anderen Befürwortern einer politischen und ökonomischen Vereinheitlichung eines von größter Vielfalt geprägten Kontinents.

Immerhin formuliert Wilhelm einig Vorstellungen über die politische Konstruktion des angedachten Europa:„ Eine Politische Union fordert zwingend die Abgabe von Souveränität an die europäischen Institutionen…. Um dem demokratischen Grundsatz Genüge zu tun und gleichzeitig eine angemessene Repräsentanz aller Mitgliedsstaaten sicherzustellen, brauchte das Parlament zwei Kammern. Die erste Kammer würde die Bevölkerungsstärke proportional abbilden. Raum für eine überproportionale Berücksichtigung der kleinen Länder wäre in einer zweiten Kammer.“
                             
Was Kanzlerin Merkels Vertrauter nicht sagt: Mit der Konstruktion wäre selbstverständlich jede Wählerstimme viel weniger wert als gegenwärtig noch. Eher über kurz als über lang würde die Zahl frustrierter und wütender Nichtwähler ungeahnte Ausmaße annehmen. Das allerdings müsste die politischen Eliten Europas keineswegs stören. Es mag sogar in deren Kalkül liegen, hinter einer scheindemokratischen Fassade mit Beethovens Hymnenvorlage ziemlich ungestört Weltmachtpolitik treiben zu können.

Frau von der Leyen äußert sich als Mitglied einer Regierung etwas pragmatischer über die Konstruktion der Politischen Union: „Können wir uns vorstellen, dass es eines Tages einen europäischen Finanzminister gibt, der zwar nicht im Detail die Budgets der einzelnen Staaten gestaltet – das bleibt immer eine nationale Aufgabe. Der aber sehr wohl darauf achtet, dass kein Land über seine Verhältnisse Schulden macht und so die Gemeinschaftswährung in Gefahr bringt. Der nächste Schritt ist eine gemeinsame europäische Arbeitsmarktpolitik.“ Das klingt bescheidener als Wilhelm, ist es aber nicht wirklich. Denn der Aufpasser über die nationalen Haushalte wäre eine ebenso mächtige wie dauernden Angriffen und Pressionen ausgesetzte Figur, die zudem ihre nationale und kulturelle Herkunft völlig verleugnen müsste, um allseits geduldet zu bleiben.

Und wie soll bei den haarsträubenden Unterschieden auf den Arbeitsmärkten in Europa eine „gemeinsame europäische Arbeitsmarktpolitik“ aussehen? Soviel ist aber sicher: Sollte diese je Wirklichkeit werden, würde sie mit drastischen Reallohn- und Sozialverlusten in Deutschland verbunden sein. Das weiß die Ministerin auch, sagt sie aber wohlweislich nicht. Sie wie auch Wilhelm vermögen auch nicht ansatzweise begründen, wie mit einer Politischen Union Europas die akuten ökonomischen und finanziellen Probleme der Staaten der EU zum Verschwinden gebracht werden könnten. Wie wenig allein der politische Wille das vermag, ist an der wachsenden Zahl ergebnisloser Gipfelkonferenzen gut abzulesen. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat in einem aktuellen Interview zutreffend gesagt: „Zur Lösung der Schuldenkrise jedenfalls wäre der Bundesstaat eine Fehlgeburt.“

Weder Frau von der Leyen noch Herr Wilhelm haben offenbar realisiert, wie sehr es ökonomische Prozesse, Ungleichgewichte und Widersprüchlichkeiten sind, die die EU und den Euro in die Krise geführt haben. Die „Märkte“, dieses Schreckgespenst der Politiker in ganz Europa, haben ja nur deshalb so große anonyme Macht, weil fast alle Staaten in der Schuldenfalle sitzen. So lange diese Probleme nicht gelöst sind, werden auch die kühnsten politischen Manöver wie zum Beispiel die Bildung einer Politischen Union nur eines bringen: Weniger Demokratie, aber noch mehr Schulden, noch höhere Bürgschaften und garantiert noch viel mehr Bürokratie.

Daran können aber nur zwei winzige, wenngleich mächtige Gruppen Interesse haben: Nämlich die politischen Eliten der nur noch auf Kredit lebenden Staaten, wozu übrigens auch Deutschland gehört. Diese Eliten betreiben mit allen Mitteln Konkursverschleppung, weil sie bei dem längst überfälligen Eingeständnis ihres Scheiterns Rang und Privilegien zu verlieren fürchten. Diese Angst ist durchaus begründet. Die andere Gruppe sind die zum Teil sehr reichen Profiteure des Kreditkapitalismus sowie die vor allem in Brüssel beheimatete Kaste der Eurokraten und Lobbyisten.

Welchen Grund jedoch die große Masse der steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger in Europa haben sollte, das Monstrum Politische Union zu ersehnen, ist nicht ersichtlich. Denn diese übergroße Mehrheit der Europäer würde in dieser Union zum politischen und sozialen Spielball einer neuen Nomenklatura mit scheindemokratischem Antlitz. Noch einmal sei Di Fabio zitiert, der kein Blatt vor den Mund nimmt: „Was wollen eigentlich Politiker, die auf den Bundesstaat setzen? Wer will Europa in ein Abenteuer stürzen? Der gescheiterte Verfassungsvertrag hat doch  deutlich gemacht, dass solche Kraftakte eher die Integration zurückwerfen können.“

Sehen wir uns nun einmal das zweite gewichtige Element in der Betrachtungsweise der derzeitigen politischen Elite Deutschlands etwas näher an. Wenn gerade in dem von zwei verlorenen Weltkriegen tief traumatisierten Deutschland das Gespenst der drohenden „Re-Nationalisierung“ von den Befürwortern der Politischen Union unheilverheißend beschworen wird, dann resultiert das nicht aus gut begriffenen Lehren der Geschichte. Vielmehr ist es die Flucht aus einer Verantwortung, die parteiübergreifend die deutsche politische Elite für die selbstgeschaffene Schieflage eines völlig überlasteten Fürsorge- und Parteienstaats nicht übernehmen will und mit dem gegenwärtigen Personal auch wohl nicht übernehmen kann.

Es ist aber klar, dass es nach dem künftigen Scheitern der Euro-Währung und all den damit verbundenen, in ihrem Ausmaß noch gar nicht absehbaren Folgen unabwendbar zu einer „Re-Nationalisierung“ kommen wird. Denn dann wird jeder betroffene Staat, jede Nation sich erst einmal darum sorgen müssen, die Ordnung im eigenen Haus wieder einigermaßen herzustellen bzw. zu gewährleisten. Das dürfte – je nach politischer Kultur und Geschichte – in den verschiedenen Staaten sehr verschieden gehandhabt werden. Gerade kleinere und wirtschaftlich schwächere Nationen werden sich wahrscheinlich damit leichter tun als größere wie Frankreich oder Deutschland.

Die Voraussage sei sogar gewagt, dass sich die führende Industrie- und Exportnation Europas ganz besonders schwer mit den Folgen des Euro-Scheiterns tun wird. Denn auch wenn der Euro der Masse der Bevölkerung keinen Vorteil, sondern eher Nachteile gebracht hat: Die DAX-Konzerne und auch der exportorientierte Mittelstand haben durchaus erhebliche Vorteile von der Euro-Währung, ihnen hat sich mit dem Euro-Raum ja ein riesiger Markt vollständig geöffnet, der auch entschlossen besetzt wurde.

Deutschland hat damit eine ökonomische Dominanz erlangt, die aber zunehmend mit der immer größeren Schwäche und Abhängigkeit anderer Staaten erkauft wurde und wird. Nun ist der absurde Zustand eingetreten, dass die deutschen Exporte in die südlichen Länder des Kontinents vom Exporteur selbst – präziser: auf immer größeres Risiko der deutschen Steuerzahler – finanziert werden. Nicht verwunderlich, sondern nur logisch ist deshalb die  ungebrochene Europa-Begeisterung der Spitzenmanager der Konzerne wie Siemens, Metro, Allianz und wie sie alle heißen. Ihnen kann es egal sein, wie das Geld in die Kassen fließt. Nicht aber den Bürgern hierzulande, die für die astronomischen, immer weiter anwachsenden  Schulden von Griechenland, Spanien, Portugal und anderen bürgen sollen.

Spätestens seit der umstrittenen Bundestagszustimmung zum sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt ist offensichtlich, wem sich die politische Elite Deutschlands parteiübergreifend verpflichtet fühlt: den Interessen der Großbanken und den exportabhängigen Bereichen von Industrie und Handel. Die Konzernspenden an die Parteien machen sich eben bezahlt. Aber es ist auch die festeingebrannte Überzeugung dieser politischen Elite, nur wirtschaftlicher Erfolg garantiere inneren Frieden, äußeren Einfluss sowie internationale Anerkennung. Die Geschichte der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg hat dieses Bewusstsein ja auch geradezu zwangsläufig genährt.

Deshalb sind Kanzlerin Merkel, Finanzminister Schäuble und all die anderen politischen Hauptdarsteller sicher zutiefst, also ehrlich davon überzeugt, Deutschland werde bei erheblichen Beeinträchtigungen oder gar Ausbleiben dieses wirtschaftlichen Erfolgs instabil, ja sogar eine Gefahr für sich und andere, vor allem aber ein Gefahr für ihre eigene herausgehobene politische Existenz werden.

Das ist richtig und falsch zugleich: Richtig ist die Vermutung, die längst auf Kosten der Zukunft lebende, von massenhafter Einwanderung armer und kulturfremder Menschen geprägte Bundesrepublik werde gesellschaftlich unruhige Zeiten erleben, wenn der Sozialstaat nicht mehr die Mittel aufbringen sollte, um alle Gruppen und Schichten einigermaßen ruhig zu stellen. Falsch liegt die politische Elite allerdings damit, sich überhaupt nicht vorstellen zu können, dass auch Deutschland noch auf anderen Fundamenten als einzig denen des wirtschaftlichen Erfolgs und Exportdominanz beruhen könnte.

Genau diese Fundamente, also die kulturellen, sozialen und geschichtlichen Identitäten Deutschlands werden nach dem Scheitern der Euro-Währung und der Zwangsintegration Europas in der darauf unweigerlich folgenden „Re-Nationalisierung“ dem Staat und der Nation Halt geben müssen. Nur wenn das geschieht, sind die ökonomischen Verwerfungen und die künftig notwendigen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Umstrukturierungen ohne zerstörerische Erschütterungen zu bewältigen. Was für die derzeitige politische Elite Deutschlands von Merkel bis zur schrillen Claudia Roth und dem Deutschland-Hasser Jürgen Trittin anscheinend nur eine Horrorvorstellung ist, stellt für alternative politische Kräfte aus dem Bürgertum eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung dar.

Entscheidend für diese alternativen Kräfte wird eine umfassende Vorbereitung auf diese Herausforderung sein. Es ist deshalb nicht damit getan, sich mit dem Widerstand gegen den Euro-Rettungswahnsinn, gegen die Entdemokratisierung und/oder gegen die Islamisierung zu profilieren. Das und noch viel mehr ist richtig, wird aber für eine vertrauenserweckende Führungsrolle beim den Auf- und Umbauarbeiten nach dem Einsturz des Euro-Turmes nicht ausreichen. Es bedarf dazu vielmehr belastbarer neuer Vorstellungen von Staat, Nation, Ökonomie und Gemeinschaft in der europäischen Großfamilie und im globalen Kräftespiel.

Wer weniger anstrebt, überlässt Deutschland denen, die es derzeit immer weiter in eine unverantwortliche Lage treiben. Denn nur allzu gerne und eifrig werden sich die Brandverursacher nach dem großen Feuer als Aufräumspezialisten anbieten. Wer dieses tückische Angebot mit guten Gründen ausschlagen will, muss hart arbeiten, um die Grundlagen für eine erfolgreiche neue Bewegung im deutschen Volke zu schaffen, die den inneren Frieden sichert und dieses Land in eine europäische Ordnung einfügt, in der jede Nation ihre gewachsene Identität und Kultur bewahren kann. Nur so haben Deutschland und Europa eine sichere Zukunftsperspektiven auf diesem unruhigen Globus.

 

Wolfgang Hübner, 13. Juli 2012

Leserkommentare (1)

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....„Allein auf sich gestellt, wäre Deutschland außerdem in dieser globalisierten Welt ein kleines, zu vernachlässigendes Land. Stark sind wir nur mit einer gemeinsamen europäischen Stimme. Zerfällt Europa in viele kleine Staaten, kann man es vergessen – ökonomisch und politisch.“
Neulich habe ich dazu einen interessanten Vergleich gehört. Sollte diese "naive" These von "Frau von der Leyen" zutreffen, dann frage ich mich:
WARUM HABEN EIGENTLICH DIE GROSSEN "DINOSAURIER" NICHT ÜBERLEBT?
ABER, DIE KLEINE EIDECHSE(Jurazeit vor etwa 150 Millionen Jahren)
HAT ES GESCHAFFT!!!
Ich lese gerade das Buch von Thilo Sarrazin "Europa braucht den Euro nicht" Wirklich sehr empfehlenswert, gerade bei diesem Thema.
Thilo S. spricht von einer möglichen "Verschweizerung" Deutschlands.
Genau wie er, würde ich sehr gerne "verschweizern" :-)
ES IST NICHTS ALTERNATIVLOS!!!
Sollte das BVG wieder einmal eine "schwammige Entscheidung" gegen das deutsche Volk treffen, rufe ich jetzt schon alle Freien Wähler zu einer Großdemo in Karlsruhe auf!
Bestimmt wird auch der "Verein Mehr Demokratie" und die "Zivile Koalition" solch eine Demo mitgestalten.
Dann gibt es einen"heißen Sommer"!
Viele Grüße von Matthias Hübner FFM-Bonames