Bundestagsversager, ich kündige!
Eine überfällige Notmaßnahme

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages … sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ So steht es in Artikel 38 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Ehrlich gesagt glaube ich schon lange nicht mehr daran, dass die bis auf wenige Ausnahmen willfährigen Parteisoldaten im Bundestag „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Und ich bin sicher: Noch nicht einmal die allermeisten Bundestagsabgeordneten selbst werden das glauben. Trotzdem habe ich lange gezögert, bevor ich nun zu der Entscheidung gekommen bin: Bundestagsversager, ich kündige!
Ich kündige, weil die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten nach den jüngsten Abstimmungen zu ESM, Fiskalpakt und der Nothilfe für bankrotte spanische Banken nie und nimmer „Vertreter des ganzen Volkes“, sondern nur noch Interessenvertreter ihres von der Parteignade abhängigen, gutdotierten Mandats sein können. Niemand, der es ernst damit meint, als „Vertreter des ganzen Volkes“ zu entscheiden, hätte bei diesen Abstimmungen der Bundesregierung folgen dürfen.
Ich kündige, weil die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten zweifellos an „Aufträge und Weisungen“ ihrer Parteispitzen, an solche der Lobbyisten der Finanzwirtschaft, der exportierenden Großkonzerne und wem auch immer „gebunden“ – welch ein passendes Wort! - sein dürfte, nicht aber an die „Aufträge und Weisungen“, die im Interesse und zum Nutzen der großen Mehrheit des deutschen Volkes sind.
Ich kündige, weil kein Bundestagsabgeordneter, der tatsächlich „seinem Gewissen unterworfen“ wäre, diese irrsinnigen Multi-Milliarden-Bürgschaften und Zahlungsverpflichtungen verantworten könnte, die im Fall ihrer Einlösung unser Land in den Ruin und die Mehrheit des Volkes in Chaos und Elend stürzen müssten. Bürgschaften werden gegeben und Zahlungsverpflichten geht man ein, wenn die Gewähr besteht, diese zur Not auch einlösen zu können. Was aber privat normal und unverzichtbar ist, kann politisch nicht falsch sein. Ich vertraue keinen Menschen, die mit dem Schicksal anderer ein hochriskantes Glücksspiel betreiben.
Ich kündige, weil jede weitere sogenannte „Rettungsaktion“ keinerlei Nutzen für die zu rettenden Staaten und ihre Völker haben wird, sondern die jeweils notwendigen nationalen Maßnahmen, insbesondere die Rückkehr zu eigenen Währungen, nur verzögert und verschlimmbessert. Die jüngste Entwicklung in Spanien – von Griechenland gar nicht mehr reden – zeigt auch den ökonomisch naivsten Gemütern, dass dieses Land nicht mehr mit Multimilliarden-Feuerwehraktionen zu retten ist, sondern in fast jeder Beziehung einen radikalen Neuanfang braucht. Diesen für die Masse der spanischen Bevölkerung abzufedern, also nicht zur Katastrophe werden zu lassen, sollte für die Euro-EU eine Aufgabe sein, die vielleicht machbar ist. Alles andere jedoch wird die „Retter“ mit in den Abgrund reißen. Und wem wäre damit geholfen?
Ich kündige, weil ich nicht mit in diesen Abgrund gerissen werden will. Diesen Wunsch teile ich mit ungefähr 79,99 Millionen selbstmordunwilliger Menschen in Deutschland. Schon die vorgebliche „Rettung“ Griechenlands seit zwei Jahren war und ist eine ganz große Lügenaktion zur tatsächlichen Rettung bankrott-gefährdeter Banken und reicher Steuerhinterzieher. Wenn nach Griechenlands bevorstehendem Exitus zweistellige Milliardenlasten auf Deutschland zukommen, dann haben – bis auf ganz wenige rühmliche Ausnahmen – die jetzigen Bundestagsversager die volle Verantwortung dafür.
Ich kündige, weil ich schon jetzt weiß, dass diejenigen, die diese Verantwortung auf sich genommen haben, weder dafür in Haftung treten noch Konsequenzen daraus ziehen werden. Vielmehr werden die Versager in Berlin sich hauptsächlich von der Sorge geplagt sein, auch bei der Wahl 2013 wieder in den Genuss der Diäten, schönen Abgeordnetenreisen rund um die Welt und opulenten Empfängen von Lobbyisten zu kommen.
Ich kündige, weil ich parteiübergreifend keinen Menschen mehr vertraue, die Jahr ums Jahr die Schuldenlast des Bundes in immer schwindelerregendere Höhen treiben, nun aber über die deutsche Haltung zur Schuldenlast anderer Staaten entscheiden sollen.
Ich kündige, weil ich wütend bin, Deutschland von Leuten parlamentarisch repräsentiert zu sehen, die Mal ums Mal alles abnicken, was jeder auch nur halbwegs mit gesundem Menschenverstand und wirtschaftlichen Grundkenntnissen ausgestatteter Mensch verweigern würde. Solche „Volksvertreter“ braucht kein Volk, das den nach 1945 mit großem Fleiß und viel Verzicht erarbeiteten Wohlstand bewahren will.
Es interessiert die Bundestagsversager nicht, was ich – einer von 80 Millionen – will? Kann schon sein. Aber meine Kündigung vollziehen in diesen Wochen und Monaten täglich mehr Menschen in Deutschland. Ich bin nur einer, aber gewiss nicht allein.
Ich soll respektieren, dass die Bundestagsversager demokratisch gewählt worden sind? Das gilt ohnehin nur für diejenigen die direkt im Wahlkreis gewählt wurden. Aber gerade diese Abgeordneten verraten ihre Wähler noch mehr als diejenigen, die über die Parteilisten in den Reichstag gekommen sind.
Ja, ich habe trotz großer Zweifel bislang respektiert, was andere Bürgerinnen und Bürger auf ihren Stimmzetteln 2009 entschieden haben. Aber niemand, auch keine Mehrheit der Wähler, kann mich dazu bewegen, mich ruinieren zu lassen von Politikern, denen die „Rettung“ von Großbanken, Milliardären und den Pfründen politischer Eliten wichtiger ist als die gute, halbwegs sichere Zukunft derer, denen sie kraft Grundgesetz verpflichtet sind.
Aus all diesen Gründen kündige ich. Und ich gebe denjenigen, denn ich kündige, einen guten, demnächst vielleicht überlebenswichtigen Rat: Befolgt endlich die Verpflichtung des Grundgesetzes! Verweigert euch endlich den angeblich „alternativlosen“ Vorlagen und Vorgaben der Regierung! Denn denkt daran: Ihr Bundesversager im Reichstag seid ganz bestimmt nicht ohne Alternative.
PS: Ich kündige selbstverständlich fristlos.
Wolfgang Hübner, den 25. Juli 2012