Kein Wachstum ohne Nebenwirkungen

Lebensqualität hat ihren Preis

Kein Wachstum ohne Nebenwirkungen
© Gerd Altmann - pixelio.de


In Zeiten leerer Staatskassen geistert ein „altes Gespenst“ in Europa herum: das Gespenst des wirtschaftlichen Wachstums. Der neue französische Staatspräsident propagiert es, die Bundeskanzlerin Angela Merkel verheißt es, der US-amerikanische Präsident Barak Obama verlangt es und die übrigen Europäer erhoffen es. Nun ist es so eine Sache mit dem Wachstum. Im Produktionssektor scheinen die Wachstumsraten an ihre Grenzen zu stoßen. Zwar wächst die Automobilindustrie in Deutschland noch, der Autohersteller Audi beispielsweise verzeichnete im vergangenen Jahr eine Wachstumsrate von rund 13 %, allerdings werden die zum Autofahren notwendigen Straßen im voller, so dass sich der Absatz mehr und mehr ins Ausland verlagert.

Der Maschinenbau in Deutschland verzeichnet ebenfalls Gewinne, nur ist hier der Absatz nicht einfach, weil die deutschen Produkte technisch hervorragend und somit sehr teuer sind. Gleichzeitig ist der produktive Sektor stets mit Emissionen verbunden, was Anwohner größerer Gewerbegebiete, von denen es in Deutschland aufgrund der dichten Bebauung eine Menge gibt, zum zunehmenden Widerstand übergehen lässt. Es ist eben schön seinen Arbeitsplatz in der Nähe zu haben, aber weniger schön den Lärm und Gestank im eigenen Garten ertragen zu müssen.

Der Dienstleistungssektor verheißt keine vielversprechende Zukunft. Seit langem ersetzen Firmen sowohl größerer wie mittelständischer Herkunft ihre Arbeiter und Angestellten wo sie nur können gegen elektronische bzw. technische Hilfen, die günstiger, langlebiger und in den meisten Fällen weniger anfällig sind. Trotz dieser Entwicklung gibt es immer wieder Branchen, die wachsen. Zu ihnen zählt der sogenannte „Finanzdienstleistungssektor“ oder auch weniger verklausuliert ausgedrückt: die Banken. Hunderttausende von Menschen arbeiten mit dem Geld anderer Menschen auf der internationalen Finanzbühne, die vor einem riesigen Abgrund zu stehen scheint. So hoch wie die einzelnen Finanzblasen (Immobilien-, Derivat-, Aktien- und Devisengeschäft etc.) in die Höhe gestiegen sind, so tief können sie morgen herunterfallen. Ein gefährlicher Sektor also, dem man nicht unbedingt weiteres Wachstum wünschen möchte, vor dem Hintergrund einer eventuell schon sehr bald auf ihn zukommenden Entlassungswelle.

Bleiben die Gastronomie und die Pharmaindustrie als verheißungsvolle Wachstumsaspiranten. Allerdings wird nur so lange gut gespeist und getrunken, so lange sich dies eine Wohlstandsgesellschaft leisten kann. Vorsicht sei den Gastronomen und Hoteliers, die ohnehin schon stark von Messe und Urlaubszeit abhängig sind, empfohlen. Sie sollten lieber Rücklagen für eine „saure Gurkenzeit“ bilden. Die Pharmaindustrie wiederum hängt am Tropf des kassenärztlichen Sozialstaates. Geht es dem Staat und seinen Krankenkassen schlecht, ist es in der Regel auch schnell vorbei mit der Herstellung mehr oder weniger teurer „Wohlfühltabletten“.

Wie schwer es mit dem Wachstum ist, zeigt sich in kaum einer anderen Stadt deutlicher, als in Frankfurt am Main, dem Herz einer großen Region. Der Ausbau des Flughafens mit seiner neuen Landebahn sollte den Wachstumsmotor nicht nur am Laufen halten, sondern sogar beschleunigen. Das Gegenteil scheint nun der Fall zu sein. Der wütende Vorstands­vorsitzende des Flughafenbetreibers Fraport, Dr. Stefan Schulte, erkannte wohl mit als Erster, dass die neue Landebahn der Anfang vom langsamen Ende des Weltflughafens Frankfurt Rhein-Main sein wird. Langsam kristallisiert sich heraus, dass sich ein 24-Stunden Weltflughafen mit vielen Millionen Tonnen Fracht und über 54 Millionen Passagieren pro Jahr nicht mit einem regelmäßigen sechs- und vielleicht bald achtstündigen Nachtflugverbot abwickeln lässt. Die Ausgleichs­zahlungen an lärmgeschädigte Nachbarn des Flughafens sollen mehr und mehr vom Flughafenbetreiber alleine geleistet werden. Die finanziell schwachen Kommunen wollen sich aus der Verantwortung stehlen, obwohl doch auch sie vom Flughafen als „Jobmotor“ profitieren. Die geplagten Bürger wollen den lärmenden und kerosinverschlingenden Flughafen nicht mehr. St. Florian greift wie ein aggressiver Virus um sich. Fliegen ja, aber nicht über mir.

Nicht anders verhält es sich mit dem ehemaligen Höchst-Gelände. Der Gestank nervt seit langem die Bürger in Höchst, Griesheim und Nied. Immer gedrängter wirkt die Situation im und um das Infraserv-Gelände, dass weiterwachsen würde, wenn es doch nur könnte. An anderer Stelle im Osten der Stadt ist das Bild ähnlich. Jede kleinste Regung auf dem Alessa-Gelände in Fechenheim wird argwöhnisch beäugt. Feinstaub, Ruß oder Gas drohen zu einer Verschlechterung der Lebensqualität und zum Verlust des Immobilienwertes, ja vielleicht sogar des eigenen Lebens zu führen. Und so scheint eine ganze Region, die dicht gedrängt in doch recht wohlhabenden Verhältnissen lebt, nicht viel zu halten vom Wachstum, wenn es denn in der unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet. Der Verkehr soll leise und weniger werden, die Nachtruhe streng eingehalten und das Grün der Parkanlagen und Stadtwälder mehr werden.

Und so scheinen wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts am Ende des Wachstums angelangt zu sein. Für immer mehr Menschen gibt es immer weniger Arbeit. Immer enger zusammen­wachsende Regionen und ihre Bürger schreien nach immer mehr Ruhe, Geborgenheit und nachbarschaftlichem Frieden. Das Gespenst des wirtschaftlichen Wachstums gilt es zu enttarnen. Wachstum ohne Menschen, die es trägt, bleibt ein Gespenst, das Angst verbreitet, insbesondere nachts, wo ein jeder doch am liebsten in Ruhe Schlafen möchte.

 
Patrick Schenk, 6. August 2012

Leserkommentare (3)

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Der Artikel zeigt sehr gut einige grundlegende Zusammenhänge der Zivilisation auf: Wohlstand ohne wirtschaftliches Wachstum gibt es nicht! Ob es sich dabei um ein quantitatives oder qualitatives Wachstum handelt, ist eine ganz andere Frage.

Auf diesem Wohlstand basiert unsere Gesellschaft und unser demokratisches Staatswesen, das eine Verwirklichung unserer Vorstellung von Demokratie ist. Diese ist auch gekennzeichnet durch unsere Vorstellung von einem demokratischen Umgang miteinander, vom Bild des Bürgers, der grundsätzlich immer und überall mitbestimmen darf. Er darf z.B. von seinem Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ungehindert und ungehemmt Gebrauch machen, auch auf Kosten anderer Bürger.

Diese Vorstellung von Demokratie ist besonders eng verknüpft mit dem Wohlfahrtsstaat, der seine Bürger und Einwohner inzwischen nicht mehr nur in Notzeiten unterstützt, sondern ihn bei Wunsch, vollumfänglich alimentiert, auf Kosten anderer Bürger. Bezahlt wird die Realisierung dieser Vorstellung von Demokratie im Wesentlichen aus drei Töpfen:
- Aus den Zahlungen von Steuern und Abgaben der Bürger und der Wirtschaftsunternehmen
- Durch Kreditaufnahmen der Regierungen von Bund, Ländern und Kommunen
- Durch stattliches Wirtschaften und die Nutzung staatlichen Vermögens.

Unser gesamtes Gesellschaftssystem hängt demnach nicht nur an unseren intellektuellen Köpfen, sondern auch und vor allem, so ungern die intellektuellen Köpfe das auch hören mögen, am Geld! Geld, das verdient wird durch das Wirtschaften der Bürger, durch die Arbeit der Bürger, durch die Arbeit der Unternehmen, der produzierenden Unternehmen, durch die Unternehmen, die Lärm machen, Abgase in die Luft blasen, die die Straßen abnutzen und die Flugzeuge fliegen lassen! Es ist klar, dass kein Bürger, kein Mensch Fluglärm, Straßenlärm, Zuglärm will, wenn er in seinem Garten sitzt und den Feierabend genießt, es ist klar, dass kein Mensch Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke, ja sogar Windparks oder Überlandstromtrassen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft will, es ist klar, dass er keine hohen Energiepreise zahlen und keine Beeinträchtigung seiner Lebensqualität will, durch nichts und durch niemanden will.

Nichtsdestotrotz sind diese ganzen Unannehmlichkeiten nicht nur die Kehrseite, sondern die zwingenden Folgen des Wirtschaftens und somit des Erhalts unserer Lebensgrundlagen. Sie können und sollen minimiert werden, Abschaffen aber kann man sie nicht, wenn man nicht in die Steinzeit zurückfallen will. Wenn aber die Grundlagen durch wirtschaftliche Probleme, den Kapriolen, um nicht zu sagen der Ignoranz unserer Vertreter in der Politik bedroht werden, an unserem Lebensstandard zehren, dann hilft Stillstand in der wirtschaftlichen Produktion nicht, dann muss diese wachsen, ob in die Breite oder in die Tiefe. Und dazu bedarf es der Menschen, der Bürger, die sich dem Ganzen, dem Gemeinwesen, der Polis verpflichtet fühlen und nicht dem Sankt- Florians- Prinzip! Denn, wie der Autor sehr richtig sagt, Wachstum ohne Menschen, die es trägt, bleibt ein Gespenst!

Das Wort "Wachstum" war in dem Moment verbrannt, als es mit mehr Umweltverbrauch gleichgesetzt wurde. Das liegt auch daran, dass "Wachstum" eine bildliche Bedeutung hat: Was "wächst" nimmt an Masse zu, "verbraucht" also etwas, "nimmt" etwas von der Welt "weg". Das ist zwar so nicht richtig, aber auch nicht mehr aus den Köpfen herauszubekommen.Ein anderes Wort, das das Missverständnis ausschließt, wäre hilfreich.

"Wirtschaftswachstum" ist ja eigentlich auch falsch, es wächst ja nicht "die Wirtschaft", sondern deren Erträge. Das kann u.U. ohne jede Ausweitung der materiellen Produktion möglich sein. Das Wörtlein "ertragreicher" hört sich gleich viel angenehmer, positiver und konstruktiver an. Und nachhaltiger. Wie wenn es um die Ernte in der Landwirtschaft ginge ...

Wir müssen also nicht für Wirtschaftswachstum sorgen, sondern die Ertragskraft der Wirtschaft steigern.

Das gelingt zuallererst durch Sparen an den richtigen Stellen. Dann durch Anreize zur Ansiedlung von Betrieben. (Gewerbesteuer?!) Und durch gute Ausbildung der nächsten Generation (in Frankfurt?!)

Was die Wutbürger anbelangt:

Ich frage mich langsam, ob nicht auch etwas wahres daran ist. Mir fiel schon immer auf, dass hier in Frankfurt in manchen Vierteln Gewerbe, Wohnen und Infrastruktur häufig eng verwoben stattfindet. Teilweise sieht es aus wie in Neapel, in jedem zweiten Hinterhof ist eine wenig ansehnliche und häufiger lärmige Werkstatt, und dann ein Bahngleis wild durch ein Wohnviertel. Warum ist das so in Frankfurt? Anderswo hat man das getrennt. Oder ist das auch so eine fixe grüne Idee, Gewerbe und Wohnen eng beieinander zu haben, die ideologisch durchgezogen wird? Es kommt immer darauf an: So eine kleine Metallwerkstatt kann einen ganzen Block verlärmen ... eine Fahrradwerkstatt wäre angenehmer.

Laut FNP kam bei der Befragung in Sachsenhausen ja heraus, dass die Bürger sich nicht nur durch den Fluglärm, sondern auch durch Bahn und Autobahn belästigt fühlen. Man hatte den Eindruck, die Flugzeuge seien nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Offenbar hat man es hier in Frankfurt systematisch versäumt, Wohnen, Verkehr und Gewerbe ordentlich zu trennen bzw. für Lärmschutz zu sorgen. Richtig schön ist es in Frankfurt nicht so oft.

Was den Flughafen anbelangt so muss man den Wutbürgern zusätzlich zugestehen, dass die etablierte Politik sie nach Strich und Faden verladen hat. Es ist legitim, dass sie "Rache" an der etablierten Politik nehmen wollen, ein Akt der politischen Hygiene. Eigentlich eine Steilvorlage für eine Oppositionspartei.

Das Denken gemäß des St.Florian Prinzips wird ja von der Politik nach Kräften befeuert. KEINE einzige Römerfraktion bekennt sich eindeutig zu dem Ausbau des Flughafens. Die Positionen reichen von entschiedener Gegnerschaft bis zu weitgehend indifferenten Positionen. Das hat zu einer kuriosen und ziemlich fatalen "Loose-loose"-Situation geführt.
Die Logistikbranche ist schon dabei, große Teile ihres Geschäfts - und damit ihrer Arbeitsplätze - aus Frankfurt abzuziehen. Weitere Branchen werden folgen. Dies wird unabsehbare Folgen für die Rhein- Main- Region und darüber hinaus haben. Insbesondere sind es sogenannte "Blue collar" Jobs für Ungelernte oder Arbeitnehmer mit niedriger Qualifikation, die verloren gehen. Diese Menschen können nicht eben mal umgeschult oder aufqualifiziert werden, sondern sie werden dauerhaft ohne Erwerbstätigkeit und Beschäftigung sein. Es erwartet uns also ein Heer von unqualifizierten, kaum vermittelbaren jungen Arbeitslosen. Häufig im Logistikbereich auch mit Migrationshintergrund. Keine sehr erfreuliche Vorstellung.

Man würde dieses Szenario ja unter Umständen in Kauf nehmen, wenn dadurch wenigstens Ruhe und Frieden am Himmel über Frankfurt herrschen würde. Dem ist aber nicht so. Durch die neue Landebahn sind die Lärmbelastungen für manche Stadtteile erheblich verstärkt worden, manchmal bis an die Grenze des Erträglichen. Andere Stadtteile sind neu unter den Lärmteppich gekommen. Das momentane Nachtflugverbot ändert hieran wenig.

Die Frankfurter Stadtgesellschaft und das Umland verlieren sowohl wichtige Jobs als auch massiv an Lebensqualität. Dieses Ergebnis, hervorgerufen durch eine inkonsequente Politik des Herumlavierens, ist aber das denkbar schlechteste für alle! Die Bürger und mit ihnen die Politiker müssen sich entscheiden: Entweder für oder gegen den Flughafen. Mit allen dazugehörenden Konsequenzen!