Neudeutscher Neofaschismus bei Olympia
Rostocker Ruderin in Sippenhaftung genommen

Wie gut, dass der deutsche Ruder-Achter der Frauen keine Medaille geholt hat. Denn das wäre ja dann die erste Nazi-Medaille seit 1936 geworden. Warum? Weil in dem Boot eine blonde Frau mit dem falschen Freund gesessen hat. Nadja Drygalla, so der Name der Sportlerin soll nämlich eine private Beziehung zu einem Rostocker NPD-Aktivisten haben. Das hat nun dazu geführt, dass Frau Drygalla die deutsche Olympiamannschaft nach einem sicher ganz besonders intensiven „Gespräch“ mit Funktionären wie dem ehemaligen Grünen-Politiker Michael Vesper verlassen hat oder verlassen musste.
Warum dieses „Gespräch“ und die Konsequenzen daraus erst nach dem bereits erfolgten, wenngleich nicht erfolgreichen Einsatz der Ruderin – ihr Boot belegte im Wettkampf nur einen hinteren Rang – erfolgte, ist sicher auch eine interessante Frage. Denn die Denunziation von Frau Drygalla dürfte schon deshalb länger bekannt gewesen sein, musste sie doch schon den Polizeidienst wegen der privaten Beziehung verlassen, wie Presseberichten zu entnehmen ist. Die politisch korrekten deutschen Olympia-Blockwarte haben also erst gehandelt, nachdem der erhoffte sportliche Profit ausgeblieben war. Viel schäbiger geht es nun wirklich nicht.
Aber nicht nur schäbig, sondern ohne Zweifel neofaschistisch ist es, einen Menschen wie die Sportlerin Nadja Drygalla faktisch In Sippenhaftung zu nehmen, weil ihr Liebster einer Partei angehört, die zwar nicht zu Unrecht als rechtextrem gilt, aber nicht verboten ist. Niemand hat das Recht, einem deutschen Bürger daraus Nachteile erwachsen zu lassen, dass dieser privaten Umgang mit jemanden hat, der eine andere als die Mehrheitsmeinung hat und das auch aktiv vertritt. Gewiss mag mancher sich wünschen, Frau Drygalla hätte ihr Herz an einen Politiker der staatstragenden Parteien oder, besser noch, an gar keinen Politiker verschenkt. Doch letztlich geht es niemanden etwas an, mit wem die junge Frau Tisch und Bett teilt.
Es ist für jeden Demokraten, dem das Grundgesetz nicht nur ein Buchrücken und die politische Kultur in Deutschland nicht nur eine abgedroschene Phrase bei Sonntagsreden ist, absolute Pflicht, gegen das neofaschistische Vorgehen der charakterlosen Olympia-Blockwarte zu protestieren. Nicht Frau Drygalla gehört aus dem Olympischen Dorf in London entfernt, sondern diejenigen, die eine junge Sportlerin in Sippenhaftung nehmen. Wie heißt es doch so richtig in Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“? Ich stelle fest: Die Würde der Nadja Drygalla ist von Würdelosen vor eller Augen mit Füßen getreten worden.
Keine verpasste Medaille für Deutschland ist auch nur annähernd so ärgerlich wie dieser neue negative Höhepunkt aus einer Republik, in der – um ein berühmtes ironisches Zitat wieder einmal in Erinnerung zu bringen - der Widerstand gegen Hitler von Tag zu Tag größer und mutiger wird. Es ist der „Widerstand“ der Denunzianten, Opportunisten, Kriecher, Schleimer und Zeit(un)geistprofiteure. Der 3. August 2012 signalisiert, dass die neofaschistische Sippenhaftung moderner Prägung eine „antifaschistische“ Maske trägt.
Wolfgang Hübner, 3. August 2012