Bravo, Peter Feldmann!
Die „Stadtgesellschaft“ jault auf

Man stelle sich vor: Im Tigerpalast von Johannes Klinke ist Premiere – und kein Frankfurter Oberbürgermeister weit und breit! Das wäre in der Ära von Petra Roth undenkbar gewesen, denn dann hätte die vom Straßenkämpfer zum Varieté-Direktor avancierten Hausherrn gut kalkuliert ausgewählte „Stadtgesellschaft“ ja irgendwie verwaist und verlassen den Abend verbringen müssen. Doch künftig wird sich die „Stadtgesellschaft“ wohl daran gewöhnen müssen, recht oft bedeutungsheischende Anlässe auch ohne den neuen Oberbürgermeister Peter Feldmann zu erleben.
Daran hat der SPD-Politiker, der es so überraschend ins hohe Amt geschafft hat, in einer ganzen Serie von aktuellen Zeitungsinterviews keinen Zweifel gelassen: „Mein Amtsstil ist radikal anders als der meiner Vorgängerin. Ich wurde wegen meiner bekannten Inhalte gewählt. Ich sehe mich nicht als repräsentierender, sondern als arbeitender OB.“ Solche Aussagen sorgen bei der selbsternannten „Stadtgesellschaft“, laut Feldmann also bei einem Prozent der Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, für helles Entsetzen, ja gar für Aufruhr. „Kulturpapst“ Hilmar Hoffmann, schon 87 und immer noch SPD, klagt: „Es ist mir unbegreiflich, dass Peter Feldmann bisher an keiner Premiere oder Vernissage teilgenommen hat.“ Und besagter Klinke, der bekanntlich so gerne Feldmann CDU-Rivalen Rhein als Chef im Römer gehabt hätte, jammert fassungslos: „Dass man ohne mit der Frankfurter Kulturwelt zu sprechen OB werden kann, hätte ich nie für möglich gehalten.“
Feldmann aber wohl schon: „Es ärgern sich vor allem jene, die definieren wolle, wer die ‚Stadtgesellschaft‘ ist. Ich habe ein anderes Verständnis davon. 99 % fühlen sich ausgegrenzt.“ Obwohl ich für meinen Teil mich von dieser „Stadtgesellschaft“ weder ausgegrenzt noch angezogen fühle, lobe Ich gerne: Gut gebrüllt, Peter Feldmann! Denn es wurde höchste Zeit, dass dieser Mischpoke aus Mächtigen und Wichtigtuern, die sich frecher weise als allzuständige „Stadtgesellschaft“ versteht, die Grenzen ihrer angemaßten Bedeutsamkeit aufgezeigt wurden. Auch wenn ich politisch meist ganz anderer Meinung als der neue OB bin: In dieser Beziehung bin ich gerne zur „Volksfront“ bereit!
Denn die „Stadtgesellschaft“ sind nicht diejenigen, die im Tiger-Palast sich in regelmäßigen Abständen selbst feiern, sondern das sind die rund 700.000 Menschen, die in Frankfurt leben. Es gehört zu den unguten Entwicklungen und Hinterlassenschaften der Ära Roth, dass ganz wenige das Gefühl bekamen, statt all der anderen Frankfurt zu bestimmen und zu repräsentieren. Wenn diese sich nun ob ihres drohenden Bedeutungsverlustes grämen, dann ist die Stadt nicht ärmer, sondern schlichtweg normaler geworden. Und dann können wir künftig wieder Stadtgesellschaft ganz ohne Anführungsstriche schreiben. Machen wir gerne!
Wolfgang Hübner, 5. September 2012