Das kommende Flächenbombardement

Inflationspolitik für Superreiche und Schuldenmacher

Das kommende Flächenbombardement
© Gerd Altmann - pixelio.de


Wenn die beiden Chefs der Deutschen Bank unumwunden erklären, die Menschen in Europa müssten sich künftig auf Inflation einstellen, denn das sei der „Preis, den wir für Europa werden zahlen müssen“, dann muss jedem klar sein, was die Zukunft bringen wird: Geldentwertung, Vermögensverluste, die schleichende Verarmung der großen Mehrheit der Bürger in Deutschland und anderswo. Sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) wie auch die Bundesregierung samt der sogenannten „Opposition“ haben sich für diesen Weg entschieden, der zu unabsehbaren Verwerfungen führen muss.

Gibt es keine Alternative dazu? Doch, schreiben die renommierten deutschen Ökonomen Harald Hau und Ulrich Hege in ihrem am 14. September in der FAZ abgedruckten Artikel „Warum ein Schuldenschnitt die bessere Lösung ist“. Die beiden Autoren sehen in der Entscheidung für Inflationierung „ein finsteres Kapitel der europäischen Wirtschaftsgeschichte“ beginnen. Was sie dann in ihrem Beitrag argumentativ entwickeln, ist an Brisanz kaum zu übertreffen und müsste zu einem Volksaufstand führen, wenn die Kernaussagen massenhaft verbreitet und verstanden würden.

„Die Eurozone erlebt zurzeit eine klassische Schuldenkrise… Wer daher eine Krisenstrategie entwickeln will, muss sich fragen, wie wirksam sie das Hauptproblem der Überschuldung löst.“ So lautet die grundsätzliche Einschätzung von Hau, Professor für Wirtschaftswissenschaften in Genf, und Hege, Professor für Finanzwirtschaft in Paris. „Bei einer Schuldenkrise gibt es langfristig immer zwei Wege der Entschuldung. Erstens über eine Steigerung der Inflation, die den realen Wert der nominalen Schulden senkt… Leider ähnelt die Inflation einem Flächenbombardement. Sie senkt die Schuldenlast aller staatlichen und privaten Schuldner, unabhängig von deren Zahlungsfähigkeit, und bürdet daher den Sparern insgesamt viel höhere Lasten auf als erforderlich.“

Halten wir fest: Die Entscheidung für Inflationierung ist die bewusste Entscheidung gegen die Sparer, also gegen alle, die in irgendeiner Form Einkommen nicht vollständig konsumieren, sondern für künftige Investitionen oder Altersvorsorge einen Teil davon zurücklegen. Verlierer der Inflationierung sind jedoch auch alle Bezieher von Löhnen und Gehältern, Renten und staatlichen Transferleistungen. Denn es scheint völlig ausgeschlossen, dass diese überwältigende Bevölkerungsmehrheit unter den obwaltenden Verhältnissen entsprechende Inflationsausgleiche erreichen oder auch erkämpfen kann. Die politisch Verantwortlichen für die Inflationsentscheidung kalkulieren übrigens genau damit – soviel zum leeren Gerede von der „sozialen Verantwortung“.

Was wäre die Alternative zur Inflationierung, gibt es überhaupt eine? Und wenn ja, wäre das eine bessere Alternative? Hau und Hege bejahen beide Fragen: „Die zweite gezieltere Politikmaßnahme ist der Schuldenschnitt, der verschiedene Formen annehmen kann.“ Und sie enthüllen mit großer Klarheit, warum diese Alternative nicht gewählt wird – weder von der Politik, noch der EZB und der Finanzwirtschaft: „Kommt es dagegen zum Schuldenschnitt in einem überschuldeten Land, erleiden Bankaktionäre, Investoren in Pensions- und Anleihenfonds und private Direktanleger tatsächliche Verluste. Weltweit ist das Finanzvermögen sehr konzentriert: In fast allen Staaten befinden sich mehr als 90 Prozent des gesamten Finanzvermögens in der Hand von nur 5 Prozent der Haushalte. Ausländische Gläubiger stellen oft eine noch elitärere Gruppe dar.“

Weder Hau noch Hege stehen im Verdacht sozialrevolutionärer Umtriebe, beide sind sie nüchtern denkende Ökonomen, keineswegs marxistische Ideologen. Umso mehr Gewicht hat die obige Feststellung, die von allen bekannten Statistiken bestätigt wird. Am Beispiel Griechenland zeigen die Professoren, wie das Risiko für die Schuldtitel des heillos überschuldeten Landes in kurzer Frist von privaten Gläubigern fast vollständig auf die Steuerzahler der anderen Euroländer verlagert wurde. Bei dem nächsten, längst unvermeidbaren Schuldenschnitt kommen deshalb „auf die deutschen Steuerzahler Kosten in Höhe von ungefähr 80 Milliarden zu“.

Diese 80 Milliarden werden in Deutschland an allen Ecken und Ende fehlen, selbst wenn ein Teil davon durch noch höhere Verschuldung vertuscht werden kann. Doch welche Folgen diese von allen Bundesregierungen seit Mitte der sechziger Jahre exzessiv betriebe Verschuldungspolitik hat, zeigt der ehemalige Verfassungsrichter und verhinderte Steuerreformer Paul Kirchhof mit nicht zu überbietender Deutlichkeit auf: „Deutschland hat in den Jahren 1950 bis 2008 1,6 Billionen Euro Schulden aufgenommen, aber 1,5 Billionen Zinsen gezahlt. Ein kurzfristiger Liquiditätsgewinn führt zu langfristigem Liquiditätsverlust. Die Zinsen sind gezahlt, die Schulden geblieben.“ Wer wissen will, warum es zu der Schieflage in der Vermögensverteilung gekommen ist, wer also wissen will, warum die Reichen immer reicher und superreich werden, ja werden müssen, der braucht nicht länger nach den Gründen zu forschen.

Doch zurück zu dem FAZ-Artikel von Hau und Hege: Sie betrachten kritisch das von Vertretern der deutschen und internationalen Bankenverbänden, aber auch von Politikern gebrauchte Argument, „mit der ‚Staatenrettung‘ werde das Anlagevermögen von Normalbürgern, wie zum Beispiel deren private Lebensversicherungen, geschützt. Angesichts der tatsächlichen Besitzverteilung von Finanzanlagen findet stattdessen eine gewaltige Umverteilung von Steuerzahlern hin zu überwiegend reichen Finanzmarktinvestoren statt.“ Wenn das stimmt, und was spräche dagegen, dann handeln, entscheiden also sowohl die Bundesregierung wie die sogenannte „Opposition“ nicht im Interesse und zum Nutzen des Volkes, sondern im Interesse und zum Nutzen einer ebenso kleinen wie mächtigen Schicht nationaler und internationaler Finanzmarktinvestoren.

Wenn das stimmt, und was spräche dagegen, dann brechen nicht nur fast alle derzeitig politischen Verantwortlichen ihren Wählerauftrag und Amtseid, sondern schaden - ob nun wissentlich oder nicht – in geradezu ungeheuerlicher Weise Deutschland und dem deutschen Volk. Als ob es damit nicht schon mehr als genug wäre, soll und wird durch die kommende Inflationierung der Schaden noch ins Gigantische wachsen. Das Flächenbombardement der Alliierten im Zweiten Weltkrieg hat zerstörte Städte, unzählige Menschenleben und unschätzbare materielle und kulturelle Verluste verursacht. Das kommende Flächenbombardement der Inflationierung wird die Wirkung einer unheimlichen Waffe haben: Die Kulissen bleiben unbeschädigt, doch dahinter wird sich Verzweiflung und Chaos breitmachen, wenngleich „nur“ für die Mehrheit des Volkes.

Die Ökonomie-Professoren Hau und Hege zeigen in dem FAZ-Artikel sehr überzeugend die Vorteile eines Schuldenschnitts, wobei sie vier Punkte aufzählen: „ - In einer geordneten Insolvenz tragen Anleger die Folgen ihres privaten Investitionsrisikos, was zur Vorsicht bei zukünftigen Anlageentscheidungen erzieht. Bei einer Schuldenvergemeinschaftung ist dies nicht der Fall. - Ein rechtzeitiger Schuldenschnitt verteilt Lasten auch auf Investoren außerhalb der Eurozone. – In einem Schuldenschnitt werden die Kosten hauptsächlich von wohlhabenden Finanzinvestoren getragen. Werden Schulden hingegen vergemeinschaftet, tragen die Steuerzahler der Eurozone die Last, wobei die Masse des Steueraufkommens auf die Mittelschicht entfällt. – Ein Schuldenschnitte kann so strukturiert werden, dass Kleinanleger (bis zu einem gewissen Höchstbetrag) besonders geschützt werden.“

Zudem weisen die Verfasser darauf hin: „Eine geordnete Staatsinsolvenz unterbindet kurzfristig den Kapitalmarktzugang, was jedoch eine automatische Verpflichtung zu strikter Haushaltsdisziplin bedeutet.“ Bekanntlich fürchten Parteien und Politiker aller Couleur nichts so sehr wie strikte Haushaltsdisziplin. Hau und Hege sehen noch einen weiteren Vorteil in der Staatsinsolvenz: „Sie reduziert die notwendigen Kapitalzuschüsse aus den Partnerländern und die Transferzahlungen an diese nach der Umschuldung; eine das politische Klima vergiftende externe Kontrolle kann weniger einschneidend ausfallen.“ Angesichts der Bilder aus Athen mit antideutschen Parolen ist das kein vernachlässigbares Argument.

Fast beschwörend schreiben die Ökonomen gegen Ende ihres Artikels: „Wichtig ist, dass ein Schuldenschnitt rechtzeitig erfolgt, bevor das Kreditrisiko im Wesentlichen auf ESM oder EZB übertragen ist.“ Hau und Hege lassen keinen Zweifel: „Der bevorstehende Ankauf spanischer und italienischer Staatsanleihen stellt jedenfalls die bislang größte Bedrohung für den Fortbestand der Eurozone dar.“ Zur Rolle der EZB heißt es: „Die EZB geht ein hohes politisches Risiko ein, indem sie immer mehr faule Staatsanleihen in ihre Bücher nimmt…. Die EZB ist auf dem besten Weg, den Euro zugrunde zu richten.“ Das ahnen oder wissen offenbar auch einige Politiker in Berlin, die sich gar nicht begeistert zeigen von der Selbsteinladung des EZB-Präsidenten Draghi zu einem Auftritt im Bundestag. Dabei will Draghi mit diesem Ansinnen nur vor aller Welt diejenigen in ein Boot holen, die dort schon längst mit Rettungswesten Platz gesucht haben. Nicht Draghis Selbsteinladung ist deshalb skandalös, sondern die Heuchelei der Inflationsbetreiber und Schuldenmacher im Reichstag.

Der Artikel von Hau und Hege endet mit folgendem Fazit: „Die Regierungen der Krisenländer werden einen Schuldenschnitt – wie Regierungen in fast allen Staatsschuldenkrisen – möglichst weit hinauszögern. Gleichzeitig treiben sie zusammen mit den Gläubigern die Europäisierung und Verstaatlichung privater Insolvenzrisiken voran. Ziel der Bundesregierung muss es dagegen sein, die fortschreitende Verstaatlichung privater Insolvenzrisiken mit allen Mitteln zu blockieren, anstatt sich, wie das bei EFSF und ESM der Fall ist, daran zu beteiligen. Mit der fortschreitenden Vergemeinschaftung der Insolvenzrisiken wird jede krisenbedingte Entschuldung, egal, ob durch Inflation oder Schuldenschnitt, unausweichlich die Steuerzahler in Deutschland und den anderen Ländern treffen. Wer dies verstanden hat, kann sich nur für einen rechtzeitigen Schuldenschnitt in den Krisenländern einsetzen.“

Es spricht derzeit nichts dafür, dass CDU, SPD, Grüne und FDP das verstanden haben oder verstehen wollen. Die Schuldenmacher in Berlin betreiben objektiv das Geschäft der Reichen und Superreichen – warum auch immer. Das ist zum Schaden Deutschlands und der Deutschen, jedenfalls derjenigen unter diesen, die der Mittelschicht angehören sowie ein durchschnittliches oder niedriges Einkommen haben. Wer die drohende Flächenbombardierung durch Inflationierung nicht tatenlos hinnehmen will, muss diesen Parteien und ihrem Personal mit sofortiger Wirkung jede Unterstützung aufkündigen. Wer das nicht tut, muss schon einige Millionen auf dem Konto haben oder dümmer sein, als es die Lektüre des Artikels von Ulrich Hege und Harald Hau erlaubt.  

 

Wolfgang Hübner, 16. September 2012

Leserkommentare (1)

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Sehr guter Beitrag mit der richtigen Konsequenz.

Konrad Weißler