Selbstbestimmtes Wohnen im Alter
Viele Daten und Vorschläge bei öffentlicher Veranstaltung

Die Europäische Kommission hat das Jahr 2012 zum „Europäischen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“ ausgerufen. Aus diesem Anlass lud das Referat für Internationale Angelegenheiten der Stadt Frankfurt zu dieser Veranstaltung ein. Zur Information: Dieses Referat ist angesiedelt im Dezernat 1 (Hauptverwaltung) und untersteht somit direkt Oberbürgermeister Feldmann, der seinen Wahlkampf auch mit dem Thema Senioren gewonnen hat.
Am 21. Sept. 2012 war der Große Saal des Hauses am Dom gut gefüllt mit weit über 100 Interessierten, meist im Seniorenalter. Als Vertreterin des Magistrates eröffnete Stadträtin Erika Pfreundschuh die Veranstaltung: Sie berichtete, dass in Frankfurt Mehrgenerationenhäuser errichtet werden, in denen die ältere Generation sich gegenseitig helfen könne und nicht im Alter vereinsame.
Der Universitätsprofessor hat interessante Zahlen:
Der erste von zwei Referenten war Prof. Dr. Frank Oswald, Spezialist für Interdisziplinäre Alterswissenschaft am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität. Basis für sein Thema „Mobilität und Wohnen im Alter“ sind Zahlen, „zusammen gestellt aus Projekten von ganz vielen Kollegen in ganz Europa aus den letzten zehn Jahren“: Die Bevölkerung der einzelnen europäischen Länder wird in der nächsten Zukunft stark altern: Spitzenreiter ist hier Deutschland mit in 2010 20,7 % Menschen über 65, gefolgt von Italien mit 20,2 % und Griechenland mit 18,9 %. Am unteren Ende Irland mit 11,3 %. Ist also in Deutschland jetzt schon jeder Fünfte über 65, wird sich dieser Satz immer weiter steigern: in 2020 auf 23 % und in 2030 auf 29 %! In Irland lauten die Zahlen moderater: 2020 13 % und 2030 16 %.
Während die Jungen immer weniger werden, wird unsere Gesellschaft immer mehr vergreisen, weil wir immer älter werden: 2009 wurde der deutsche Mann im Schnitt 77,3 Jahre alt, die Frau 82,5 Jahre. So wächst der Anteil der über 80-Jährigen von heute 3 Millionen oder 3,5 % bis 2050 auf 8 Millionen oder 11 Prozent, wobei die deutsche Bevölkerung dann um 7 Millionen auf 75 Millionen geschrumpft sein wird.
Fragt sich nun Prof. Oswald: Sind für die Alten die „gewonnenen“ Jahre auch gesunde Jahre? Und vor allem würdevolle Jahre? 2008 wurden europaweit für die Armutsgefährdung über 65 diese Zahlen festgestellt: In Deutschland sind es 15 %, wobei die Spanne mit 6 % in Luxemburg beginnt und in Zypern mit 49 % und Lettland mit 48 % endet. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich erhöhen von z. Zt. 2,4 Mio. auf 3,4 Mio. in 2030. Interessant ist, dass 57 % alte Ehepaare zusammen in ihrem 2-Personen-Haushalt wohnen und 34 % alleine (meist verwitwet), 9% in anderen Wohnformen.
Erkenntnisse zu Mobilität und Wohnen im Alter:
Mit steigendem Alter nimmt die Mobilität ab: Bei den über 65-Jährigen beschränken sich 70 % der außerhäuslichen Aktivitäten auf den Stadtteil oder einen Radius von weniger als 5 Kilometer um die Wohnung. Wichtig ist deshalb zum Erhalt der Gehfähigkeit, regelmäßig die Wohnung für einen Spaziergang von einer halben Stunde pro Tag zu verlassen, Kurse wie Yoga und Tai Chi zum Erhalt der Gelenkigkeit zu belegen und der Altersdemenz mit Gehirntraining wie Kreuzworträtsel entgegenzuwirken. So kann die Selbständigkeit und Autonomie in den eigenen vier Wänden bis ins hohe Alter bewahrt werden.
Vorbedingung für Mobilität und damit Lebensqualität und Wohlbefinden im Alter ist die Barrierefreiheit: Typisch ist aktuell die alleinstehende Frau im 4. Obergeschoss einer Altbauwohnung ohne Lift. So müssen in Zukunft Abermilliarden von Euro investiert werden. Eine Untersuchung ergab, dass diese Barrieren bestehen: 47 % in der Wohnung selbst, 23 % im Eingangsbereich des Hauses und 30 % im Nahbereich außerhalb.
Altersgerechte Assistenzsysteme: Die Professorin hat ein Computer gesteuertes Robbenbaby-Modell dabei.
Auch Prof. Dr. Barbara Klein, Spezialistin für „Organisation und Management der Sozialen Arbeit“ am Fachbereich „Soziale Arbeit und Gesundheit“ der Fachhochschule Frankfurt beginnt mit konkreten Zahlen:Von den aktuell 2,34 Mio. Pflegebedürftigen werden rund 70 % in ihrer Wohnung versorgt (1,07 Mio. von den Angehörigen, meist Töchter, 550.000 von ambulanten Pflegediensten). 717.000 Menschen werden in Pflegeeinrichtungen versorgt.
In Zukunft wichtiger wird Telecare und Telemedizin, also Ferndiagnose und -therapie. Doch dies scheitert zurzeit noch daran, dass nur wenige Seniorenhaushalte bisher einen internetfähigen Computer haben. Probe im Saal: Auch von den Gekommenen hat nur eine Minderheit einen PC zu Hause.
Zur barrierearmen Wohnung der Zukunft gehört auch die Gebäudeautomation: So werden über den PC gesteuert: Licht und Heizung an/aus, Fenster, Türen und Vorhänge auf/zu, wobei Sensoren Temperatur und Helligkeit steuern. Erhebt sich erstmals Unruhe im Saal: „Was kostet das? Wer kann das bezahlen?“ Auch die leichte Bedienbarkeit dieser Technik wird allgemein bezweifelt. Wichtig seien, so Prof. Klein weiter, auch Lichtduschen, um von langer Dunkelheit in der kalten Jahreszeit hervorgerufenen Depressionen vorzubeugen, vor allem, weil man bei unwirtlichem Wetter seltener hinausgeht.
Weitere Hilfen sind schwellenfreie Duschen und Pflegebetten, die man auf Knopfdruck in Sitzposition bringen kann. Gegen Einsamkeit und emotionelle Ansprache der Patienten haben Japaner ein Wunder der Robotik entwickelt: Das Modell eines süßen, weißen Robbenbabys, das bei Streicheln quiekt und piepst, das Köpfchen dreht und mit den Augen klimpert. Dieses Modell ist lernfähig, kann bis zu acht Personen an deren Stimme unterscheiden und sich bis zu 70 Worte merken. Das Robbenbaby ging dann von Hand zu Hand durch die Reihen, was doch ziemliche Unruhe im Saal verursachte. Auch störten sich mehrere an den englischen Fachbegriffen der Professorin: „Können Sie das mal auf Deutsch?“ Also, ein pädagogisches Genie ist diese Professorin keinesfalls.
Seit rund 30 Jahren werden Hausnotrufsysteme angeboten. Mit z. Zt. 400.000 Exemplaren sind diese, so Prof. Klein „nicht sehr verbreitet.“ Dabei helfen diese Systeme, länger sicherer in der eigenen Wohnung zu verbleiben und Angehörige bei Abwesenheit zu beruhigen. Wieder Stimmen aus dem Saal: „Was kostet das? Geld, das wir nicht haben.“ Hier wäre der Hinweis zielführend gewesen, dass der städtische „Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe“ diese Hausnotrufsysteme recht günstig anbietet.
Die städtische Wohnungsgesellschaft ABG Holding hat Siedlungshelfer eingestellt, die Älteren Dienstleistungen wie das Wechseln von Glühbirnen anbieten. Abschließend verwies Prof. Klein auf die Ausstellung einer barrierefreien Wohnung in der Fachhochschule am Nibelungenplatz (mit der neuen Tram 18 seit kurzem gut zu erreichen!): Ohne Anmeldung jeden letzten Mittwoch im Monat von 14 bis 16 Uhr, also am 26.9., 31.10. und 28.11.2012. Sonst nach Terminvereinbarung unter Telefon 069/1533-2667.
D. Schreiber