Der honorierte Mörder
Kein Urteil im Namen des Volkes

Kürzlich war im Fernsehen der bewegenden Film über die Entführung und Ermordung des Frankfurter Jungen Jakob vom Metzler zu sehen. Besonders in der Heimatstadt der angesehenen Bankiersfamilie, die 2002 ihren jüngsten Sohn durch die grauenhafte Tat eines geldgierigen Jurastudenten verlor, erregte die Ausstrahlung des Films große Anteilnahme. Noch einmal wurde beklemmend deutlich, in welcher Notsituation sich der damalige Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner entschloss, dem bereits festgesetzten Mörder eine schmerzhafte Behandlung anzudrohen, um den Aufenthaltsort des elfjährigen Jungen zu erfahren und ihn doch noch zu retten.
Dass Jakob damals bereits tot war, konnte Daschner nicht wissen, wenngleich er es befürchten musste. Der Beamte ist in der schwierigsten Situation seines beruflichen Lebens ein hohes persönliches Risiko eingegangen, um ein Kind vor dem Tode zu retten. Denn er überschritt, wenngleich nur verbal, eine Grenze, die von der geltenden Gesetzeslage gezogen wird. Daschner hat das aus völlig uneigennützigen Motiven getan – und ist dafür bitter beruflich und juristisch bestraft worden. Schon das war und ist ein moralischer Skandal, der viele Menschen zutiefst in ihrem Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert hat.
Nun hat das Frankfurter Oberlandesgericht entschieden, dem inhaftierten Mörder einen „Schadenersatz“ von 3000 Euro zuzusprechen, weil er von der Frankfurter Polizei bedroht worden sei. Die Kosten für die Entschädigung und das Berufungsverfahren muss das Land Hessen, müssen also die steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger tragen. Das Oberlandesgericht bestätigt damit die vorangegangenen Urteile des Landgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Allen beteiligten Gerichten und Richtern sei aber gesagt: Sie lügen schamlos, wenn sie diese Urteile „im Namen des Volkes“ verkünden!
Selten in der Justizgeschichte der Bundesrepublik sind Urteile so eindeutig gegen moralisches und emotionales Empfinden der überwältigenden Mehrheit des Volkes gefällt worden, wie diejenigen im Zusammenhang mit der Androhung an einen skrupellosen Mörder, der tiefes Unglück über eine Frankfurter Familie gebracht hat. Und tiefe Verachtung ist all jenen sicher, die von „Folter“ und „Menschenrechten“ faseln, wo es nur in verzweifelter Weise darum ging, ein Kind zu retten.
In dem Fernsehfilm gibt es eine Szene, in der Daschner von Demonstranten bedrängt wird, die in ihm einen erbarmungslosen Folterknecht erkannt zu haben glauben. Jeder weiß, aus welch verwahrlosten ideologischen Milieus dieser Mob stammt. Aber wieviel besser sind eigentlich Richter, die einem charakterlich verabscheuungswürdigen Mörder die Genugtuung verschaffen, selbst ein „Opfer“ zu sein? Wolfgang Daschner ist ein wahrer Held, weil er in einer Extremsituation das tat, was sittlich geboten, aber gesetzlich fragwürdig war und ihm schaden konnte, was ja auch der Fall ist.
Die Richter der drei beteiligten Gerichte hingegen haben sich der Rechtslage ohne demonstrative Distanzierung gebeugt, ob nun aus Überzeugung, vermeintlicher Notwendigkeit, Konformismus oder Feigheit. Im Gegensatz zu dem ehemaligen Polizeivizepräsidenten werden diese Richter deshalb weiter ihre berufliche Karriere verfolgen können und vielleicht noch höhnische Dankesbriefe aus dem Gefängnis erhalten. Im Gegensatz zu Wolfgang Daschner sind diese Richter seelenschwache Funktionäre einer Ordnung, die faktisch die Würde des Opfers und seiner Angehörigen geringer schätzt als die eines ruchlosen Mörders.
Das Urteil des Oberlandesgerichts wirft Fragen auf, denen die libertäre Zeitgeist-Gesellschaft schon deshalb ausweichen wird, weil sie ihr nicht gewachsen ist. Das Land Hessen, also wir alle in Frankfurt, wird dem Kindesmörder 3000 Euro überweisen. Das ist, mit Verlaub, zum Kotzen!
Wolfgang Hübner, 11. Oktober 2012