Wenn das Fremde zu viel wird

„Bunter Tisch Höchst“ tagte

Wenn das Fremde zu viel wird
© Gabi Schoenemann - pixelio.de

Vorbemerkung: Das Thema Zusammenleben mit fremden Kulturen oder Rückzug dieser in eigene Quartiere ist eines der Themen, die vielen Menschen in Deutschland förmlich unter den Nägeln brennen. Wenn dann von einer Zusammenkunft des „Bunten Tisch Höchst“ nur eine Tageszeitung berichtet, und das ziemlich knapp, dann sehen es die FREIEN WÄHLER als ihre Pflicht an, Öffentlichkeit herzustellen und die Bürger/innen so umfangreich wie objektiv zu unterrichten. Denn zum letzten „Bunten Tisch Höchst“ kamen immerhin über 50 Menschen, allerdings aus vielen Kulturen.
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Gut gefüllt war der Kapellensaal des Bolongaro-Palastes am 6. November 2012. Auf dem Podium moderierte Helga Krohn, eine der drei Sprecher/innen des „Bunten Tisches“ den Abend. Rechts von ihr saß Hüseyin Dogan, in Deutschland geboren mit türkischen Wurzeln: Sein Vater kam 1973 als Gastarbeiter hierher. Dogan hat mir seinem Partner Kürtbagi Yunus mitten in Höchst eine Anwaltspraxis. Links von Moderatorin Krohn mit Kopftuch Khadija Mira. Auch sie Deutsche, in Deutschland geboren: Ihre Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Marokko. Mira studiert an der Universität Frankfurt, hat bereits den Bachelor-Abschluss in sozialer Arbeit und begann im März dieses Jahres ihr Master-Studium. Links von Mira komplettierte Boujemaa Toukad, geboren in Marokko, das Podium. Auch Toukad hat die deutsche Staatsbürgerschaft und arbeitet als Sozialarbeiter in Rüsselsheim. Wohltuend war, dass die drei Teilnehmer/innen auf dem Podium mit Migrationshintergrund akzentfrei deutsch sprachen, was der Frankfurter Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg ja nicht ganz vergönnt ist.

Allein dies hatte wohl die Frankfurter Rundschau zwei Tage später über ihrem Bericht von dieser Zusammenkunft zur Schlagzeile „Deutsche Vielfalt“ inspiriert. Und das ist auch politisch voll korrekt, denn die Integration wurde bekanntlich durch Diversität ersetzt. So stand an diesem Abend das Miteinander dieser Diversitäten im Fokus: Moderatorin Krohn, einzige Biodeutsche im Quartett, stellte an dieses diese erste Frage: „Wie fühlen Sie sich, im Alltag als Ausländer/in wahrgenommen zu werden?“ Anwalt Dogan begann: Es bestehe immer der Erklärungsdruck, dass man Deutscher sei, geboren in Deutschland. Oft werde die Frage gestellt: „Woher sprechen Sie so gut deutsch?“ Da verliere man seine Natürlichkeit

Khadija Mira missfallen, wie sie sagte „Zuschreibungen“ im Studium: „Willst du ein Referat über Marokko oder den Islam schreiben?“ Als Kind habe sie keine Probleme gehabt. Doch später wurde sie immer darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht Deutsch sei, besonders, als sie mit 14/15 Jahren begann, das Kopftuch zu tragen: „Da wurden mir die Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft bewusst.“ Gelungene Integration vermittelte hingegen Boujemaa Toukad: „Ich fühle mich als Deutscher mit marokkanischen Wurzeln“. Oft höre er: „Sie heißen Luigi, Ihre Eltern sind aus Neapel, dann sind sie Italiener.“ Aber: „Spaghettifresser und Kameltreiber, das war gestern.“

Ein Herr aus dem Plenum: “Man sitzt irgendwie zwischen zwei Stühlen.“ Widerspricht ihm ein anderer: „Das ist veraltet. Man sitzt auf dem Stuhl, wo man geboren wurde.“ Findet eine Mexikanerin, die zwischen Deutschland und den USA pendelt, nun überhaupt nicht: „Manche wollen nicht Deutsche sein, selbst in der dritten Generation!“ Das Plenum zeigt sich gespalten: Einerseits „Als ich mit dem Flugzeug aus der Türkei zurückkam, sagte ich: Ich bin wieder zu Hause. Ich bin halt kein Urdeutscher, ohne deutsche Ahnen.“ Andererseits: “Ich fühle mich nicht zugehörig, obwohl ich in Deutschland geboren bin“.

Stellt Boujemaa Toukad vom Podium die Frage: „Wo kommt das her? Weil ich in Marokko geboren bin, bin ich kein Deutscher?“ Anwortet ihm Moderatorin Krohn:  Deutschland existierte lange nur auf sprachlich-kultureller Ebene. Einen deutschen Staat gibt es erst spät im 19. Jahrhundert. Vorher gab es nur Bayern, Sachsen, Preußen und viele andere. Darauf eine ältere Dame mit einem jungen geschichtlichen Aspekt: „Meine Eltern und Großeltern sind Flüchtlinge aus dem Osten. Die hörten damals, sie kämen aus Pommern, Schlesien, Ostpreußen, seien also nicht von hier, also Fremde.“ Drauf ein Lehrer einer hiesigen Schule: Hier haben 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund und sind neugierig: „Wo kommt ihr her? Kinder machen uns den Dialog vor!“ Erklärt Anwalt Dogan: „Kinder sind vorurteilsfrei, noch ohne ideologischen Ballast.“

Themenrunde 2. Moderatorin Krohn fragte: „Wenn wir eine Gemeinschaft werden wollen mit gemeinsamen Zielen. Warum fällt uns das so schwer?“

Eine Antwort aus der der deutschen Geschichte heraus gibt Anwalt Dogan zum fehlenden Identitätsgefühl der Deutschen: „Viele Deutsche haben das Problem, sich zu sich selbst zu bekennen – nach dem Dritten Reich.“ Selbst die Wiedervereinigung habe kein neues, gemeinsames Nationalgefühl geschaffen, fallen doch Mauerfall und Reichskristallnacht zusammen. (Dogan gebrauchte nicht den neuen Begriff „Reichspogromnacht“!) Erst 2006 beim Sommermärchen habe man frei und begeistert die Nationalflaggen geschwenkt. Dogan hat allerdings eine Forderung an die Aufnahmegesellschaft: „Du musst mich als Deutscher akzeptieren, weil ich zu den Werten stehe.“ Aus anderem Blickwinkel stimmt seine Nachrednerin Mira zu: „Ich wusste nicht, was die deutsche Leitkultur ist. Da habe ich nichts gefunden für meine Bachelor-Thesis zur Arbeitsintegration.“

Ein junger, biodeutscher Berufsschullehrer stimmt dem zu: „“Ich kann mit dem Begriff ‚‘deutsche Leitkultur‘ nichts anfangen.“ Und eine Biodeutsche „Ich brauche keine nationale Identität, ich sehne mich nicht danach.“ Da fragt sich der Berichterstatter erstmals, wenn die Mehrheitsgesellschaft keine Werte hat, worin sollen sich die Gekommenen integrieren? Ist dies nicht eine Einladung, so zu bleiben, wie man selbst sozialisiert wurde?

Dass es bereits eine Trennung in kulturelle Gruppen in Höchst gibt, verdeutlicht Rechtsanwalt Kürtbagi, der mit Dogan gemeinsam eine Praxis betreibt: „Wir haben kaum deutsche Klienten.“ Kürtbagi weiter: Er beobachte indes, dass viele Türken in Höchst nur im türkischen Supermarkt einkaufen gehen und türkische Cafés besuchen.

Ein Erklärungsversuch für diese Abschottungstendenzen von Michaela Kugler, einer der drei Sprecher/innen des „Bunten Tisches“: In einer großen Stadt wie Frankfurt gäbe es auch unter Deutschen Anonymität, wo man sich verstecken könne. Weiteres Trennendes sieht auch eine Äthiopierin, in deren Herkunftsland die meisten koptische Christen sind: „Wenn wieder Weihnachtsmarkt in Höchst ist, sehe ich nur Deutsche.“ Sie empfiehlt, erst einmal Mensch zu sein und sich mit Respekt zu begegnen.

Eine Biodeutsche allerdings empfindet das Kopftuch als fremd. Pflichtet ihr Anwalt Dogan zu: „Das Kopftuch ist ein Symbol, das trennt. Die Frau wird so lange geknechtet, bis sie es trägt. Freiheit ist, wenn man sich selbst dafür entscheidet.“ Positives sieht eine junge Frau mit marokkanischem Migrationshintergrund: Sie habe ein gutes Verhältnis zur älteren deutschen Nachbarin: Diese passe auf ihre Kinder auf und samstags gehe man gemeinsam einkaufen. Ein junger Mann aus Nied, selbst Moslem: Dialog sei nur in deutscher Sprache möglich. Seine Mutter spreche kaum Deutsch und gehe ins türkische Geschäft und zum türkischen Arzt. Womit laut Berichterstatter bewiesen ist, dass fehlende deutsche Sprachkompetenz zu Parallelgesellschaften führt. Und dann der Moslem aus Nied zum Thema Kopftuch: Er sei Alevit. „Bei uns ist die Frau gleichberechtigt. Das Kopftuch spaltet, das befremdet mich.“

Sozialarbeiter Toukad vom Podium an alle Neuen in der deutschen Gesellschaft: Man soll sich einmischen, so auch im Elternbeirat. Denn man habe das Recht, die Gesellschaft mit zu gestalten. Doch Studentin Mira vom Podium legt den Finger in die offene Wunde: „Sehr viele sagen, das ist nicht mehr meine Stadt. Hier fühle ich mich nicht mehr wohl.“ Dies berichtete auch Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, das Enfant Terrible der real existierenden Wirklichkeit, in einer Talkshow von seinen biodeutschen Mitbürgern: Das ist nicht mehr meine Heimat, wo ich mich zu Hause fühle. Mira weiter: Deutsche Geschäfte machen zu, türkische und arabische machen auf. Es gebe einen Rückzug von Migrantengruppen auf sich selbst. Da klatscht ein biodeutsches Paar im mittleren Alter begeistert, während durch die Mehrheit im Saal ein Raunen geht. Mira unbeirrt weiter: Sie wohne im Gallus. „Und hier wohnen immer weniger Deutsche. Und es ziehen Menschen mit Migrationshintergrund zu.“

Das diese Trennungsbewegung sichtliche Auswirkungen hat, verdeutlicht eine ältere biodeutsche Dame: „Beim (Höchster) Schlossfest machen Italiener und Spanier ihre Tänze, Andere eben nicht.“ Bei den Schlussworten zeigt sich Mira versöhnlich: Sie dankt dem jungen Aleviten für seine „mutige Aussage“ und verspricht, dieses Jahr zum Höchster Weihnachtsmarkt zu kommen. Fragt sich der Berichterstatter: Warum eigentlich nicht? Kann man das Andenken an die bevorstehende Geburt des Propheten Issa, wie Jesus im Islam heißt, als Moslem nicht auch würdigen?


D. Schreiber

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